Eine meiner ersten Erinnerungen an Fussballgrossanlässe sind die Paninibildchen. Wir haben sie zu Primarschulzeiten mit dem Sackgeld gekauft und auf dem Pausenplatz in unserem Heimatdorf Wiesendangen getauscht. Und natürlich die kleinen Turniere in den Pausen, die wir «gamen» nannten, bei welchen der Gewinner oder die Gewinnerin alle gesetzten Bildchen bekam.
Mit den gewonnenen Paninibildern füllten wir unsere Hefte, und die Vorfreude auf den EM-Start stieg von Tag zu Tag. Mein Bruder Manuel und ich sammelten zusammen, kannten alle Länder, alle Stadien, die meisten Spieler und den Wert der Paninibilder. Im Frühsommer kreisten alle unsere Gedanken um den Fussball. Entweder spielten wir selbst im Garten, auf der
Strasse oder im Verein, beschäftigten uns mit dem Paniniheft, das sich immer mehr füllte, wetteten, wer gewinnen würde, oder schauten am Abend die Spiele. Damals habe ich davon geträumt, es jedoch nie erwartet, dass es irgendwann tatsächlich ein Paninibild von Manuel geben würde. Dass er eins der Abziehbildchen sein würde, die Kinder tauschen. Dass es sein Name sein würde, der im Schweizer Kader aufgeführt ist.
Das ist Sarah Akanji
Bei uns in der Familie hatte der Fussball das ganze Jahr über eine besondere Bedeutung. Er war Thema beim Mittagessen, weil wir heimlich unter dem Tisch einen Ball zwischen den Füssen hatten, wir erzählten nach den Trainings beim FC Wiesendangen oder FC Winterthur von neu gelernten Tricks oder diskutierten, wer die grössten Chancen auf den EM-Pokal hat. Die ganze Familie besuchte an den Wochenenden die Spiele von Manuel und mir, und der Fussball war eingebettet in unser Familienleben. Von Fortschritten zu erzählen, liess unsere Augen glänzen. Die Niederlagen zu verarbeiten, half uns, uns weiterzuentwickeln. Tipps auszutauschen, machte uns cleverer, und das Ziel einer Profikarriere liess uns träumen.
Der Fussball begleitete und faszinierte uns. Er hatte eine Art Magie, war das Letzte, woran wir vor dem Schlafengehen dachten, und das Erste am Morgen nach dem Aufwachen. Und ebendiese Magie, die wir als Kinder laufend spürten, erfasst während grosser Länderturniere plötzlich die breite Gesellschaft. Das ganze Land fiebert mit, und es ist kaum möglich, der EM und ihren Resultaten auszuweichen – egal, ob Mensch fussballaffin ist oder nicht. Er zieht die ganze Schweiz in Bann. Die (Vor-)Freude wird auf den Alltag übertragen, Emotionen bei Sieg und Niederlage unseres Nationalteams werden von teils fremden Menschen geteilt, Small Talk wird plötzlich durch Fussballexpertise ersetzt. Ich hoffe, das wird auch während der Pandemie möglich sein – wenn auch etwas anders als sonst.
Für mich persönlich ist der Event wahrscheinlich noch spezieller. Manuel hat es tatsächlich geschafft, unseren Kindheitstraum Realität werden zu lassen. Mit viel Arbeit, grosser Disziplin, enormer Leidenschaft, viel Spielverständnis sowie mentaler und physischer Stärke hat er sich Schritt für Schritt hochgekämpft und stützt unser Nationalteam nun als Stammspieler aus der Verteidigung.
Sein Paninibild konnte ich mir bereits angeln. Und die Magie, die wir als Kinder spürten, wurde für mich durch dieses kleine, anderen vielleicht unwichtig erscheinende Abziehbild wieder zum Leben erweckt.