Eine Hommage zum 95. Geburtstag von Lilo Pulver

Sie wolle mindestens 100 werden, hat Lilo Pulver kürzlich in einem ihrer seltenen Interviews verkündet. Zum Glück! Eine wie sie gibt es kein zweites Mal. Seit meiner Kindheit bin ich begeistert von ihrer Naturkraft. Ich verdanke ihr sogar meine erste Stelle als Journalistin. Zumindest ein wenig.

Schon bei meiner ersten Begegnung mit ihr im Fernsehen – ich war etwa zehn – brachte mich Lilo Pulver zum Lachen, gleich doppelt: In «Kohlhiesels Töchter» von 1962 verkörpert sie in einer Doppelrolle mit Witz und Charme ungleiche Zwillinge: Die trampelige Susi und ihre weltoffene Schwester Liesel buhlen um denselben Mann und geraten dabei in urkomische Situationen. Am Ende verlieben sie sich durch eine List doch noch beide glücklich.

«Sie steht im Telefonbuch!»

Lilo Pulver brilliert auf der Leinwand. Ihr unvergleichlich schallendes Lachen reisst mit wie galoppierende Pferde. «Ich bringe das Publikum wahnsinnig gerne zum Lachen», erklärt sie einmal. Dass sie vor der Kamera auch anders kann, zeigt sie in den Gotthelf-Filmklassikern «Uli der Knecht» und «Uli der Pächter». Als Vreneli beweist sie ihr dramatisches Können und wird zum Star. Lilo Pulver, das Multitalent! Unvergessen, wie sie an der Seite von Gustav Knuth in «Ich denke oft an Piroschka» von 1955 mit Leichtigkeit ein ungarisches Mädchen spielt.

Sie flirtet in Billy Wilders Komödie «One, Two, Three» (1961) mit Hollywood, beweist in «Monsieur» (1964) neben Jean Gabin französisches Flair. In über 50 Filmen ist sie seit drei Jahrzehnten feste Grösse im Kino und in Schweizer Stuben. Sie ist Lilo National. In einer Zeit, in der klassische Rollen und Schönheitsideale in Filmen zelebriert werden, verkleidet sie sich 1960 in «Gustav Adolfs Page» als Junge. «Ich habe mich einfach immer etwas anders verhalten», antwortet sie in einem Interview später auf die Frage, ob sie emanzipiert war. 

Lachend gesteht sie, dass sie sich in fast alle Filmpartner verliebt hätte: Sie spielt mit Curd Jürgens, Hardy Krüger, Paul Hubschmid. Glücklich wird sie mit dem deutschen Schauspielkollegen Helmut Schmid – 31 Jahre lang. «Er war der Mann meines Lebens.» Sie lassen sich am Genfersee nieder. In Perroy VD gründen sie mit Sohn Marc-Tell und Tochter Mélisande eine Familie. Ganz ohne Stargehabe.

Ihre Nummer findet sich noch Jahre später im Telefonbuch – nicht unter Pulver, sondern unter Schmid. Als ich mich mit 26 als Journalistenschülerin bei der Schweizer Illustrierte bewerbe, dient mir dieses zuvor recherchierte Wissen: Im Gespräch fragt mich der Chefredaktor, über wen ich denn schreiben möchte. Lilo Pulver! Er hakt nach: «Und wie kommen Sie an sie ran?» «Sie steht im Telefonbuch», antworte ich triumphierend und bekomme die Stelle. Um den Termin bei Lilo muss ich danach zwei Jahre buhlen.

Lilo, das jüngste von drei Kindern eines Berner Kulturingenieurs und dessen Frau, besucht die Töchterhandelsschule Bern widerwillig, den Eltern zuliebe. Sie modelt, nimmt Schauspielunterricht und wird entdeckt. In der darauffolgenden Karriere gelingt ihr vieles. Sie gewinnt sieben Bambis und andere Ehrenpreise. Den Sprung nach Hollywood schafft sie nie ganz. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» bezeichnet Pulver als «die Unterschätzte, die fast ein Weltstar geworden wäre». Privat gibts harte Schicksalsschläge: Innert dreier Jahre sterben zuerst ihre damals 21-jährige drogenkranke Tochter und dann der geliebte Helmut. In ihrer Autobiografie «... wenn man trotzdem lacht» von 1990 schreibt sie über Höhen, Tiefen und ihre Rastlosigkeit.

Wie das Meitschi von damals

Als ich Lilo schliesslich in ihrer Villa Bip in Perroy besuchen kann, empfängt mich die damals 69-Jährige mit Erdbeertörtchen. Sie zeigt mir den geliebten Garten am See und sagt: «Die Endlichkeit macht mir nicht zu schaffen. Mühsam ist das Alter nur, weil man körperlich nicht mehr umsetzen kann, wozu man geistig noch fähig wäre.» Lilo Pulver will ihren 95. Geburtstag im Kreis der Familie feiern, in der Alterspension Burgerspittel in Bern, wo sie nun zurückgezogen lebt. Ich würde ihr gerne Erdbeertörtchen vorbeibringen. Vor allem hoffe ich, dass noch gilt, was sie mir damals beim Abschied lachend gesagt hat: «Im Herzen bin ich noch das Meitschi von damals.» Alles Liebe zum Geburtstag, Lilo National!