«Gäu, schön!» sagt Gaia, 4, und zeigt auf ihre Frisur: Ihr langes Haar ist auf der rechten Seite bis zum Kinn gekürzt. «Selbst geschnitten», sagt Gaia stolz. Ihre Väter, Ciccio, 41, und Raphael, 40, schauen gespielt streng. «Sie bleibt ein Luusmeitschi», sagt Raphael, «aber wir können nicht immer überall sein.»
Wen wunderts! Seit fast sechs Monaten ist die Familie aus Bern zu fünft. Am 29. Juni dieses Jahres sind Zeno und Giada zur Welt gekommen, beide pumperlgesund mit fast drei Kilo pro Kind. Eine Leihmutter aus den USA hat die Zwillinge für das schwule Paar ausgetragen – in der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten.
Nur wenige Minuten nach dem Kaiserschnitt durfte Gaia ihre Geschwister im Spital in Vermont besuchen. Raphael und Ciccio hatten frühzeitig ein Visum für die USA besorgt, darum konnte die Familie – trotz Corona – vor Ort sein. «Zeno und Giada sahen mit ihren Mützen genau gleich aus, ich konnte sie nicht auseinanderhalten», sagt Gaia und steht auf die Zehenspitzen: «Darf ich Zeno noch ein Müntschi geben?» Ciccio beugt sich mit dem Baby zu ihr runter: «Ein letztes, Principessa.»
«Ihr habt nur Zeno und Giada gern», jammerte Gaia in den ersten Wochen nach der Geburt – die ganz normalen Sorgen einer Erstgeborenen. Heute, ein halbes Jahr später, erdrückt sie ihre Geschwister manchmal fast mit ihrer Liebe.
Und doch geniesst sie die Zeit, die sie mit ihren Vätern alleine hat, besonders – wie dann, als sie zu dritt einen papiernen Weihnachtsbaum mit Glitzerleim bekleben. «Gäu, Daddy», sagt sie, «Zeno und Gaia schlafen noch ganz lange.»
Gaia und die Zwillinge sind genau genommen Halbgeschwister. Die genetische Mutter ist bei allen dreien dieselbe: eine anonyme Eizellenspenderin. Doch bei Gaia stammen die Spermien von Ciccio, bei Giada und Zeno von Raphael. Ausserdem wurden die drei von unterschiedlichen Leihmüttern ausgetragen. Gaias Leihmutter Elissa durfte aus gesundheitlichen Gründen nicht nochmals schwanger werden. Darum stiess Lucia, die Leihmutter der Zwillinge, zur Familie.
«Wir definieren Familie nicht über die DNA»
Ciccio
Drei Kinder, zwei Leihmütter, zwei Väter und eine Eizellenspenderin – müsste man das Familienmodell von Raphael und Ciccio aufzeichnen, entstünde ein Durcheinander aus Linien.
Doch diese Linien sind im Alltag unwichtig. «Wir definieren Familie nicht über die DNA», sagt Ciccio. «Entscheidend ist die Liebe füreinander – oder Amore?» Raphael nickt. Er, der einst dachte, als Schwuler werde er nie Kinder haben, pendelt heute zwischen vollen Windeln und leeren Fläschchen. Eigentlich wäre er bis zu drei Tage die Woche als Flugbegleiter unterwegs. Aber wegen Corona ist er auf Kurzarbeit, fliegt höchstens noch ein- bis zweimal pro Monat. «Das ist praktisch wegen der Kinderbetreuung», sagt er, «aber manchmal würde ich schon gerne mal rauskommen.» Zwar seien die Zwillinge pflegeleicht, weil sie oft und lange schlafen. «Aber mit drei kleinen Kindern sind wir 24 Stunden dran.»
Ciccio geht Raphael zur Hand, wann immer er kann. Als Informatiker arbeitet er vier Tage pro Woche im Homeoffice, steht oft in aller Frühe auf, noch bevor alle anderen wach sind. Er, der Italiener, der stets von einer Grossfamilie träumte, sagt, er habe sich das Familienleben zu fünft anstrengender vorgestellt. «Aber klar, ich verliere auch mal die Nerven. Dann mache ich die Tür hinter mir zu und atme ein paar Minuten durch.»
Zwillingsschwangerschaften gelten als risikoreich. Raphaels und Ciccios Glück war, dass Leihmutter Lucia keine Beschwerden hatte. Über Skype waren sie in ständigem Kontakt mit ihr. «Noch nie habe ich einen so grossen Bauch gesehen», sagt Raphael, «unglaublich, was sie für uns geleistet hat.»
Eine Leihmutterschaft ist teuer – bei Gaia hat das Paar weit über 100 000 Franken ausgegeben, ein Fünftel bekam die Leihmutter.
«Aber ich wehre mich dagegen, der Leihmutterschaft ein Preisschild aufzudrücken», sagt Ciccio. «Elissa und Lucia haben uns eine Familie ermöglicht – was das für uns bedeutet, kann man mit Geld nicht beziffern.»
Familie ist ein warmes Wort – und lässt einen in Zeiten von Corona doch frösteln. «Die Grosseltern verpassen die ganze Babyzeit», sagt Raphael, «das macht uns alle traurig.» Aber niemand wolle ein Risiko eingehen. Darum wünscht sich das Paar für die Zukunft nichts mehr als Gesundheit. «Und Toleranz», wirft Ciccio nach längerem Überlegen ein. «Wir möchten als Familie akzeptiert werden im Wissen darum, dass wir den Begriff weit ausdehnen.»
Im Wohnzimmer spielt Gaia mit ihren Puppen das Spiel «Mama und Kind». Sie weiss, dass es neben Vätern auch Mütter gibt und dass sie in den USA ein «Bauch-Mami» hat. «Wir beantworten Gaias Fragen ehrlich und altersgerecht», sagt Raphael, «das werden wir auch bei Zeno und Giada tun.» Das Paar hofft, dass seine drei Kinder später selbstbewusst durchs Leben schreiten – und mit ihrem Familienmodell genauso souverän umgehen wie mit einer asymmetrischen Frisur.