Fadengerade und ungeschminkt, gelegen oder ungelegen. Für seine Reformpostulate trat Hans Küng mit Brillanz ein. Seine Haltung hielt in den 70er-Jahren auch uns Theologiestudierende bei der Stange. Dank ihm – und anderen wie dem protestantischen Theologen Jürgen Moltmann oder dem Philosophen Ernst Bloch – war Tübingen für unsere Generation ein überaus attraktiver Ort der geistigen Auseinandersetzung.
Da lernten wir den kosmopolitischen, vielsprachigen Professor auch persönlich kennen. Wir bewunderten seine Leichtigkeit, wie er sich wie kaum ein anderer Schweizer auf dem internationalen akademischen und diplomatischen Parkett bewegte. Ihn, der in den USA ein gefeierter Star war, der in der Unesco mitwirkte und als Theologe sogar vor der Uno-Vollversammlung sprach – was sonst ja nur der Papst tat.
Und da war auch dieser andere Küng, der – durchaus mit einer gewissen Koketterie – sich immer wieder auf seine Schwei-zer Herkunft berief. Der sich als Eidgenosse verstand, der vor keinen Gesslerhüten katzbuckelt, selbst wenn diese auf bischöflichen Häuptern ruhen. Er setzte damit – sehr zu unserer Freude –einen Kontrapunkt zu jenem gerade in theologisch-akademischen Kreisen weitverbreiteten obrigkeitshörigen Opportunismus.
Er schreibe, so sagt Küng von sich, für Menschen, die wie er auf der Suche seien. Für Menschen, die mit einem traditionalistischen Glauben nichts anfangen können – sei dieser nun protestantischer oder römisch-katholischer Herkunft.
Er schreibe aber auch für Menschen, die sich mit ihrem Unglauben oder ihren Glaubenszweifeln nicht zufriedengeben wollen. Und die nicht bloss nach einer seichten, oberflächlichen Wellness-Spiritualität oder nach kurzatmigen Lebenshilfen verlangen würden.
Noch einmal Küng: «Glauben meint, was Denken, Wollen, Fühlen und Handeln umfasst.» Blinder Glaube sei mindestens so gefährlich wie blinde Liebe. Er habe viele Menschen und ganze Völker ins Verderben geführt.
Dieses Selbstzeugnis bringt das Engagement des Schweizer Theologen von Weltruf auf den Punkt. Es erklärt, weshalb er für so viele ein Hoffnungsträger war. Und weshalb seine voluminösen Bücher wie «Die Kirche», «Christ sein» und «Existiert Gott?» in zahlreichen Sprachen millionenfach gelesen wurden.
Küng war nicht nur der «Reformtheologe», ein «Kirchen- und Papstkritiker». Das war er auch, selbstverständlich. Aber darin erschöpft sich seine Bedeutung nicht. Am Anfang seiner Karriere holte ihn Papst Johannes XXIII. als Berater für das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) nach Rom. Der Papst wollte, dass diese Kirchenversammlung eine «Verheutigung des Glaubens» («aggiornamento») bringe und ein «Sprung vorwärts» («un balzo innanzi») sei.
Mit seiner Präsenz in Rom hat Küng die erneuerungswilligen Bischöfe um den belgischen Kardinal Suenens und den Brasilianer Hélder Câmara beratend unterstützt. Das Konzil könne nur «der Anfang eines Anfangs» sein. Die Reformen müssten weitergehen.
Ein einschneidendes Datum war für Küng der 15. Dezember 1979. Die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre unter Führung von Papst Johannes Paul II. veröffentlichte an diesem Tag eine Erklärung, wonach Küng nicht mehr als katholischer Theologe gelte und lehre. Die kirchliche Strafmassnahme war in einer Nacht-und-Nebel-Aktion umgesetzt worden – unmittelbar vor Weihnachten und mit wenig Gespür für die Friedensbotschaft dieses kirchlichen Hochfestes. Von menschlichem Anstand ganz zu schweigen.
So soll sich der deutsche Kardinal Höffner zur Aussage verstiegen haben, der vorweihnachtliche Entzug sei kein Problem. Küng glaube ohnehin nicht an Weihnachten beziehungsweise an die Jungfrauengeburt.
Wohl noch nie hat eine kirchliche Strafmassnahme gegen einen Theologen weltweit eine solche Solidarisierung ausgelöst. Auch in der Schweiz kam es zu einer breit abgestützten Bewegung, die über die katholische Kirche weit hinausging. Die Unterstützung aus seiner Heimat hat Küng gefreut und bewegt, wie er mir gegenüber immer wieder zum Ausdruck brachte.
Küng hat später von Papst Franziskus zwei freundliche und ermutigende Grussadressen erhalten. Rehabilitiert hat ihn die vatikanische Glaubensbehörde bis zum heutigen Tag jedoch nicht. Das hat Küng zu schaffen gemacht, bis zum Schluss. Dennoch hat er sich durch die römischen Repressalien nicht unterkriegen lassen. Stattdessen ist er zu neuen theologischen Ufern aufgebrochen.
Von der zwischenkirchlichen Ökumene, der Kirchenlehre und von innerkatholischen Reformfragen hat er einen eigentlichen Perspektivenwechsel hin zum interreligiösen Dialog und zum Projekt «Weltethos» vollzogen. Er tat dies im Bewusstsein einer globalen Dringlichkeit: «Kein Frieden zwischen den Völkern ohne Frieden zwischen den Religionen.»
Hans Küng war ein Glaubender, der sich der Welt und ihren Herausforderungen gestellt hat. Davon hat er bis zum Ende seines Lebens, auch als kranker, alter Mann, dem das Sprechen nahezu unmöglich wurde, mit allen Fasern seiner Existenz, Zeugnis abgelegt.
Von Odilo Noti