Nur im kleinen Kreis habe er gefeiert, erzählt Sepp Blatter einen Tag nach seinem 88. Geburtstag. In der Bodega Española im Zürcher Niederdorf sei er mit seiner Familie und wenigen engen Freunden zum Zmittag gewesen. Seine Familie, das sind Tochter Corinne (63) deren Ehemann Dominik (52) und die 23-jährige Enkelin Selena. «Wir sind deine Familie», hat Corinne ihrem Vater in letzter Zeit mehrfach gesagt. Und dieser wiederholt es nun, wie um zu beweisen, dass er verstanden hat. Oder jedenfalls weiss, dass er das verstehen sollte.
Lange Jahre, 42, um genau zu sein, hat Blatter den Weltfussballverband Fifa als seine Familie bezeichnet. 1974 trat er als Direktor für Entwicklungsprogramme ein, von 1981 bis 1998 amtete er als Generalsekretär, ab Sommer 1998 als Präsident. Fünfmal wurde er in der Folge wiedergewählt. Er reiste durch die Welt, suchte Partner und Sponsoren, machte aus der Fifa eine Organisation, die heute pro Jahr über sechs Milliarden umsetzt.
Der Weltfussball als «Familie», eine Präsidentschaft von 18 Jahren, Mitglieder aus aller Herren Ländern, die Struktur eines ganz normalen schweizerischen Vereins – die Fifa ist wahrlich ein eigenartiges Gebilde. Der Verband lebt vor allem davon, dass sich alle vier Jahre die besten Mannschaften zu einer Weltmeisterschaft treffen und TV-Veranstalter und Sponsoren Unsummen dafür bezahlen.
Er habe ein Monster geschaffen, habe ihm sein Vorgänger als Präsident vorgeworfen. Heute müsse er sagen: «Ja, das stimmt.» So steht es im Buch «Overtime», das Sepp Blatter zu seinem Geburtstag veröffentlicht hat. Es handelt von der Zeit ab 2015, als die Traumkarriere des einfachen Burschen aus Visp mit einem Knall zu Ende geht: Die US-Justiz ermittelt wegen Korruption, in Zürich werden Fifa-Funktionäre verhaftet, deutsche Fussballlegenden kommen vor Gericht, die Schweizer Bundesanwaltschaft eröffnet ein Verfahren.
In den USA wird nie Anklage erhoben, in der Schweiz gewinnt Blatter den Prozess, während der damals zuständige Bundesanwalt Michael Lauber wegen heimlicher Treffen mit Blatters Nachfolger und Gegenspieler Gianni Infantino zurücktreten muss.
Diese Fehde zwischen dem neuen Fifa-Präsidenten Infantino und Sepp Blatter ist es, die über allem schwebt. «Er befehdet mich! Nicht ich ihn. Ich würde mir wünschen, ihm einmal gegenüberzusitzen und mit ihm zu sprechen», sagt Blatter. Warum, um Himmels willen, will er das? «Um ihn zu fragen, warum er mich bekriegt», so die Antwort.
Blatter vermeidet jetzt das Bild von der Familie, aber sagt: «Ich war so lange bei der Fifa und darf nun nicht mal mehr an meinen alten Arbeitsort – das kann doch nicht sein. Die Fifa ist wegen mir das, was sie heute ist. Ein Merci wäre noch schön.»
Die Kickbewegung und wie man gläubig wird
«Der Fussball ist völkerverbindend», wird Blatter nicht müde zu betonen. «Der Fussball ist universell: Diese Kickbewegung mit dem Fuss, schon Babys machen sie im Mutterbauch, sie ist dem Menschen angeboren. Das ist das Geheimnis, wieso Fussball die Massen derart begeistert.» Er macht sie vor, diese Kickbewegung. Und man macht sie nach, schaut sich selber auf den Fuss, beginnt an die Universalität der Kickbewegung zu glauben, ist beeindruckt von der Weisheit, die aus diesen Worten spricht – und muss sich dann kurz schütteln, um wieder in der Realität anzukommen.
Charmant ist er, dieser Sepp Blatter. Jovial, aufmerksam, hat stets ein Lächeln in den Augen, macht Komplimente. Ein Gespräch mit ihm ist sehr unterhaltsam. Er hat viel erlebt, ausser Afghanistan alle Länder der Welt bereist, von der Queen bis zu Putin, von den Chefs der kleinsten Inselstaaten bis zu amerikanischen Präsidenten getroffen.
«Die Schweiz konnte von meinen Kontakten profitieren, ich habe immer das Departement des Äussern und die Schweizer Botschaft informiert. So konnten die Botschafter ausserhalb der ordentlichen Termine Staatschefs treffen», plaudert Blatter aus dem Nähkästchen.
Nach der Vertreibung aus der Fifa hätten sich viele ehemalige «Freunde» abgemeldet. Er habe das Prinzip «Management bei Vertrauen gehabt», sei nicht ein strenger, kommandierender Chef gewesen. «Das wurde mir nun halt zum Verhängnis, die meisten wandten sich einfach von mir ab.» Heute habe er in seinem Freundeskreis nun halt Qualität statt Quantität.
Wer hat ihm denn beispielsweise zum Geburtstag gratuliert? Blatter weicht aus. Welche Nummern hat er noch in seinem Telefon gespeichert? Blatter wechselt das Thema. In seiner langen Karriere hat er gelernt, Gespräche zu steuern, nur das zu sagen, was er will, gewandt die Themen selber zu bestimmen.
«Hier in Zürich habe ich gute Freunde, mit denen ich mich jeweils einmal pro Monat treffe», sagt er mit strahlendem Lächeln. Eine Gruppe um den Zürcher Metzger Angst ist da etwa dabei, die GC Legends, bei denen er Ehrenpräsident ist, eine Zunft, die sich noch im Aufbau befindet. Mindestens zweimal pro Monat reist er zudem ins Wallis, in sein Heimatdorf Visp. Und wie stehts mit der Liebe, gibts da jemanden? Die Augen blitzen auf: «Ja, schon, aber es ist noch etwas unklar.»
Mit dem Alter geht der einst mächtige Mann positiv um. «Älterwerden ist gut», sagt er, man erkenne vieles und sehe klarer. Um fit zu bleiben, steigt er täglich auf den Hometrainer. «Für die Kraft in den Beinen und die Pumpi», sagt er und zeigt auf sein Herz. Er nimmt sein Mobiltelefon zur Hand, sein Zeichen zum Aufbruch. Schon vor einer Stunde hat er gemahnt, vorwärtszumachen. Nach zwei Stunden ist die Audienz vorbei. Sepp Blatter bestimmt den Anfang – und das Ende.