Lautes Summen der Windmaschine erfüllt das Fotostudio im Zürcher Leutschenbach und lässt die Haare der vier Frauen in eleganten Schwüngen wehen. Das Blitzlicht der Kameras flackert rhythmisch auf. «Läck, ich bin total aus der Übung geraten. Es ist nicht mehr so einfach wie früher, gleichzeitig das Füdli zusammenzukneifen, das Gesicht unter Kontrolle zu haben und mit den Armen passend zu posieren», meint Tanja Gutmann (47) und sorgt für lautes Lachen bei Melanie Winiger (45) Christa Rigozzi (41) und Karina Berger (55).
Als der Fotograf vorsichtig in eine weisse Schachtel greift und erste funkelnde Kristalle zu sehen sind, schreit Winiger auf: «Bleib mir fern damit! Ich bin immer noch traumatisiert von diesem Ding, es gibt nichts Unbequemeres und Schmerzhafteres.» «Tu nicht so. Keine von euch hat bleibende Schäden davongetragen», entgegnet Karina neckisch. Zum Vorschein kommt das ikonische Miss-Schweiz-Krönchen, das allen Gewinnerinnen von 1995 bis 2013 aufs Haupt gesetzt wurde. Ein Moment, der das Leben der vier Frauen komplett verändert hat und bis heute prägt.
Die Miss-Wahlen waren ein Phänomen
Kein Wunder, denn die Miss-Wahlen waren ein Phänomen. Die ganze Nation fieberte dem Spektakel entgegen, das vom Schweizer Fernsehen zur Primetime als Mega-Show live übertragen wurde. In allen Sprachregionen verfolgte ein Millionenpublikum, welche Kandidatin zur schönsten gekürt wurde. Das Ausmass der Ekstase ist kaum zu erklären, ähnlich wie die heutige Euphorie um Pop-Superstar Taylor Swift. Stets hautnah mit dabei die Schweizer Illustrierte. So gehörte der Fototermin in der Hotelsuite am Tag danach zum Pflichtprogramm. Es entstanden Bilder, die Kultstatus erreichten. Das Cover war ihnen sicher.
Auch Jahrzehnte nach der goldenen Ära gelten die Ex-Königinnen als mondän – allen voran die vier Supermissen. Für einmal kommen sie wieder zusammen, um für das grosse SI-Shooting vor der Kamera zu stehen: Der Glamour von früher hält bis heute an!
Blaue Flecken statt Schminke
Der Tag beginnt zeitig. Sonntag, 9 Uhr. Als Erste steht Karina Berger da, dann treffen Tanja Gutmann und Melanie Winiger ein. Das Trio begibt sich auf direktem Weg für Make-up und Haare in die Maske. Stets an ihren Fersen das Kamerateam vom SRF. Die Sendung «Gesichter & Geschichten» begleitet die Missen für eine fünfteilige Serie, die den Wandel von stummen Schönheiten zu Meinungsmacherinnen zeigt.
Leichter Duft von Haarspray liegt in der Luft. Die Gespräche der Frauen werden immer wieder vom Föhngeräusch unterbrochen. Tiefenentspannt sitzen die einstigen Schönheitsköniginnen in ihren Sesseln, während die Schminkpinsel über ihre Gesichter streichen und Kämme die Frisuren richten. «Wisst ihr noch, früher haben wir uns immer mal wieder in diesem Setting getroffen. Das letzte Mal ist bestimmt 14 Jahre her», erinnert sich Karina Berger. «Stimmt!», entgegnet Tanja Gutmann, deren Augen noch heute wie Bergseen glänzen. «Schon verrückt, wie sich unsere Leben seit-her verändert haben. Früher war das unser Alltag. Jetzt habe ich überall blaue Flecken vom Tschutten mit meinem Sohn. Meine Beine so in einem Kleid zu zeigen, ist eine Zumutung.»
10.05 Uhr. Mit Schwung öffnet sich die Tür. «Buongiorno a tutti!» Mit einem breiten Lachen betritt Christa Rigozzi die Maske, schliesst ihre Kolleginnen in die Arme und begrüsst sie mit Küsschen. «Entschuldigt die Verspätung, ich bin mit dem ersten Zug aus dem Tessin angereist. Eher habe ich es nicht geschafft.»
Während ihre Vorgängerinnen darüber sinnieren, wie selten sie heute in einer Maske verwöhnt werden, ist es weiterhin Rigozzis täglich Brot. «Ich habe mich dafür entschieden, in diesem Business zu bleiben – und ich liebe es! In den nächsten 15 Tagen habe ich ein Dutzend Moderationen und Events. Ich sitze teilweise mehrfach am Tag auf dem Schminkstuhl. Heute geniesse ich es. Es sind Momente der Ruhe. Als Miss war das nicht immer so. Teilweise war ich extrem angespannt und unsicher.» «So ging es uns allen», ruft Melanie Winiger von ihrem Platz. «Früher habe ich mich auf diesen Stuhl gesetzt und wusste nicht, wie ich am Ende aussehen werde. Heute würde ich das niemals zulassen. Authentizität ist mir extrem wichtig.»
11.15 Uhr. Von der Maske geht es direkt zum Styling, wo Modeexpertin Luisa Rossi (60) bereits die Outfits für das Quartett bereitgelegt hat: «Ich will die Individualität von allen unterstreichen. Bei Christa ist klar, dass ihre langen Beine in den Fokus müssen. Karina hat eine bombastische Figur und Silhouette, die betont werden muss. Bei Tanja rücke ich das schöne Dekolleté und die Weiblichkeit ins Zentrum. Bei Melanie setze ich auf ihre rockige Art.» Jede Einzelne ist begeistert.
Berechtigtes Missen-Ende?
12.15 Uhr. Mittagspause. Zeit zum Durchatmen. Beim Essen kommt die Frage auf, ob es die Miss-Wahlen heute noch braucht. Sie sind sich einig: Nein! «Die Inszenierung findet mittlerweile auf Social Media statt. Dafür braucht es weder Fernsehen noch Zeitschriften. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass das Interesse nach wie vor enorm wäre», meint Karina Berger, die als «Missen-Mami» selbst in der Organisation tätig und für den Erfolg massgeblich mitverantwortlich war. «Ich bin mir da nicht mehr so sicher», widerspricht Winiger. «Es hat nur deinetwegen so gut funktioniert. Du hast uns alle auf diesen Weg gebracht.» Sichtlich verlegen weicht Berger aus: «Kommt, die Pflicht ruft, wir müssen ins Studio.» Ganz das Mami halt.
13.30 Uhr. Durch die langen Gänge der SRF-Katakomben werden die Missen zum Studio gelotst. Lässig sitzt Starfotograf Thomas Buchwalder (43) in seinem Stuhl. Kaum einer hatte die Schönheitsköniginnen so oft vor seiner Linse wie er. Doch vor einem Jahr entschied er sich, die Kamera zur Seite zu legen und sich beruflich neu zu orientieren. Umso grösser ist die Freude, dass er nun eine Ausnahme macht. «Was hast du dir für uns überlegt?», fragt Christa Rigozzi. «Wir machen ein Shooting in Anlehnung an die Supermodels der 90er. Ich will eure Kraft und Überzeugung spüren. Ihr seid allesamt starke, erfolgreiche Frauen. Zeigt mir das!»
Die Frauen nicken und begeben sich nach letzten Frisur- und Make-up-Korrekturen auf ihre Positionen. Ein Blitzlicht jagt das nächste. «Ja, genau so!» – «Hervorragend!», ruft Buchwalder. Sekündlich wechseln die einstigen Missen ihre Posen, als hätten sie seit ihrem Amtsjahr nichts anderes gemacht.
14.15 Uhr. «Gebt mir noch ein letztes Mal Power. Perfekt, danke, wir habens!» – «Was, so schnell?», fragt Tanja Gutmann. «Ich hätte gern mit euch noch weitergemacht», meint Melanie Winiger. «Es ist so schön, dass wir nach so vielen Jahren wieder zusammengekommen sind. Zu sehen, wie sich meine Schützlinge entwickelt haben, macht mich stolz», resümiert Karina Berger. «Wir müssen uns zum Znacht verabreden. Ich schicke euch Terminvorschläge», sagt sie bestimmt. Einmal Missen-Mami, immer Missen-Mami.
Vom 8. bis 12. Juli zeigt SRF 1 um 18.35 Uhr die «G&G»-Serie «Die Supermissen».