Eigentlich hat Rita Famos, 54, immer gesagt: «Falls ich nochmals eine neue Stelle antrete, mache ich vorher drei Monate Pause.»
Nun sitzt sie zu Hause in Uster ZH, verschickt noch jede Menge Mails als Abteilungsleiterin Spezialseelsorge der Zürcher Landeskirche und beantwortet schon Medienanfragen als neue Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.
Rita Famos steckt mitten in der Hektik des Übergangs: Das Alte ist noch nicht fertig, und das Neue hat bereits angefangen. Doch was als Erstes auffällt, ist ihre fröhliche Gelassenheit. Vielleicht, weil sie als Pfarrerin eine Expertin ist für Übergänge. So viele Menschen hat sie schon begleitet – ins Leben, in die Ehe oder in den Tod.
Das letzte Mal, als sie bei der Arbeit länger aussetzte, ist über 20 Jahre her: nach der Geburt von Flurina, 24, und Tobias, 23. «Nun wird es halt keine längere Pause mehr geben», sagt sie später bei Kaffee und Weihnachtsguetsli.
Anfang November ist die Pfarrerin an die Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt worden. Ihre Wahl erregte Aufsehen! Famos ist die erste Frau, die dieses Amt bekleidet – und ausserdem die Nachfolgerin von Gottfried Locher. Der frühere Präsident der EKS trat letzten Mai zurück, weil ihm «psychische und sexuelle Grenzverletzung» gegenüber kirchlichen Mitarbeiterinnen vorgeworfen wurde..
«Die reformierte Kirche hat zu spät hingeschaut», sagt Famos. Man wisse, dass die Kombination aus Macht und Religion heikel sein könne: «Einem geistlichen Amtsträger bringt man per se Vertrauen entgegen. Darum müssen wir als Religionsgemeinschaft die Menschen auf dieses Thema sensibilisieren – und wenn doch etwas passiert, hinschauen und gegebenenfalls die juristischen Konsequenzen ziehen.» Die Kirche habe bisher gut reagiert, unter anderem mit einer neutralen Opfer-Meldestelle.
Rita Famos weiss um den Druck, der auf ihr lastet. Die Medien haben sie als «Gesicht der Hoffnung» hochgeschrieben. Man erwartet, dass sie in der reformierten Kirche «aufräumt». Sie hingegen sagt: «Ich bin auch nur ein Mensch und kann nicht alles neu machen.» – «Ich bewundere Rita für ihren Mut», sagt Cla Famos, der seit 29 Jahren mit ihr verheiratet ist. Das Paar hat sich im Theologiestudium an der Uni Bern kennengelernt. Vor 28 Jahren kamen die beiden nach Uster und teilten sich hier mehrere Jahre eine Pfarrstelle.
«Wir haben uns nie konkurrenziert», sagt Cla Famos. Er zeigt auf den «Anzeiger von Uster» auf dem Tisch. «Der Lokalteil ist mein Terrain», sagt er und lacht – Cla ist FDP-Stadtrat in Uster. Dass seine Frau – sie sprach früher das «Wort zum Sonntag» bei SRF – weit bekannter ist, freut ihn. «Wir leben die Koevolution, entfalten uns parallel und unterstützen uns.»
Wer den Begriff «Koevolution» gebraucht, hat sich wohl intensiv mit seiner Beziehung auseinandergesetzt. Rita Famos sagt: «In einer Ehe muss man sich immer wieder fragen: ‹Habe ich den anderen wirklich verstanden?›» Diese Frage stellt sie sich auch als Präsidentin der reformierten Kirche: «Verstehen die Menschen wirklich, was wir sagen?» Oft gälten religiöse Begriffe als veraltet, obwohl sie hochaktuell seien – etwa das Wort Gnade: «Es geht hier darum, dass der Mensch ungesehen seiner Fehler und seines Scheiterns geliebt ist.»
Sie selbst ist pragmatisch im Umgang mit Niederlagen. Bereits 2018 war sie gegen Gottfried Locher angetreten. Damals unterlag sie. «Ich habs versucht, es hat nicht geklappt, also habe ich weitergemacht.» Der Glaube habe ihr geholfen: «Das Vertrauen in die göttliche Kraft trägt mich.»
Aufgewachsen ist Famos in Utzenstorf BE – «nicht reformierter als andere». Ihre Mutter war alleinerziehend, die drei Geschwister besuchten ab und zu die Sonntagsschule. Später schloss sich Famos aber einer kirchlichen Jugendgruppe an und fand im Glauben Sinn. Ihr Theologiestudium schloss sie mit einer Masterarbeit über die Sterbehilfeorganisation Exit ab – das Thema beschäftigt sie bis heute. «Es gibt Situationen, in denen Menschen über einen assistierten Suizid ernsthaft nachdenken. Sie in diesem Ringen zu begleiten und in ihrer Entscheidung zu akzeptieren, ist eine wichtige seelsorgliche Aufgabe.»
Famos weiss, dass etliche Mitglieder der reformierten Kirche anders denken. «Das ist auch gut so», betont sie. «Das Wichtigste ist, dass wir wieder mehr miteinander diskutieren. Gute Lösungen fallen nicht vom Himmel.» So seien die Reformierten ja auch entstanden – in der Auseinandersetzung mit den Katholiken.
Ab Januar hat Rita Famos in Bern ein WG-Zimmer, damit sie nicht täglich zur EKS-Geschäftsstelle pendeln muss. Ihre Mitbewohnerin ist eine Freundin aus ihrer Studienzeit. «Ich bin gespannt, wie das funktioniert», sagt sie. Da ist sie wieder, ihre fröhliche Gelassenheit.