1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Emotionaler Abschied: Roger Federer spielte sein letztes Spiel am Laver Cup
Roger Federer am Laver Cup

«Es fühlt sich an wie ein Freudenfest»

Tennislegenden, Teamplay, Tränenmeer: Am Laver Cup in London hat Roger Federer Goodbye zum Profisport gesagt. Ein hoch emotionales Ende eines Tennismärchens, umgeben von Familie, Freunden und 20 000 Fans.

Artikel teilen

In der gigantischen O2 Arena passt in dieser Nacht alles perfekt zusammen: voll besetzte Ränge, stehende Ovationen, die ganze Familie auf der Tribüne, Teamkollegen und Gegner, die sich einträchtig verneigen und dem Hauptdarsteller die Reverenz erweisen. Dass Roger Federer an der Seite seines Lieblingsrivalen Rafael Nadal, 36, nach 1526 Spielen im Einzel und 224 im Doppel die abschliessende Partie seinerKarriere gegen das US-Duo Jack Sock /Frances Tiafoe verliert, ist eine Marginalie.

Auf dem Weg zum letzten Schlag zeigt der 41-jährige Baselbieter nochmals viel Spielwitz, Ballgefühl und Variantenreichtum à discrétion. Und mancher fragt sich: Könnte dieser Mann nicht ewig weiterspielen? Leider nicht. Und so ist der Abend geprägt von Gefühlsausbrüchen, die schon fast kitschige Dimensionen annehmen. Mutter Lynette, 70, ringt um Fassung. Vater Robert, 76, steht seiner Gemahlin ergeben zur Seite. Ehefrau Mirka weint hemmungslos. Sogar das griechische Raubein Stefano Tsitsipas, 24, guckt mit glasigem Blick in die Runde.

23.09.2022; London; Tennis - Laver Cup 2022; Roger Federer (SUI), Rafael Nadal (ESP) (Antoine Couvercelle/Panoramic/freshfocus) --------------------------------------------------------------------- ACHTUNG REDAKTIONEN: KEINE ABONNEMENTS, ES GELTEN DIE PREISEMPFEHLUNGEN DES SAB - MANDATORY CREDIT, EDITORIAL USE ONLY, NO SALES, NO ARCHIVES ---------------------------------------------------------------------

Bewegt: Roger Federer und Rafael Nadal – «Fedal» – lassen ihren Tränen freien Lauf, als zum Lied «Still Falling For You» von Ellie Goulding ein Rückblick auf Federers Karriere gezeigt wird. 

Freshfocus

Roger Federer und Rafael Nadal sitzen händchenhaltend auf der Bank und lassen den Tränen freien Lauf. Stammte die Inszenierung aus Hollywood, man würde sie vermutlich für leicht übertrieben halten. Doch in diesem Fall passt es perfekt. 

20 000 Zuschauer erheben sich zum finalen Applaus. Teamkollegen und Gegner verneigen sich vor dem Maestro. Das vielleicht schönste Kompliment kommt von Altmeister John McEnroe, 63, der als Captain von Team World an der Seitenlinie steht: «Roger ist der Inbegriff dessen, was man sich für sein Kind wünscht. Und er ist der schönste Spieler, den ich je habe spielen sehen.»

An emotional Roger Federer of Team Europe embraces his wife Mirka and their children after playing with Rafael Nadal in a Laver Cup doubles match against Team World's Jack Sock and Frances Tiafoe at the O2 arena in London, Friday, Sept. 23, 2022. Federer's losing doubles match with Nadal marked the end of an illustrious career that included 20 Grand Slam titles and a role as a statesman for tennis. (AP Photo/Kin Cheung)

Rührend: Die 13-jährigen Zwillinge Myla und Charlene sowie die achtjährigen Zwillinge Leo und Lennart weinen mit ihrem Vater.

keystone-sda.ch

Der Hype um Federer lässt in London beinahe die Trauerfeierlichkeiten um Queen Elizabeth II. vergessen. Schon bei der Trainingssession ist die O2 Arena rappelvoll gewesen. Auf dem Schwarzmarkt wurden für Tickets bis 300 Pfund bezahlt. Bei der Teamvorstellung brandet dem Schweizer der grösste Applaus entgegen. Federer ist sichtlich gerührt: «Ich bin stolz, dass ich so lange auf einem hohen Level spielen konnte – und so viele Fans habe. In den Corona-Zeiten hat man gesehen, was das ausmacht. Ich habe so viele unglaubliche Momente erle- ben dürfen, durfte viele Freundschaf- ten auf der Tour schliessen und in vollen Stadien spielen – und hatte dabei das Publikum stets hinter mir. Ich hätte niemals gedacht, so eine Karriere zu haben.»

Die Uhr in London zeigt zwei Stunden nach Mitternacht, da wird es an der Medienkonferenz nochmals richtig pathetisch. Federer: «Tennis ist ein grossartiges Spiel, das wunderbare Werte wie Demut und Respekt lehrt. 

Mein grösster Rivale ist zum Freund geworden. Das ist bizarr, aber es ist möglich.» Roger Federer

Es hätte sowieso kein besseres Ende für seine Karriere geben können als das Doppel mit Nadal – von den Medien knackig zu «Fedal» befördert. Zwar ist der Spanier nur für kurz angereist. Aber dies aus gutem Grund. Die Geburt des ersten Kindes steht unmittelbar bevor. Offenbar gibts Komplikationen. Ehefrau Maria Francisca Perelló, 34, befindet sich schon länger in Spitalpflege. Dass sich der Spanier Sorgen macht, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er gibt auch zu, dass es ihm nicht gut gehe. Vielleicht haben die Tränen bei Nadal ja viel tiefer gehende Bedeutung als den Rücktritt eines Sportlers. Auch wenn er sagt: «Mit Roger geht auch ein wichtiger Teil meines Lebens. Weil er einfach immer da war.»

 

Als Roger Federer zum Platzinterview vors Mikrofon von Jim Courier, 52, tritt, tut er es wie gewohnt mit Charme und Eloquenz. «Es war ein wundervoller Tag. Die Partie war toll, ich kann nicht glücklicher sein.» Immer wieder überwältigen die Gefühle den Baselbieter: «Wenigstens bin ich in der Lage zu reden. In meinen Visionen von diesem Moment brachte ich jeweils keinen Ton heraus, also mache ich es schon besser als gedacht.»

Roger Federer Sui and his wife Mirka TENNIS : Laver Cup 2022 AntoineCouvercelle/Panoramic PUBLICATIONxNOTxINxFRAxITAxBEL

Dankbar: Als Gattin Mirka den Tennis- court betritt, um ihren Mann zu trösten, sind rundherum alle vor Rührung still.

imago/PanoramiC

Tosender Applaus – es sind willkommene Pausen, die es dem Champion erlauben, sich wieder zu sammeln: «Ich war immer ein Teamplayer im Herzen. Und ich hatte auch immer ein Team, das mit mir um die Welt reiste.» Federer dankt allen in seiner Mannschaft, den Coaches Severin Lüthi, 46, und Ivan Ljubicic, 43, erwähnt auch jedes Mitglied der Laver-Cup-Equipe von Björn Borg, 66, persönlich. Als der Champion über Ehefrau Mirka, 44, spricht, brechen auch bei den Mitspielern alle Dämme. «Mirka ... Sie hätte mich schon lange stoppen können. Aber das hat sie nicht. Sie liess mich weitermachen und hat mir erlaubt zu spielen. Das ist unglaublich, danke dir.» Ohne Mirka, das hat Federer immer wieder betont, ohne ihre Bereitschaft, das Nomadenleben auch mit vier Kindern auszuhalten und seinen Traum zu teilen, wäre er nie so weit gekommen.

Und als er in London seinen Zwillings- töchtern Myla und Charlene, 13, unter Tränen versichert: «Ich bin nicht traurig, ich bin glücklich», müssen auch die Zuschauer leer schlucken. Selbstverständlich sind auch die Zwillingsbrüder Leo und Lenny, 8, im grossen Moment dabei. Sie hören ihren Vater sagen, dass die ganze Karriere eine perfekte Reise gewesen sei: «Ich würde es wieder so machen. Dieser Abend fühlt sich wie ein Freudenfest an; ich hatte gehofft, dass es genau so sein würde.»

23.09.2022; London; Tennis - Laver Cup 2022; Roger Federer (SUI) mit seinem Vater Robert (MB Media/freshfocus)

Als letzter der Familie gratuliert Vater Robert seinem Sohn.

Freshfocus

Nun ist fertig – zumindest auf sportlichem Parkett. Zurück bleiben Zahlen für die Ewigkeit: 20 Grand-Slam-Titel, acht Wimbledon-Siege, 103 Triumphe auf der ATP Tour, 310 Wochen die Nummer 1. Das sind fast sechs Jahre. 130,59 Millionen Dollar Preisgeld in 24 Jahren Profitennis – und ein Mehrfaches an Werbeeinnahmen. Roger Federer dürfte der erste Tennisspieler werden, der die Milliardenmarke knackt. Doch dies spielt an diesem Abend, in diesem Moment keine Rolle. Am Laver Cup verabschiedet sich der grösste Schweizer Sportler der Geschichte von seiner Bühne. Wir werden ihn vermissen. Einen solchen Champion in einer globalen Sportart wird die Schweiz so schnell nicht mehr erleben. Auch wir sagen: «Danke, Roger!»

am 30. September 2022 - 17:38 Uhr