Uff, was für ein Tag!» Jens Korte kommt atemlos in seinem Büro am Broadway an, den ganzen Tag verbringt er entweder hier oder in der New York Stock Exchange NYSE an der Wall Street. Den Weg von hier nach dort legt er im Sprint zurück. TV-Stationen, Radios – alle wollen vom deutschen Wirtschaftsjournalisten eine Einschätzung der Lage. Auch Tage nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, sämtliche Länder mit Zöllen zu belegen und dann diese - ausser bei China - um 90 Tage hinauszuzögern, herrscht Aufruhr. 9500 Milliarden US-Dollar sind gemäss Bloomberg innert Tagen vernichtet worden.
Herr Korte, wie reagieren die Börsenhändler auf dem Parkett der NYSE?
Ein Händler hat mir heute gesagt, er sei sauer, weil die USA sich diese Turbulenzen selber eingebrockt haben. Er sagte, es sei fast so schlimm wie am Black Monday 1987, dem ersten Börsencrash seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der US-Präsident wirft allen anderen Ländern vor, sie abzuzocken …
… dieser Vorwurf ist, was die Verteidigungsausgaben angeht, nicht unbegründet. Bis zum Krieg Putins gegen die Ukraine haben sich die anderen Nato-Länder zu stark auf die USA verlassen und ihre Verteidigungsausgaben heruntergefahren. Was aber den Handel betrifft, ist der Begriff Abzocke schon speziell. Trump hofft, Arbeitsplätze und Produktionen ins Land zurückzubekommen und damit weniger abhängig zu werden. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Der Welthandel ist doch aber darauf ausgerichtet, dass alle das machen, was sie am besten und am billigsten können.
Ja, klar. Aber nehmen wir das Beispiel des Schweizer Sportschuherstellers On. Dessen Aktien sind an der Börse tief getaucht! Denn die Produktion haben sie integral nach Vietnam ausgelagert, das für die USA nun mit einem Zoll von über 40 Prozent belegt wird. Das ist ein Klumpenrisiko, das sie nun sicher überdenken. Genau so kann man sich das für die USA vorstellen. Nur: Neue Produktionsketten lassen sich nicht mit dem Hammer verordnen, das braucht Zeit. Und es ist auch utopisch zu glauben, dass nun all die Jobs zurückkommen, Trump spricht von Hunderttausenden. Aber wir leben im Zeitalter der Robotik und der Automatisierung.
Sie haben On erwähnt, auch die UBS, die einzige Schweizer Grossbank, hat massiv verloren. Gefährlich?
Es haben alle Bankentitel verloren, das muss noch nicht dramatisch sein. Schwierig wird es, wenn das ganze Finanzsystem angesteckt wird. Bereits heute sieht man, dass Deals verschoben, Investitionen nicht getätigt werden. Beispielsweise hat der schwedische Zahlungsservice Klarna, eine Alternative zu amerikanischen Marken wie Paypal, den Börsengang jetzt grad verschoben.
Die Wall Street war in grossen Teilen Fan von Trump und seinen Ideen.
Der CEO der Investmentbank JP Morgan, Jamie Dimon, hatte nach der Wahl Trumps gesagt: «Die Banker tanzen auf den Strassen.» Heute nun hat ein Analyst von JP Morgan geschrieben: «There is blood on the street», also da ist Blut auf den Strassen. Zurzeit sind aber immer noch erstaunlich viele einverstanden mit Trumps Politik.
In den USA haben mehr Menschen auch selber in Aktien investiert. Werden sie nicht langsam sauer?
Der grosse Teil der amerikanischen Aktien wird von einem sehr kleinen, sehr reichen Teil der US-Bevölkerung gehalten. Aber anders als in der Schweiz hängt die Rentenversicherung der Amerikanerinnen und Amerikaner an der Börsenentwicklung. Die Leute beginnen sich zu fragen, was nun mit ihrer Rente passiert. Das schafft Verunsicherung, diese wiederum führt zu weniger Konsum, und darunter leidet die US-Wirtschaft.
Und was sind die Folgen davon, wenn die Amerikaner weniger kaufen?
In den USA spielt der Export keine so grosse Rolle. Zwei Drittel der produzierten Güter werden im Land verkauft, Hauptstützen der Wirtschaftsleistung sind also die amerikanischen Konsumenten. Wenn die Amerikaner kein Geld mehr ausgeben, dann schwächt das die grösste Volkswirtschaft der Welt, und das hat natürlich Folgen für die Weltwirtschaft. Ob wir das wollen oder nicht. Die Schweiz ist dann natürlich auch betroffen, denn jeder zweite Franken wird im Export verdient.
Der 55-Jährige betreibt mit seiner Frau, Wirtschaftsjournalistin Heike Buchter die New York German Press. Mit dem gemeinsamen Sohn Max leben sie im eigenen Heim in Brooklyn. «Ein Haus ist wie ein Sparschwein. Man wirft dauern Geld ein», meint er lachend.
Nathalie TaianaWas unterscheidet die jetzige Krise von anderen Börsencrashs?
Sowohl beim Black Monday 1987 als auch beim Platzen der Internetblase 2000, der Finanzkrise 2008 oder der Coronapandemie 2020 galten die USA den Anlegern als sicherer Hafen. Will heissen: raus aus den Aktien, rein in US-Staatsanleihen, die ein Maximum an Sicherheit bieten. Das ist jetzt anders, denn die derzeitige Politik schafft grösste Unsicherheit, und der Markt traut dem US-Staat als sicherer Hafen nicht mehr voll und ganz.
Die Staatsanleihen haben den USA aber geholfen, einen immensen Schuldenberg von über 36 Billionen anzuhäufen. Was unterscheidet die USA eigentlich von Griechenland, das vor dem Bankrott gerettet werden musste?
Die Staatsverschuldung der USA beträgt rund 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts. In Griechenland lag die Schuldenquote bei fast 130 Prozent. Man könnte sagen, dass wir uns griechischen Verhältnissen nähern. Für Griechenland oder auch Argentinien ist ein Staatsbankrott schlimm, aber die USA würden die ganze Welt mitreissen. Sie können nicht bankrott- gehen.
Der Dollar hat sich auch abgeschwächt. Welche Folgen hat das?
Normalerweise sollten Zölle den Dollar stärken. Jetzt aber geht man davon aus, dass sich die Wirtschaft abkühlt, eventuell die Zinsen sinken und damit der Dollar an Kraft verliert.
Kann Trump das gewollt haben?
Ich glaube schon, dass Trump und seine Regierung in Kauf nehmen, dass die Kurse tauchen. Sie haben sicher mit Turbulenzen gerechnet, aber ob sie das in dem Mass vorausgesehen haben? Ich weiss es nicht, man muss ja jetzt eigentlich schon von Chaos sprechen.
Experten weltweit rechnen mit einer Rezession, in den USA auch mit starker Inflation. Wird das ein Signal sein, das die Regierung zum Umschwenken bringt?
Die Inflation ist schon unter Präsident Biden gestiegen, nicht sein persönlicher Fehler, sondern eine Folge der Coronapandemie und der steigenden Energiepreise. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Zusammen mit meiner Frau Heike und unserem Sohn Max waren wir im Herbst mit dem Auto südwestlich von New York unterwegs. Ein Steak im Restaurant gibts heute nicht mehr unter 30 Dollar. Das ist schon unheimlich viel in einem Dorf auf dem Land. Vor ein paar Jahren lag der Preis noch bei etwa 18 Dollar.
Auch die Mieten sind hoch wie noch nie!
Wir haben zum Glück vor Jahren in Brooklyn ein Haus gekauft, drum sind wir davon nicht betroffen. Es wird im ganzen Land zu wenig gebaut. Grund sind die hohen Zinsen – eine Hypothek kostet rund sieben Prozent – sowie die Spätfolgen der Finanzkrise 2008.
Für Tage wie diese wurde Fast Food erfunden. Jens Korte verpflegt sich fliegend.
Nathalie TaianaWie erleben Sie selber das Leben unter Trump?
Das Ausmass von dem, was momentan passiert, erschüttert mich schon. Ich kenne persönlich Leute, denen die Jobs beim Staat gekündigt wurden, und solche, die Angst haben, dass ihre Firma pleitegeht. Das alles ist für mich nicht nur Theorie, sondern ich bekomme das hautnah mit. Auch durch unseren Sohn Max, der hier in New York eine öffentliche High School besucht. Er hat Schulkolleginnen und -kollegen, die nicht mehr kommen, weil ihre Eltern keinen Aufenthaltstitel haben und sich vor einer Deportation fürchten. Das ist wirklich schlimm.
Wird sich in den nächsten Wochen oder Monaten etwas ändern?
Trump regiert ja mit Dekreten, also Präsidialerlassen. Diese werden nun nach und nach vor die Gerichte gebracht und dort beurteilt. Man wird sehen, ob die sogenannten Checks and Balances, also die Gewaltenteilung, noch funktionieren.
Wie stehts mit Ihrem Börsen-Portfolio?
Als Finanzjournalist darf ich nicht handeln. Ich muss alle Titel mindestens ein Jahr behalten. Zudem bin ich kein Zocker, das entspricht mir nicht.
Wäre jetzt der gute Moment einzusteigen?
Der Händler, den ich zitierte, rät ab: noch zu viel Unsicherheit. Abwarten und schauen, was kommt.
Möchten Sie nicht langsam nach Good Old Europe zurückkehren?
Nein. Ich bin Wirtschaftsjournalist und die Wall Street ist immer noch der Ort, um den sich alles dreht.