«Oha!» Theo Schnider ist in eine schlammige Senke getreten. Zentimetertief bleibt der Abdruck seines Schuhs einige Minuten lang sichtbar. Im Entlebucher Hochmoor sinkt jeder Fuss ein, und jeder Schritt fühlt sich an wie auf einem dicken, weichen Teppich. Luzern ist eine Autostunde nach Nordosten entfernt, Bern etwas länger nach Nordwesten.
Nahe sind nur das Berggasthaus Salwideli und die Alpkühe, deren Glocken man bis ins stille Moor hört. «Im Herbst wird es hier mit dem Pfeifengras noch goldiger. Es gibt nichts Schöneres als das Farbenspiel im Moor.» Theo Schnider, 64, ist Natur- und Umweltfachmann, aber auch der Tourismus-Promoter des Entlebuchs. Seit 20 Jahren wirbt er für seine abgelegene Region – Luzerns Wilden Westen, wo die Hänge steil und die Berge karg sind.
Es ist eine Gegend mit einer bewegten Geschichte: 1987 verordneten die Schweizer den Entlebuchern mit der Rothenthurm-Initiative einen strengen Naturschutz. «Entlebucher sind eher skeptisch, wenn es um Neues geht», sagt Schnider. «Aber sie haben auch einen ausgeprägten Nützlichkeitssinn!» Und so machten sich die Entlebucher die Einschränkung zunutze.
Seit 2001 trägt die Region den Titel Unesco-Biosphäre – eine Auszeichnung, die nun auch auf Käse, Honig, Tee und Dienstleistungen aus der Region prangt. Die einzigartigen Moorlandschaften bleiben sich selbst überlassen. Rehe und Auerhühner, Libellen und Fliegen haben ihre Ruhe. Ausser heute, denn gemeinsam mit Theo Schnider ist auch Florian Knaus, 41, angereist. Seine Mission: herausfinden, wie es dem Moor geht. «Diese Landschaft wächst extrem langsam. Es dauerte 4000 Jahre, um die vier Meter Torf zu bilden, über die wir hier gehen.»
Florian Knaus ist Dozent für Umweltwissenschaften an der ETH Zürich. Als Zweitjob kümmert er sich um die Entlebucher Moore. Und das geht heute digital. «Früher wurden sie von Biologen untersucht – die zählten jedes Pflänzchen in einem abgesteckten Bereich. Heute geben uns digitale Bodensonden alle 30 Minuten den Wasserstand durch.» Dieser ist ein guter Indikator für den Zustand des Moors. War das Wetter zu trocken, zu feucht – sind bereits Auswirkungen des Klimawandels spürbar?
Florian Knaus schliesst seinen Laptop an die Bodensonde an und zieht die Messdaten aus einem Meter Tiefe auf seine Festplatte. «Das Moor ist der ultimative CO2-Speicher. Stirbt ein Baum, entweicht ein Teil des eingelagerten CO2 wieder. Doch im Moor bleibt es eingebunkert.» Auch deshalb überwachen – und schützen – die Entlebucher ihre Moore.
Unten im Tal: Eine kurvige halbe Stunde später sind wir beim Betrieb von Franz Studer, 48, und Josef Schmid, 59, in Schüpfheim angekommen. Die Bauern züchten und mästen Schweine. Das Besondere: Ihre Tiere leben im ersten digitalisierten Schweinestall der Schweiz.
Die beiden Bauern haben ihre gut 300 Tiere in zehn Gruppen aufgeteilt. Durch farbige Ohrmarken sind die Tiere gekennzeichnet. «Schweine unterschiedlicher Gruppen sollten sich nicht begegnen – sonst kann es sein, dass sie sich verletzen.» Mehrere Tore regeln den Betrieb: Während die Schweine der roten Gruppe auf der Wiese rumtollen, bleiben die Schweine der Gruppe Weiss im halb offenen Sägemehlstall und die Schweine der Gruppe Blau im Innenstall. Ist der Auslauf für Gruppe Rot abgelaufen, ertönt eine Abfolge von zwei oder drei Tönen.
«Jede Gruppe hat ihren eigenen Klang – den haben sie sich nach wenigen Tagen gemerkt», sagt Franz Studer, dessen Familie seit Generationen Schweine züchtet. Kaum erklingt der erste Ton, rasen die Schweine ins Innere des Stalls, denn sie wissen: Jetzt gibts Futter! «Manchmal trödelt aber doch noch eins draussen rum», erzählt Studer. «Deshalb geht das Tor nicht einfach automatisch zu. Das digitale System überprüft mit Kameras und Bewegungsscannern, ob auch wirklich alle Tiere drinnen sind, die drinnen sein sollen.»
Von seinem Handy aus kann Studer auf die Stall-Software zugreifen. Und tatsächlich: Während unseres Besuchs ist ein Schwein vom Fotografen so abgelenkt, dass ihm der Fütterungston herzlich egal ist. Kameras und Bewegungssensoren bemerken, dass ein Tier aus der Gruppe zurückgeblieben ist, und der Pfeifton erklingt immer wieder. Die Folge: Die Schweine der Gruppe Weiss müssen warten und können noch nicht raus – «sonst käme es zum Zusammenstoss und zu ordentlich Rabatz».
Schliesslich muss Franz Studer analog nachhelfen und das säumige Tier mit einer rasselnden Kelle in den Stall scheuchen. «Das kann die Software nicht!», lacht er. «Aber sie erleichtert uns die Arbeit. Ohne dieses System müssten wir den ganzen Tag lang Türchen öffnen und schliessen.» Die Sauen haben auch was davon: mehr Auslauf pro Tag und mehr Abwechslung, da sie häufiger von einem Bereich des Stalls in einen anderen wandern. Und die beiden Schweinehalter können ihre «Wiesenschweine» entsprechend vermarkten.
Schwein gehabt: Das hat laut Theo Schnider auch das Entlebuch. Selbst wenn die Bauern anfangs befürchteten, vor lauter Moorlandschaft bald auswandern zu müssen, so hat die Region die Einschränkung doch für sich nutzen können. Schnider: «Einmal überzeugt, sind die Entlebucher halt mit Leib und Seele dabei.»
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