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Jeannine Gmelin nach gescheiterter Olympia-Qualifikation

«Die Trauer ist auch ein Geschenk»

Ihr Traum von Olympia in Paris ist geplatzt. Ruderin Jeannine Gmelin scheitert nach ihrem Comeback in der Qualifikation. Trotzdem bereut sie den Versuch nicht. Der Tod ihres Partners hat ihr neue Einsichten ins Leben eröffnet.

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Jeannine Gmelin, Ruderin

Jeannine Gmelin sitzt am Ufer des Sarnersees. Von hier aus kann sie die Stelle sehen, wo ihr Partner Robin tödlich verunglückte.

Kurt Reichenbach

Früher konnte ich kaum hier sitzen und auf den See schauen», sagt Jeannine Gmelin (34) «Früher» war vor anderthalb Jahren. Im Dezember 2022 stirbt ihr Lebenspartner und Trainer Robin Dowell mit 40 Jahren während einer Trainingsfahrt auf dem Sarnersee. Jetzt sitzt Gmelin entspannt am Ufer eben jenes Sees, lächelt. Der Blick hinaus aufs Wasser tut nicht mehr weh. Zumindest nicht immer. Ist sie glücklich? «Ja!», antwortet sie. Ohne Wenn und Aber. Selbst die verpasste Olympiaqualifikation kann daran nichts ändern. Die ehemalige Ruder-Weltmeisterin ist mit sich im Reinen.

Im Januar 2023, wenige Wochen nach dem Unfalltod ihres Partners, tritt Jeannine Gmelin zurück. Im November 2023 macht sie diese Entscheidung rückgängig, sie will es noch einmal wissen, Paris ist ihr grosses Ziel. Es war der gemeinsame Traum von ihr und Robin. Das Comeback wagt sie aber für sich selbst. «Mein Rücktritt war nicht meine eigene Entscheidung, es waren die Umstände», reflektiert sie. «Ich hatte nie dieses Gefühl, das sei jetzt mein letztes Rennen. Es gab keine Vorbereitung auf ein Ende. Es hat sich für mich so nicht stimmig angefühlt.»

«Ich wollte meiner Trauer Raum geben»

Die ersten Wochen und Monate nach Robins Tod kann sie kaum essen und schlafen. «An Training, an Spitzensport war nicht zu denken. Ich wollte meiner Trauer Raum geben.» Doch sie merkt bald: Es ist noch nicht vorbei. Einige Monate nach dem Unglück fängt sie wieder zaghaft an zu trainieren. Sie holt sich Expertisen ein: Ist ein ernsthaftes Comeback überhaupt realistisch? «Ich habe nur mit wenigen Leuten darüber geredet, es sollte meine eigene, authentische Entscheidung sein.»

Nur ein paar Monate bleiben Gmelin, um sich an die Schweizer Ruderspitze zurückzukämpfen. Sie trainiert in Phasen. Kann mein Körper zehn Stunden pro Wochen trainieren? Habe ich jeden Morgen Lust auf Training? Kann ich einen groben Trainingsplan verfolgen? Kann ich mich auch an diesen Plan halten, wenn ich mich mal nicht gut fühle? «Die Trauer ist unberechenbar», weiss sie. Vor allem, wenn sie im Training die Unfallstelle quert, holt sie das traurige Gefühl oft ein. Aber: «Dieser See ist der schönste Platz. Wer wünscht sich nicht, an seinem Lieblingsort zu sein?»

Von der Einzelkämpferin zum Team

Bei den Ausscheidungsrennen im März ist klar: Jeannine Gmelin ist zurück im Kader. Allerdings nicht mehr als Einzelkämpferin wie bis anhin. Zusammen mit ihrer jungen Kollegin Nina Wettstein (25) tritt sie im Doppelzweier an. Zweieinhalb Monate haben sie Zeit, um sich aufeinander abzustimmen, den gleichen Rhythmus zu finden. Es reicht nicht: Die beiden verpassen die Qualifikation für Paris. Trotzdem sieht es Jeannine Gmelin positiv. «Es war für mich mega cool. Ich konnte viel mehr daraus ziehen, als ich je gedacht hätte.» Sie musste mehr wert auf die Kommunikation legen. Im Boot und an Land. «Nina und ich sind beide sehr sensible Menschen, können negative Stimmungen rasch erkennen. Doch wir waren unsicher: Sprechen wir das an? Oder wie gehen wir damit um?»

Jeannine Gmelin mit Robin Dowell

Robin Dowell war Jeannine Gmelins Lebenspartner und Coach. Er starb im Dezember 2022 auf dem Sarnersee.

Privat

Sie lernt, den Rhythmus anzugleichen, eine neue Balance zu finden im Boot und daneben. «Wir haben Olympia verpasst, weil wir nicht schnell genug waren. Das kann ich gut akzeptieren.»

Robins plötzlicher Tod, ihr Umgang mit der Trauer – das alles hat Jeannine Gmelin weitergebracht. Ihre Gedanken überraschen: «Ich sehe den Trauerprozess als ein Geschenk. Er hat mir viele positive Sichtweisen auf das Leben gegeben. Es ist eine schöne Gabe, dass ich das Leben heute anders sehe.» Sie lässt sich Zeit bei ihren Entscheidungen, hört auf ihr Bauchgefühl. «Ich bin nicht nur Sportlerin. Ich bin nicht nur hart. Ich bin auch weich, komplex, vielschichtig, sensibel. Das war mir auch vorher bewusst. Doch ich führte oft einen inneren Kampf mit diesen Seiten.»

Das Hartsein treibt sie an. «Das Mitgefühl braucht es aber eben auch. Der Tod hat mir viel über das Leben beigebracht. Dieses ist nur wertvoll, weil es den Tod gibt. Alles hat ein Pendant», ist Jeannine Gmelin überzeugt. «Das realisiert zu haben, gibt mir eine innere Gelassenheit. Gegenüber mir selbst, aber auch gegenüber dem Leben.»

Die Zukunft nicht mehr verplanen

Ob sie in der kommenden Saison wieder auf höchstem Niveau rudern will, lässt sie offen. Sie könne heute nicht mehr sagen, was in zwei Monaten oder zwei Jahren sein wird. «Früher brauchte ich immer einen Plan. Aber was nützt es, mir heute zu überlegen, was in zwei Jahren ist? In zwei Jahren kann so viel passieren.» Das Rudern macht ihr nach wie vor grossen Spass. Doch auch ohne den Rudersport ist Jeannine Gmelins Leben erfüllt. «Ich habe so viele Interessen und Fähigkeiten.»

Sie hat eine Ausbildung als Integral Coach absolviert, könnte sich vorstellen, anderen Menschen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung zur Seite zu stehen. Auch ein kleines Pensum als Rudercoach wäre denkbar. Vorantreiben will sie aber ihr mobiles Café Rob’s Hood. Sie möchte dieses an verschiedenen Events betreiben, an Ruderregatten, aber auch an Festivals oder im Charity-Bereich. Dafür möchte sie sich in die Gastronomie einarbeiten. «Die Idee hatte ich mit Robin. Ich möchte nicht nur Kaffee verkaufen. Viel wichtiger ist mir, wie ich mich dabei fühle – wie viel Herzblut ich reingeben kann und dass ich dabei im Idealfall andere Menschen inspiriere.»

Kann sie sich eine neue Liebe vorstellen? «Ja», sagt sie schlicht. Und hält kurz inne. «Ich habe sehr engen Kontakt zu Robins Schwester. Sie wird nie wieder einen Bruder haben. Ich jedoch kann wieder eine Partnerschaft eingehen. Diese wird Robin nicht ersetzen. Aber ich glaube fest daran, dass ich die Vertrautheit mit einer anderen Person wieder haben darf. Die Vorstellung war lange Zeit krass. Doch jetzt bin ich an einem Punkt, wo ich das kann.»

Vorerst freut sie sich auf die Olympischen Spiele – wenn auch aus passiver Warte. Die Ruderrennen wird sie genau verfolgen. «Ich hatte mit allen, die dort am Start sein werden, sehr engen Kontakt in den letzten Monaten. Ich werde mitfiebern.» Und vielleicht wird sie in vier Jahren selbst noch einen Versuch wagen. Vielleicht. Ganz ausgeschlossen ist es zumindest nicht.

am 13. Juli 2024 - 06:00 Uhr