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Rita Famos

Die Spitzenfrau der Reformierten ganz privat

Früher sprach sie am TV das «Wort zum Sonntag». Jetzt präsidiert Rita Famos, 54, als erste Frau die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz. Wie sie das angeschlagene Image ihrer Glaubensgemeinschaft aufpolieren will.

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Rita Famos, Praesidentin Reformierte Kirche Schweiz, 2020

Mut zum Aufbruch! Rita Famos, 54, bereitet sich zu Hause in Uster ZH auf ihr neues Amt als EKS-Präsidentin vor.

Lucian Hunziker

Eigentlich hat Rita Famos, 54, immer gesagt: «Falls ich nochmals eine neue Stelle antrete, mache ich vorher drei Monate Pause.»

Nun sitzt sie zu Hause in Uster ZH, verschickt noch jede Menge Mails als Abteilungsleiterin Spezialseelsorge der Zürcher Landeskirche und beantwortet schon Medienanfragen als neue Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.

Rita Famos steckt mitten in der Hektik des Übergangs: Das Alte ist noch nicht fertig, und das Neue hat bereits angefangen. Doch was als Erstes auffällt, ist ihre fröhliche Gelassenheit. Vielleicht, weil sie als Pfarrerin eine Expertin ist für Übergänge. So viele Menschen hat sie schon begleitet – ins Leben, in die Ehe oder in den Tod.

Das letzte Mal, als sie bei der Arbeit länger aussetzte, ist über 20 Jahre her: nach der Geburt von Flurina, 24, und Tobias, 23. «Nun wird es halt keine längere Pause mehr geben», sagt sie später bei Kaffee und Weihnachtsguetsli.

Rita Famos, Praesidentin Reformierte Kirche Schweiz, 2020

Zwölf Jahre lang war Rita Famos Pfarrerin der reformierten Kirche in Uster ZH. «Hier fühle ich mich zu Hause», sagt die gebürtige Bernerin.

Lucian Hunziker
Skandal um Gottfried Locher

Anfang November ist die Pfarrerin an die Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt worden. Ihre Wahl erregte Aufsehen! Famos ist die erste Frau, die dieses Amt bekleidet – und ausserdem die Nachfolgerin von Gottfried Locher. Der frühere Präsident der EKS trat letzten Mai zurück, weil ihm «psychische und sexuelle Grenzverletzung» gegenüber kirchlichen Mitarbeiterinnen vorgeworfen wurde..

Gottfried Locher, 2015

Der ehemalige Ratspräsident Gottfried Locher trat im Mai 2020 nach Vorwürfen von Frauen zurück. 

Kurt Reichenbach

«Die reformierte Kirche hat zu spät hingeschaut», sagt Famos. Man wisse, dass die Kombination aus Macht und Religion heikel sein könne: «Einem geistlichen Amtsträger bringt man per se Vertrauen entgegen. Darum müssen wir als Religionsgemeinschaft die Menschen auf dieses Thema sensibilisieren – und wenn doch etwas passiert, hinschauen und gegebenenfalls die juristischen Konsequenzen ziehen.» Die Kirche habe bisher gut reagiert, unter anderem mit einer neutralen Opfer-Meldestelle.

Gemeinsam wachsen

Rita Famos weiss um den Druck, der auf ihr lastet. Die Medien haben sie als «Gesicht der Hoffnung» hochgeschrieben. Man erwartet, dass sie in der reformierten Kirche «aufräumt». Sie hingegen sagt: «Ich bin auch nur ein Mensch und kann nicht alles neu machen.» – «Ich bewundere Rita für ihren Mut», sagt Cla Famos, der seit 29 Jahren mit ihr verheiratet ist. Das Paar hat sich im Theologiestudium an der Uni Bern kennengelernt. Vor 28 Jahren kamen die beiden nach Uster und teilten sich hier mehrere Jahre eine Pfarrstelle.

Rita Famos, Praesidentin Reformierte Kirche Schweiz, 2020

Ein Buch, ein Glas Wein – so gemütlich ist der Feierabend bei Rita und Cla Famos selten. «Ich bin oft auch abends unterwegs», sagt sie.

Lucian Hunziker

«Wir haben uns nie konkurrenziert», sagt Cla Famos. Er zeigt auf den «Anzeiger von Uster» auf dem Tisch. «Der Lokalteil ist mein Terrain», sagt er und lacht – Cla ist FDP-Stadtrat in Uster. Dass seine Frau – sie sprach früher das «Wort zum Sonntag» bei SRF – weit bekannter ist, freut ihn. «Wir leben die Koevolution, entfalten uns parallel und unterstützen uns.»

Wer den Begriff «Koevolution» gebraucht, hat sich wohl intensiv mit seiner Beziehung auseinandergesetzt. Rita Famos sagt: «In einer Ehe muss man sich immer wieder fragen: ‹Habe ich den anderen wirklich verstanden?›» Diese Frage stellt sie sich auch als Präsidentin der reformierten Kirche: «Verstehen die Menschen wirklich, was wir sagen?» Oft gälten religiöse Begriffe als veraltet, obwohl sie hochaktuell seien – etwa das Wort Gnade: «Es geht hier darum, dass der Mensch ungesehen seiner Fehler und seines Scheiterns geliebt ist.»

Sie selbst ist pragmatisch im Umgang mit Niederlagen. Bereits 2018 war sie gegen Gottfried Locher angetreten. Damals unterlag sie. «Ich habs versucht, es hat nicht geklappt, also habe ich weitergemacht.» Der Glaube habe ihr geholfen: «Das Vertrauen in die göttliche Kraft trägt mich.»

Rita Famos, Praesidentin Reformierte Kirche Schweiz, 2020

Aktuell liest Famos «Die schweizerische Reformation» – «empfehlenswert».

Lucian Hunziker
Der Glaube und Exit

Aufgewachsen ist Famos in Utzenstorf BE – «nicht reformierter als andere». Ihre Mutter war alleinerziehend, die drei Geschwister besuchten ab und zu die Sonntagsschule. Später schloss sich Famos aber einer kirchlichen Jugendgruppe an und fand im Glauben Sinn. Ihr Theologiestudium schloss sie mit einer Masterarbeit über die Sterbehilfeorganisation Exit ab – das Thema beschäftigt sie bis heute. «Es gibt Situationen, in denen Menschen über einen assistierten Suizid ernsthaft nachdenken. Sie in diesem Ringen zu begleiten und in ihrer Entscheidung zu akzeptieren, ist eine wichtige seelsorgliche Aufgabe.»

Famos weiss, dass etliche Mitglieder der reformierten Kirche anders denken. «Das ist auch gut so», betont sie. «Das Wichtigste ist, dass wir wieder mehr miteinander diskutieren. Gute Lösungen fallen nicht vom Himmel.» So seien die Reformierten ja auch entstanden – in der Auseinandersetzung mit den Katholiken.

Ab Januar hat Rita Famos in Bern ein WG-Zimmer, damit sie nicht täglich zur EKS-Geschäftsstelle pendeln muss. Ihre Mitbewohnerin ist eine Freundin aus ihrer Studienzeit. «Ich bin gespannt, wie das funktioniert», sagt sie. Da ist sie wieder, ihre fröhliche Gelassenheit. 

Von Michelle Schwarzenbach am 31. Dezember 2020 - 08:00 Uhr