Es schneit, die Sonne geht unter, ein Gewitter zieht auf: Mit seinen raumgreifenden Installationen lädt Ugo Rondinone (59) das Publikum ein, in seine Kunst und die Elemente einzutauchen. «Cry Me a River» im Kunstmuseum Luzern (bis 20. Oktober 2024) ist eine Retrospektive, die sein vielfältiges Schaffen aus 30 Jahren zeigt. Mit zwei neuen Gemälden, die den Blick auf den Vierwaldstättersee bei Tag und bei Nacht einfangen. Eine Welt, die Rondinone keineswegs fremd ist. Denn der Künstler ist in Brunnen SZ aufgewachsen. Auch wenn er schon Jahrzehnte in New York lebt – in der Schweiz ist der gut gelaunte, charmante und entspannte Künstler immer wieder gern.
Ugo Rondinone, warum heisst Ihre Ausstellung «Cry Me a River»?
Es ist der Titel eines sitzenden Selbstporträts wie auch der Titel des Neonschriftzugs in Form und Farbe eines Regenbogens an der Fassade des Kunstmuseums Luzern. 1997 realisierte ich meine erste Aussenskulptur – einen Regenbogen. Der Regenbogen ist eine Brücke zwischen allen und allem. Er ist eine Metapher für unsere komplexen, sich ständig weiterentwickelnden Einstellungen gegenüber der Umwelt und den Menschenrechten. Es war mir wichtig, in den dunklen Jahren der Aids-Krise ein positives Zeichen in die Welt zu bringen. Im ersten Raum der Ausstellung kommen die älteste und die neuste Arbeit zusammen. Eben das Selbstporträt von 1995 und die Blitze von 2023. Bei beiden Arbeiten geht es um das Sehnen: entweder in sich hinein oder hinaus in die Natur. Zwischen diesen zwei Polen, der Innenwelt und der Aussenwelt, entwickelt sich die Arbeit immer weiter.
Welche Welten haben Sie und Ihre Kunst geprägt?
Ich bin ein Secondo. Meine Eltern sind Anfang der 60er-Jahre aus der süditalienischen Stadt Matera nach Brunnen ausgewandert. Die Höhlen von Matera gelten als die ältesten Behausungen der Welt. Brunnen liegt mitten in der Schweiz, ist umgeben von Bergen und vis-à-vis vom Rütli. Das sind zwei sehr unterschiedliche Welten, in denen ich als Kind pendelte. Dies hat wahrscheinlich auch meine Arbeit geprägt. Sie löst sich ständig in Dualität auf.
Sie pflegen die Langsamkeit, sagten Sie einmal. Haben Sie dafür eine schnelle Erklärung?
1985 ging ich nach Wien, um zu studieren. Ich lebte sieben Jahre dort. Wien war damals eine langsame Stadt. Im Winter verbrachte man viel Zeit in Kaffeehäusern, weil die grossen Wohnungen schlecht geheizt waren. Ausserdem waren gut 50 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner über 60. Das gab der Stadt eine gewisse Trägheit. Wien war damals wie Paris, aber ohne Menschen. Diese Kultur hat mich geprägt. Auch möchte ich mich nicht mit den neuen Technologien messen, denn das ist ein verlorener Kampf. Ich bin ein Einzelkünstler. Und ich denke, dass die Kraft der Kunst in ihrer Langsamkeit liegt, also im Analogen und nicht im Digitalen.
Ihre Kunst ist gut gelaunt, facettenreich und positiv. Sind Sie ein Romantiker?
Die Romantik, speziell die von Caspar David Friedrich, war immer eine Inspiration für mich. Die Angst, das Traurige, das Glückliche, die Liebe – das sind Gefühlszustände, die erstmals in der Romantik auftauchen. Vielleicht ist es nennenswert zu erwähnen, dass die Idee der Romantik, auf die sich das Werk immer wieder bezieht, in meiner Studienzeit in Wien oder in der zeitgenössischen Kunst der 80er- und 90er-Jahre kein Diskussionsmodell war. Mich interessierte die Idee der Romantik aus persönlichen Gründen. Im Glauben, meine Lebenszeit als schwuler Mann sei durch die Aids-Krise begrenzt, war die Romantik ein Rückzugsort, wo alles möglich war. Und mir erlaubte, über die Kunst Gefühle zu zeigen.
Und privat?
Ich hatte das Glück, 22 Jahre mit John Giorno, einem amerikanischen Dichter, zusammenzuleben. Durch ihn habe ich überhaupt New York entdeckt. Er ist in New York geboren und aufgewachsen. Dank ihm konnte ich wunderschöne Jahre lang die Romantik der Liebe erleben. Leider ist er vor über vier Jahren gestorben.
Was können Sie überhaupt nicht?
Rechnen! (Lacht.) Aber ich habe einen guten Buchhalter.
Wofür geben Sie am meisten Geld aus?
Für meinen Garten in Long Island. Seit vier Jahren bin ich dabei, einen Moosgarten anzulegen. Der Moosgarten ist auch ein Skulpturenpark, wo ich jeden Frühling eine neue Aussenskulptur von mir installiere.
Ein Garten für die Öffentlichkeit?
Geplant ist eine Rondinone-Stiftung, die den Skulpturenpark unterhält und Künstler unterstützt. Auf den zehn Hektaren stehen neben dem Haupthaus auch vier kleinere ehemalige Stallungen, die Schritt für Schritt renoviert und in Sommerstudios für junge Künstler umgewandelt werden.
Kommen Sie oft in die Schweiz?
Ich komme drei- bis viermal im Jahr in die Schweiz und besuche in Brunnen meine Eltern. Auch dieses Mal. Während des Aufbaus der Ausstellung war ich jeden Abend bei ihnen – vor allem bei meinem Vater, dessen Kräfte langsam erloschen. Er ist am Tag der Eröffnung der Ausstellung friedlich und ohne Schmerzen in seinem Bett eingeschlafen. Ich bin dankbar, dass ich ihn in den Tod begleiten konnte.