Vier Stunden vor ihrem Auftritt im Casino Theater in Burgdorf BE grundiert Dodo Hug (73) ihr Gesicht mit einem Make-up-Schwämmchen. Ein paar Lachfalten, ansonsten hat das Leben kaum Spuren auf ihrer Haut hinterlassen. Dennoch knipst sie lieber nicht alle Spiegellämpchen an – «nach einer langen Nacht ist mir wohler so». Am Vorabend ist sie im St. Gallischen aufgetreten, danach noch das Bühnenequipment abbauen, verladen und nach Zürich heimfahren. «Ich stecke das nicht mehr so leicht weg wie früher.»
Und wie sie da sitzt, das «Gsüün» ganz sanft, spürt man eine leise Müdigkeit mitschwingen. Aber diese wird jäh verscheucht, als sie zum Handy greift und ein Zitat heraussucht, das ihr ein Bekannter kürzlich geschickt hat: «Wer singt, betet doppelt.» – «Mir gefällt dieser Satz irrsinnig gut», sagt sie, und ihr Gesicht könnte kraftvoller nicht strahlen.
Dodo Hug ist eine Frau, für die man eigens ein Wort erfinden müsste, um sie treffend zu beschreiben. Wenn sie in der Künstlergarderobe aus ihrem Leben erzählt, dann gehen Bern- und Zürichdeutsch Hand in Hand, dann wechseln sich Weisheiten mit Kraftwörtern ab («Die Kultur ist am Arsch»).
Der «Dodoismus»
Die Künstlerin zelebriert das Sowohl-als-auch regelrecht und verströmt diese warme Zuversicht, dass es neben Schwarz-Weiss auch Farben und Grautöne gibt. Oder in anderen Worten: Sie lebt den puren «Dodoismus». Seit fast 50 Jahren steht sie als Sängerin, Musikerin und Komödiantin auf der Bühne und bedient Genres von Blues über Jodel bis Chanson. Letztes Jahr hat sie zusammen mit ihrem Lebenspartner Efisio Contini ein Album mit sardischen Liedern herausgebracht, «Castiadas». Mit diesem tourt das Paar zusammen mit einer Sängerin und einem Multiinstrumentalisten durch die Schweiz.
Im Casino Theater Burgdorf ruft Efisio Contini zum Soundcheck. Für ihn ist das neue Album eine Herzensangelegenheit. Der 63-Jährige ist in Sardinien aufgewachsen und trägt das alte Liedgut in seinen Wurzeln. Einige Arrangements hat er modernisiert, manche gar neu geschrieben. Längst führen Efisio Contini und Dodo Hug eine musikalische Partnerschaft auf Augenhöhe. Sie gehören zueinander wie das Sowohl-als-auch.
«Immer nur die Lustige»
Aber das war nicht immer so – zumindest nicht in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. «Als ich mit Efisio zu arbeiten begann, hiess es, er sei schuld, dass ich nicht mehr lustig bin», erinnert sich die Sängerin. Kurze Rückblende: Es ist das Jahr 1994. Dodo Hug löst ihr komödiantisches Ensemble Mad Dodo auf – sie hat damit den Salzburger Stier und den Deutschen Kleinkunstpreis gewonnen. «Es war mir verleidet, immer nur die Lustige zu sein», erzählt sie. «Das Publikum lachte, selbst wenn wir melancholische Lieder anstimmten, das war mir irgendwann zuwider.» Als sie auf den Musiker und Cantautore Efisio Contini trifft («Es war Liebe auf den ersten Blick») und mit ihm neue Wege geht, bekundet das Publikum Mühe. Es wollte Lieder in der «Dr Ätti»-Manier, wollte mehr von «I ma nümm». Aber Dodo Hug wusste: «Ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken.»
Dass ihr dieses «Schublädele» nicht entspricht, hat sie nicht nur mit ihrer mannigfaltigen Karriere bewiesen. Das zeigt sich auch in ihrer Offenheit für die Welt: Sie ist italienisch-schweizerische Doppelbürgerin, singt in mehreren Sprachen, darunter Jiddisch und Grammelot, liest historische Romane und Biografien, schreibt Postkarten und freut sich, dass ihr bald jemand «dieses Instagram-Dings» erklärt. Mehrmals haben Plattenlabels versucht, sie mit Etiketts wie Chansonnière oder Jazzsängerin zu locken. «Dann hätten sie mich besser vermarkten können.»
Nicht mehr «en vogue»
Aber eben: «Schublädele» mag sie nicht. Dann lieber alles in Eigenregie erledigen: von den Tonaufnahmen über die Produktion bis zum Versand – «auch wenn es eine Mordsbüez ist». Es stimmt sie nachdenklich, dass es heute nur noch um das Mehr geht. «Marketing und Kommerz allein zählen – und Standing Ovations gibts bei jeder Gelegenheit.» Die Kleinkunst, fügt sie an, sei nicht mehr «en vogue». Und doch hat es Dodo Hug bis heute geschafft, sich ein Stück von der grossen Unterhaltungstorte zu sichern. Die Vorstellung in Burgdorf ist ausverkauft.
Kurz vor ihrem Auftritt steckt Dodo Hug ihr Haar zu einem Dutt hoch, zieht die Lippen rot nach und setzt ihre kugelrunde schwarze Brille auf. Nur noch wenige Minuten bis zum Auftritt. Es reicht gerade noch für die Frage, in welchen Momenten sie denn ans Aufhören denkt. Sie schaut einen an mit einer Mischung aus «Hä?» und «Gehts noch!» und sagt: «Wenn man etwas wirklich liebt, stellt man sich diese Frage nicht.»