Mit 15 Jahren wollte sie die Schule hinschmeissen und Clown werden. Niccel Steinberger studierte dann doch: interkulturelle Germanistik. Ihre Magisterarbeit widmete sie dem Lachen. Humor ist ihre Leidenschaft: Seit 25 Jahren teilt die heute 55-Jährige ihr Wissen in Vorträgen und Lachseminaren. Die Schweizer Illustrierte trifft die Frau von Kabarettist Emil, 88, in ihrem Atelier im Basler Gundeli-Quartier zum Gespräch – inmitten von Pinseln, Leinwänden, Clownnasen und Pingpongbällen.
Niccel Steinberger, manche Menschen gelten als humorvoll, andere als humorlos. Haben nicht alle Humor?
Humor ist weltweit vorhanden. Wir alle entwickeln von Geburt an einen Sinn für Humor. Allerdings ist er sehr individuell. Ich vergleiche das gern mit einem Restaurantbesuch. Alle mögen das Essen beim Italiener, aber die einen bestellen Pizza, andere Pasta. So ist es auch mit dem Lachen. Wir alle tun es gern, finden aber unterschiedliche Dinge lustig. Und das ist okay so.
Wieso kommen dann Menschen zu Ihnen ins Lachtraining?
Aus verschiedenen Gründen. Viele wollen sich etwas Gutes tun, einige sind einfach neugierig, andere machen eine Krankheit durch oder haben im Laufe des Lebens das Lachen verlernt. Einem Teilnehmer wurde als Kind von den Eltern das Lachen verboten.
Und wie bringen Sie so jemandem das Lachen wieder bei?
Es gibt Übungen, um das Lachen mechanisch herbeizuführen. Ich finde es besser herauszufinden, worüber wir gern lachen und wie wir andere zum Lachen bringen können. Dazu muss man jedoch auch mal etwas wagen und sich von der Sorge befreien, was die anderen wohl von einem denken. Verkleidungen, Improvisationen und Spiele helfen dabei und ermuntern zum Experimentieren. Ein «verlorenes» Lachen lässt sich so erstaunlich schnell hervorkitzeln. Viele Menschen merken erst im Seminar, wie lustig sie sein können.
Also sind wir alle witzig?
Ja. Comedians tendieren dazu, komische Fähigkeiten für sich zu pachten. Da könnte ich ausrasten! Lachen ist ein menschliches Grundbedürfnis wie essen und schlafen – überlebensnotwendig für uns.
Was passiert genau beim Lachen?
Da sind viele Muskeln im ganzen Körper involviert. Durch die Zuckungen des Zwerchfells werden unsere Organe durchmassiert. Deshalb fördert Lachen auch die Verdauung. Die Körperzellen werden mit mehr Sauerstoff versorgt. Das Immunsystem wird gestärkt. Zudem schüttet der Körper Glückshormone aus, die uns berauschen. Diese Endorphine sorgen dafür, dass wir uns extrem gut fühlen, sie können sogar Schmerzen lindern. All das ganz ohne negative Nebenwirkungen! Da gäbe es noch viel Potenzial für die Medizin.
Ist es auch okay, mal traurig zu sein?
Natürlich! Nach dem Tod meines Bruders vor vier Jahren habe ich erfahren, wie wichtig Trauer ist. Als ich im Spital ganz schrecklich weinte, versuchte man, mich zu beruhigen. Danach konnte ich drei Jahre gar nicht mehr weinen. Das hat mich sehr belastet. Mir geht es als Lachtrainerin nicht darum, dass wir ständig lachen. Aber wir sollten es öfter tun. Auch ich bin nicht vor Tiefs gefeit: Im Januar hatte ich eine kleine Krise, weil sich alle Tage so gleich anfühlten.
Eintönigkeit, Einsamkeit, Sorgen wegen Corona: Wie können wir mehr Fröhlichkeit in den Alltag bringen?
Indem wir aus den üblichen Mustern ausbrechen. Wieso nicht mal aus dem Zmittag ein Picknick machen? Oder in der Badewanne angeln? Versuchen Sie mal, mit Pingpongbällen im Mund zu sprechen! Oder vereinbaren Sie in der Familie einen Tag, an dem Sie die Rollen tauschen: Dann sind die Kinder mal die Eltern – und umgekehrt.
Worüber lachen Sie und Emil?
Wir haben dieses Jahr drei Abreisskalender zum Thema Humor. Da wird jeden Morgen gelacht und analysiert, was wir weshalb lustig finden. Emil nutzt die Isolation dazu, seine Autobiografie zu schreiben. Er scherzt nicht gerne bei der Arbeit. Ich bin da anders und bespasse mich im Atelier mit gezeichneten Selbstporträts. Über sich selbst zu lachen, ist die höchste Disziplin: Es erfordert Distanz zu sich selbst. Manche Menschen schaffen es ein Leben lang nicht, über ein Malheur zu lachen. Dabei ist es so befreiend!
Sie sind gebürtige Deutsche. Ist der Humor dort anders als hier?
Bis vor ein paar Jahren hätte ich die Frage verneint. Inzwischen finde ich, dass Deutsche oft einen Zacken aggressiver sind. Manchmal geht mir das zu weit, manchmal geniesse ich es. Auch in der Romandie, wo wir lebten, ist der Humor anders: lockerer, verspielter, wortgewaltiger. Wobei es mit meinem Französisch nicht immer einfach war, zwischen den Zeilen zu lesen.
Es heisst ja, eine Fremdsprache haben wir gemeistert, wenn wir einen Witz erzählen können.
Das schaffe ich auf Schwyzerdütsch bis heute nicht! Ich falle beim Witzeerzählen immer zurück ins Hochdeutsche. Das nervt mich! (Lacht.)