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Gipfeltreffen Patti Basler & Gerhard Pfister

«Cringe verstehe ich nicht»

Beide haben früher unterrichtet, beide jonglieren gern mit Worten: Was Nationalrat Gerhard Pfister und Komikerin Patti Basler über nervige Eltern, gender­gerechte Sprache und künstliche Intelligenz denken.

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Gipfeltreffen Patti Basler Poetin und Gerhard Pfister Parteipraesident die Mitte

Gerhard Pfister und Patti Basler ergründen die unendlichen Windungen des Gehirns – und die der Jugendsprache. Der Begriff «Cringe» beschreibt übrigens etwas Peinliches oder Unangenehmes.

Geri Born

Aus dem Bundeshaus kennen sich Patti Basler und Gerhard Pfister bestens: Dort lauert die Kabarettistin jeweils den Parlamentariern auf, um ihnen für die SRF-Sendung «Deville» muntere Antworten zu entlocken. «An Patti kommst du nicht vorbei», sagt Pfister. Nun – auch an diesem Nachmittag gibt es für den Mitte-Präsidenten kein Ausweichen: Im Museum für Kommunikation trifft er Patti Basler zum Gipfeltreffen. Hier begegnen sich die beiden für einmal nicht als Politiker und Kabarettistin, sondern als ehemaliger Lehrer, als ehemalige Lehrerin. Beiden liegt die Bildung am Herzen – und beide wissen es immer ein bisschen besser.

Frau Basler und Herr Pfister, wer von Ihnen war besser in der Schule?
Gerhard Pfister: Im Gymnasium war ich ein angepasster Fünfer-Schüler. Früher, in der Primarschule bei Fräulein Widmer, gab es ja Kleberchen, und die waren einfacher zu sammeln.
Patti Basler: Fräulein Widmer habe ich zufälligerweise kennengelernt, an einem kleinen, informellen Auftritt. Als ich sagte, bald trete ich in Oberägeri auf, sagte sie: «Jösses, der Gerhardli.» Ich selbst war am besten an der Uni, als ich Erziehungswissenschaften, Soziologie und Kriminologie studierte.

Sie haben beide unterrichtet …
Pfister: Über 30 Jahre, Deutsch und Philosophie am Gymnasium. Ich schätzte den Wechsel zwischen Politik und Schule sehr: morgens eine Kommissionssitzung mit einem Bundesrat, nachmittags ein Gespräch mit einem Schüler über Liebeskummer. Jugendliche sind direkt. Das fehlt mir.

Ihr bester Trick, wenn Kinder den Unterricht stören?
Basler: Die Rolle der Schülerinnen und Schüler im Unterricht wird überschätzt – sie sind mit Abstand der grösste Störfaktor. Im Ernst: Das Wichtigste ist die persönliche Beziehung. Die fehlt in Unis und grossen Gymnasialklassen.
Pfister: Das sehe ich auch so. Ich habe immer an einem kleinen Gymnasium unterrichtet und konnte an das erwachsene Ich der Schüler appellieren. Anders ist es, wenn Lehrerinnen und Schüler einander nicht ausgewählt haben – das kann hart sein.
Basler: Hast du selber mal an einer Realschule unterrichtet? Oder ist das jetzt Mansplaining?
Pfister: Ich kann es mir vorstellen …
Basler: Eben, klassisches Mansplaining!

Was nervt Sie an Schülern?
Pfister: Das Nervigste sind die Eltern, das Umfeld, die Leute, die den Unterricht stören, aber auch die Politik, also das gesamte Drumherum. Für Lehrpersonen ist es schwierig, ihrem Kerngeschäft nachzugehen.
Basler:
Ich habe an einer Privatschule unterrichtet. Dort ist der Umgang mit Eltern einfacher: Wer für die Schule bezahlt, geht davon aus, dass sie gut ist, sonst würde man ja sich selbst infrage stellen.
Pfister: Stimmt! In Privatschulen handelt es sich sozusagen um eine Kundenbeziehung. Beide Parteien können den Vertrag auflösen, wenn sie nicht mehr zufrieden sind.

Gipfeltreffen Patti Basler Poetin und Gerhard Pfister Parteipraesident die Mitte

Er wuchs als Sohn eines Schulleiters im Schulhaus in Oberägeri ZG auf. Gerhard Pfister, 60, sitzt seit 2003 im Nationalrat und ist über sieben Jahre Präsident der Mitte Schweiz. Er unterrichtete 30 Jahre und leitete eine Internatsschule.

Geri Born

Was würden Sie gerne lernen, was Sie noch nicht können?
Pfister: Viele Bücher lesen, Länder bereisen. Ich war noch nie in Südamerika, kenne die USA nicht. Aber ich lebe auch gut ohne.
Basler: Warum willst du andere Regionen kennenlernen, wenn du nicht einmal dein eigenes Land kennst? Geh doch mal ins Getto, unterrichte an einer Realschule.
Pfister: Als Parteipräsident komme ich in der Schweiz herum und weiss, dass nicht alle Ecken gleich wie der Kanton Zug sind. Und das ist gut so.
Basler: Nicht überall sind die Strassen mit Gold gepflastert. Ich komme aus dem Fricktal, das ist eine harte Schule.

Was können andere von Ihnen lernen?
Pfister: Ich kann mir vorstellen, dass man von Patti selbstsicheres Auftreten lernen kann.
Basler: Von Geri kann man die Philosophie des Abwartens in der Mitte lernen – oder wie man die eigene Mitte findet. Ich selbst bin eine klassische Besserwisserin. Zum Glück habe ich tatsächlich oft recht.

Wie entscheiden Sie – mit Kopf oder Herz?
Pfister: Wenn ein Konflikt zwischen Verstand und Gefühl besteht, dann stimmt etwas nicht. Bei wichtigen Entscheiden waren sich Kopf und Herz stets einig bei mir.
Basler: Was sind wichtige Entscheide?
Pfister: Wen man heiratet, mit wem man durchs Leben geht. Oder die CVP neu zu benennen und umzustrukturieren. Nach den Eidgenössischen Wahlen 2019 war mir klar, dass ich etwas tun muss. Aber das Herz brauchte noch eine Weile, bis ich mich traute. Wenn ich zurückschaue auf all die Widerstände und Enttäuschungen, dann weiss ich nicht, ob ich nochmals den Mut dazu aufbringen würde.
Basler: Du hast der CVP das C genommen, das Christliche.
Pfister: Manche haben das so empfunden, ja. Zu zeigen, dass die Partei sich öffnen muss und nur mit einem neuen Namen und einer neuen Struktur Zukunft hat, war nicht einfach. Ich habe das lange mit mir rumgetragen.

Was war für Sie eine schwierige Entscheidung, Patti Basler?
Ich hätte nach dem Lizenziat doktorieren und in die Forschung gehen können. Aber das war im Grunde keine schwierige Entscheidung, als ich merkte, wie voll mein Auftragsbuch war mit Auftritten.
Pfister: Hast du dich nie bewusst entschieden, diesen Weg zu gehen?
Basler: Als ich zum ersten Mal an einem Poetry-Slam teilnahm, wusste ich: Wenn das funktioniert, wird sich mein Leben verändern. Das war aber sieben Jahre bevor ich anfing, mit Auftritten und Kolumnen Geld zu verdienen.

Gipfeltreffen Patti Basler Poetin und Gerhard Pfister Parteipraesident die Mitte

Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Fricktal im Aargau, wird Patti Basler, 46, erst Sekundarlehrerin, studiert dann 22 Semester an der Philosophischen Fakultät. Die Trägerin des Salzburger Stiers gehört zu den etabliertesten Satirikerinnen der Schweiz.

Geri Born

Sie beide lieben die Sprache. Verstehen Sie die heutigen Jugendlichen noch?
Pfister: Nein. Und ich finde es schlimm, wenn Lehrpersonen so tun, als gäbe es den Altersunterschied nicht.
Basler: Es ist so «cringe», wenn man dann «cringe» sagt.
Pfister: «Cringe» verstehe ich nicht. Das ist nicht meine Sprache. Aber jede Generation muss eine eigene Ausdrucksweise entwickeln, das gehört zur Identitätsfindung. Ich finde das spannend.

Gendern Sie?
Basler: Oh, da bin ich jetzt gespannt.
Pfister: Auf eine sehr traditionelle Art. Seit Jahren schreibe ich immer beide Endungen, Schülerinnen und Schüler. Ich finde ein Bewusstsein richtig, habe aber noch nie einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht.
Basler: Aber du bist nicht Bundesrat geworden, weil sie eine Frau wollten.
Pfister: Vermutlich ja.
Basler: Du hättest nur noch mit deinem Zuger Tesla vorfahren müssen.
Pfister: Zwanzigmal nein und drei riesige Ausrufezeichen! Das stimmt nicht.
Basler: Ach, komm schon, du wärst doch gerne Bundesrat geworden!
Pfister: Ein Jahr später hätte ich vielleicht Chancen gehabt. Aber das gehört halt zum System der Schweizer Politik.
Basler: Mich an deiner Stelle hätte das genervt.
Pfister: Wenn einen das nervt, hat man nichts in Bundesbern zu suchen. Darf ich noch einen ernsthaften Satz dazu sagen? Ich habe doch etwas Einblick in die Lebensqualität von Bundesrätinnen und Bundesräten. Und die ist nicht so attraktiv, wie es von aussen vielleicht erscheint.
Basler: Zurück zum Gendern: Ich finde diese Frage überbewertet und langweilig. Als Autorin muss ich kreative Lösungen finden, um alle Leute anzusprechen, sonst bin ich am falschen Ort. Das gilt für alle, die beruflich schreiben. Ob man privat gendert oder nicht, interessiert hingegen niemanden.

Wie woke sind Sie auf einer Skala von eins bis zehn?
Pfister: Eins.
Basler: Dabei hast du vorhin das Gegenteil gesagt. Du genderst ja.
Pfister: Natürlich. Ich weiss nicht, wie man gegen Gleichstellung sein kann.
Basler: Weil man die eigenen Privilegien nicht verlieren will. Frauen werden oft noch wie eine schützenswerte Minderheit behandelt, obwohl sie die Mehrheit sind. Solange sie nicht gleichgestellt sind, fehlt halt oft die Kraft für Minderheiten und andere marginalisierte Menschen.
Pfister: Auf der anderen Seite gibt es eine gefährliche Tendenz, sich immer als Opfer zu fühlen. Mit Frustration, Nachteilen und Unvollkommenheiten umgehen zu können, gehört dazu. Wenn ich mich nur als Opfer wahrnehme, schwäche ich mich selbst.
Basler: Dabei passt das Woke-Sein zur Schweiz: Sogar die absolute Minderheit der Appenzell Innerrhoder hat einen eigenen Ständerat.
Pfister: Damit geben wir einer Minderheit numerisch ein viel grösseres Gewicht, als ihr zusteht. Das führt zum Ausgleich.
Basler: Ich sehe darum nicht ein, warum ein Theater um eine ausgeglichene Repräsentation von Frauen und Männern im Bundesrat gemacht wird. Warum ist das ein Thema? Bei den Regionen im Ständerat ist es keins.
Pfister: 2010 hätte das Parlament mit Karin Keller-Sutter eine fünfte Frau in den Bundesrat wählen können. Die Aufregung war gross. Am Ende machte Johann Schneider-Ammann das Rennen. Ich hatte Karin Keller-Sutter gewählt. Wirkliche Gleichstellung heisst, dass das Geschlecht keine Rolle spielt.
Basler: Geri Pfister ist eigentlich der einzige wahre Feminist im Parlament.

Gipfeltreffen Patti Basler Poetin und Gerhard Pfister Parteipraesident die Mitte

Wer ist besser im Multitasking? Gerhard Pfister und Patti Basler machen den Kompetenztest.

Geri Born

Immer bessere Textroboter wie Chat GPT machen Ihnen Konkurrenz. Was soll man davon halten?
Pfister: Wenn ich gewisse Ausdrücke im Parlament höre, finde ich, eine künstliche Intelligenz wäre ein Fortschritt.
Basler: Ich habe Geri vorhin auf den Chatbot angesprochen. Er wusste nicht, was das ist.
Pfister: Stimmt. Wie funktioniert das?
Basler: Du kannst zum Beispiel fragen, was die Leitlinie der Mitte Schweiz ist. Und dann bekommst du einen Text, der das beantwortet. Und alles stimmt. Ein Text ohne Komma- und Orthografiefehler. Die Themen müssen einfach genug relevant sein. Man kann angeben, ob man einfache oder kurze Sätze möchte. Oder: «Schreibe einen Liebesbrief an Geri Pfister im Stil von Shakespeare oder Goethe.»

Haben Sie Respekt davor?
Basler: Nein, ich bin ein angstfreier Mensch. Man kann auch satirische Texte schreiben lassen, nur sind diese nicht lustig. Aber ich weiss, dass Lehrpersonen momentan in Panik verfallen. Der Chatbot schreibt bessere Aufsätze als die meisten Jugendlichen. Diese Texte gelten nicht als Plagiat, weil das zur Zeit noch ein rechtsfreier Raum ist.
Pfister: Das heisst, man wird in Zukunft gute Romane von künstlicher Intelligenz lesen können?
Basler: Ja, die gibt es jetzt schon.
Pfister: Interessant. Bis jetzt war die Sprache etwas, das eine Identität ausmacht. Wer sind wir, wenn sie nicht mehr individuell ist? Wie Ludwig Wittgenstein sagte: «Die Grenzen meiner Welt sind die Grenzen meiner Sprache.» Das heisst, die Welt wird unendlich. Aber ist es dann noch meine Welt?

SD
Silvana DegondaMehr erfahren
Von Silvana Degonda und Michelle Schwarzenbach am 17. Februar 2023 - 17:04 Uhr