Helle Aufregung am Hauptsitz von Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft, in Zürich: Eine gewichtige Delegation aus Saudi-Arabien wird erwartet, im Foyer stehen Häppchen bereit, und vor dem Eingang diskutiert eine Frau heftig gestikulierend mit einem Taxifahrer.
Es ist aber nicht die Beziehung zum arabischen Land, die Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl auf Trab hält, sondern der Machtwechsel in den USA. «Donald Trumps Politik ist extrem widersprüchlich», sagt Rühl in ihrem hellen, mit Kunst behängten Büro. Und sie liefert auch gleich das Rezept dafür, wie die Schweiz auf diese wilden und unvorhersehbaren Entscheide reagieren soll.
Frau Rühl, Sie kennen die USA aus persönlicher Erfahrung: Von 1998 bis 2002 waren Sie Botschaftsrätin auf der Schweizer Mission bei der Uno und haben in New York gelebt. Wie nahe geht Ihnen der neue Regierungsstil im Weissen Haus?
Meine emotionale Bindung ist vor allem zu New York stark, weniger zu den USA als Ganzes. New York ist eine unglaublich spannende Stadt! Was nach der Wahl von Donald Trump in diesem Land abgeht, beschäftigt mich aber sehr. Ich schaue jeden Morgen aufs Handy, um zu sehen, was Herr Trump über Nacht wieder beschlossen hat. Für mich als Direktorin von Economiesuisse steht vor allem der Handelskrieg im Fokus, den der neue US-Präsident angezettelt hat.
Sie sprechen es an: Donald Trump verhängt im grossen Stil Strafzölle auf Importe. Wie gross ist das Risiko, dass auch die Schweiz betroffen sein wird?
Man kann es leider nicht anders sagen, Donald Trump tritt in einen Handelskrieg mit dem Ziel «to make America great again». Seine zwei Hauptkonkurrenten sind die EU und China. Insofern glaube ich nicht, dass Strafzölle gegen die Schweiz ein realistisches Szenario sind, aber es lässt sich auch nicht ausschliessen. Trump ist unberechenbar. Primär sehe ich vor allem die Gefahr, dass die Schweiz indirekt ins Visier gerät.
Das müssen Sie erklären.
Indirekt wären wir betroffen, falls die USA effektiv Importzölle gegen die EU verhängen und die EU im Gegenzug Massnahmen ergreift, die auch die Schweiz treffen. Wir hatten diese Situation 2018. Damals reagierte die EU auf die amerikanischen Strafzölle ihrerseits mit Zöllen auf Stahlimporte. Es gab zwar eine Ausnahmeregelung für die EWR-Staaten, nicht aber für die Schweiz. Es brauchte zwei Jahre, um die Situation wieder zu begradigen.
Gleichzeitig können Sie als Wirtschaftsfrau dem US-Präsidenten nicht verübeln, dass er die Wirtschaft an erste Stelle setzt. «Economy first» lautet schliesslich auch das Credo von Economiesuisse.
Ja, aber Trump setzt nicht auf «economy first», er setzt auf «American economy first». Das ist nicht dasselbe.
Sind seine Entscheide wenigstens gut für die amerikanische Wirtschaft?
Eben nicht. Das ist es, was niemand versteht. Trump setzt auf Strafzölle, um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu stärken und Investitionen anzuziehen. Gleichzeitig nimmt er aber in Kauf, dass durch die Zölle die Konsumgüter in den USA teurer werden und so die Inflation angeheizt wird. Damit schaden sich die USA letztlich selbst. Trumps Politik ist extrem widersprüchlich.
Wie soll die Schweiz mit dieser Widersprüchlichkeit umgehen?
Es braucht jetzt eine geballte Offensive in Washington mit Vertretern aus dem Bundesrat, der Bundesverwaltung und der Wirtschaft. Wir müssen der Trump-Administration dringend ein paar Schlüsselpunkte erklären.
Zum Beispiel?
Wir müssen erklären, dass Schweizer Unternehmen bereits heute im grossen Stil in den USA investieren: Wir sind der sechstgrösste Investor. Wenn es um Forschung und Entwicklung geht, sind wir sogar die Nummer eins! Wir sind definitiv nicht der Handelspartner, den Trump unter Kontrolle bringen muss.
Was macht Sie so sicher, dass die Schweiz Gehör finden wird?
Es ist unsere einzige Chance. Die Alternative wäre, zu Hause zu sitzen und Däumchen zu drehen. Das kann es nicht sein. Zudem müssen wir auch in Brüssel vorstellig werden, um uns gegen allfällige Gegenmassnahmen der EU zu wappnen. Wir müssen beide Achsen im Auge behalten.
«Eine Wirtschaft ohne Menschen funktioniert nicht»: Um im Volk wieder gehört zu werden, setzt Monika Rühl neu auf ein Botschafter-Netzwerk.
Roger HofstetterBrüssel ist ein gutes Stichwort. Das Ergebnis des Verhandlungspakets über die Weiterführung des bilateralen Wegs ist seit Weihnachten in den Grundzügen bekannt. Ihr erster Eindruck?
Gestützt auf die verfügbaren Informationen ist Economiesuisse mit dem Resultat zufrieden.
Was ist denn gut daran?
Das Ziel dieses Pakets ist, die Beziehungen zur EU zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Gerade in der aktuell unsicheren Lage ist dies extrem wichtig. Economiesuisse hat den bilateralen Weg immer unterstützt. Es ist ein exklusiver Weg, ein Schweizer Weg, den kein anderes Land hat. Um uns definitiv festlegen zu können, müssen wir aber die Veröffentlichung der Verträge und das Resultat der innenpolitischen Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern zum Lohnschutz abwarten.
Was wäre ein No-Go?
Wenn der flexible Arbeitsmarkt infrage gestellt und wenn etwa flächendeckende Mindestlöhne eingeführt würden. Aber insgesamt bin ich zuversichtlich, dass Economiesuisse das Verhandlungspaket zu den Bilateralen III unterstützen und in die Hose steigen wird, um im Abstimmungskampf die Ja-Kampagne anzuführen.
Es fällt auf: Sie sprechen konsequent von den Bilateralen III, die Gegner aus den Reihen der SVP hingegen von einem Unterwerfungsvertrag.
Dieses Vokabular ist inakzeptabel.
Haben Sie denn keine Angst vor Souveränitätsverlust, sollte die Schweiz diesen Vertrag unterschreiben?
Überhaupt nicht. Auch mit den Bilateralen sind und bleiben wir eigenständig. Wenn es im Rahmen der bilateralen Verträge neue Entwicklungen gibt, werden wir mit am Verhandlungstisch sitzen. Wir werden als Nicht-EU-Mitglied zwar nicht mitentscheiden, aber wir können die Diskussion mitgestalten. Das entspricht einer Stärkung der Souveränität.
Werden die Argumente von Economiesuisse im Volk überhaupt gehört? Führt man sich die Resultate der letzten Abstimmungen vor Augen – das Ja zur 13. AHV-Rente oder das Nein zur Reform der beruflichen Vorsorge –, kommen Zweifel auf.
Ich glaube schon, dass wir gehört werden. Auch wenn es stimmt, dass es zunehmend schwieriger wird. Doch bei den Bilateralen III geht es nicht nur um Wirtschaftsanliegen. Es geht auch um die Zusammenarbeit im Wissenschafts- und Forschungsbereich.
Auch das ist jetzt nicht gerade ein sexy Argument für die SVP-Basis.
Aber es ist ein sexy Argument für die Wissenschafts-Community hier in Zürich, in Basel, in Lausanne, also rund um unsere Hochschulen oder um wissenschaftsorientierte Unternehmungen. Kommt hinzu: Die Bilateralen regeln auch die Polizeizusammenarbeit und damit die grenzüberschreitende Bekämpfung von Kriminalität.
Die 62-jährige frühere Diplomatin ist seit 2014 Direktorin des Wirtschafts-Dachverbands Economiesuisse. Zuvor arbeitete sie in verschiedenen Funktionen beim Bund. Der Machtwechsel in den USA beschäftigt sie auch aus persönlichen Gründen sehr: Von 1998 bis 2002 war sie Botschaftsrätin auf der Schweizer Mission in New York. Rühl hat in Zürich Romanistik studiert und interessiert sich für Yoga, Ballett und klassische Musik.
Im Kern ist es aber ein Wirtschaftspaket. Die Frage bleibt: Wie wollen Sie sich beim Volk Gehör verschaffen?
Heutzutage ist es offenbar so, dass sich die Menschen in erster Linie fragen, was bei einem politischen Entscheid persönlich für sie herausspringt. Ergo muss es uns künftig besser gelingen, den Menschen zu vermitteln, was sie von einer gut funktionierenden Wirtschaft haben.
Was habe ich davon, wenn es der Wirtschaft gut geht?
Sie haben davon, dass das Grümpelturnier oder der Konzertsaal an Ihrem Wohnort von Unternehmen gesponsert wird. Zudem zahlen Firmen Steuern und sorgen für gute Infrastrukturen, etwa für Schulhäuser. Die Wirtschaft verschafft Ihnen einen Arbeitsplatz. Als Lernende bekommen Sie dank der Wirtschaft eine Ausbildung.
Gibt es weitere Ansätze, um die Leute für die Anliegen der Wirtschaft zu sensibilisieren?
Economiesuisse hat in den letzten Monaten ein Netzwerk von Botschafterinnen und Botschaftern aufgebaut mit dem Ziel, der Wirtschaft ein Gesicht zu geben. Mittlerweile sind es über 1300 Persönlichkeiten, die bereit sind, sich für die Wirtschaft einzusetzen, indem sie sich auf Social Media engagieren, Statements abgeben oder an Podiumsdiskussionen teilnehmen. Und zwar sind es nicht nur Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsidentinnen, sondern unterschiedliche Menschen von jung bis alt und aus allen Landesteilen, die unsere Wirtschaft am Laufen halten.
Vor den Wahlen 2019 warb die SP mit dem Slogan «Sie haben die Millionen, wir die Menschen» für sich. Geht es Ihnen mit dem Botschafter-Netzwerk darum, diese negative Darstellung zu kontern?
Absolut. Wir wollen aufzeigen: Eine Wirtschaft ohne Menschen funktioniert nicht. Die Wirtschaft, das sind wir alle.