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  4. «Mister Corona» Daniel Koch im Interview: Corona könnte in der Schweiz bald gegessen sein
Interview mit Daniel Koch

«Es gibt guten Grund zur Hoffnung»

Er war «Mister Corona»: Auch im Ruhestand verfolgt Daniel Koch die Entwicklung des Virus. Er sagt, warum wir bald mit Corona leben lernen, welche Krankheit ihm Angst macht und wann er zuletzt mit Alain Berset sprach.

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Daniel Koch, Ex-Mister Corona, Interview, SI 03/2022

Der Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester wuchs im Wallis auf: Daniel Koch war von 2008 bis 2020 Leiter Übertragbare Krankheiten beim BAG. 

Kurt Reichenbach

Herr Koch, im Herbst 2020 sagten Sie zur Schweizer Illustrierten: «Im Sommer 2022 ist Corona gegessen.» Behalten Sie recht? 
Im Moment sieht es gut aus, ja – vor allem für die Schweiz und Europa. Ob Corona weltweit «gegessen» sein wird, ist fraglich. Aber in unseren Breiten wird sich das Virus wohl bis im Sommer endemisch etablieren. 

Das heisst? 
Corona wird weiter zirkulieren, aber nicht mehr in dem Ausmass wie jetzt. Und es gibt guten Grund zur Hoffnung, dass weniger schwere Erkrankungen auftreten. 

Warum?
Die Immunitätslage in der Bevölkerung ist besser als zu Beginn der Pandemie – sei es durch Impfung, Booster oder Genesung. 

Also wird uns Corona bald gar nicht mehr so beschäftigen? Das scheint unvorstellbar! 
Den Umgang mit Grippeviren, die periodisch auftreten, kennen wir bereits. Corona wird nicht verschwinden, aber zu einem von vielen respiratorischen Viren werden. Den besonders gefährdeten und verletzlichen Personen müssen wir auch in Zukunft den höchsten Schutz bieten.

Letztes Wochenende sah ich zwei Damen über 70 im randvollen Café beim Zmorge. Wären die besser zu Hause geblieben? 
Die Frage ist: Sind die beiden vollständig geimpft und geboostert? Das sieht man den Leuten ja nicht an. Sie müssen einfach darüber informiert sein, dass sie zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören. 

Und alle anderen sind fein raus? Wir können ja in Adelboden wieder feiern, als wäre nichts. 
Das ist so, ja. Respiratorische Viren kann man nicht ausrotten. Das wird uns nicht gelingen. Bei Viren wie den Pocken ist es möglich, bei Coronaviren nicht.

Und deshalb lässt man den Dingen jetzt also einfach ihren Lauf?
Wir beobachten, in welche Richtung sich das Virus entwickelt. Am wahrscheinlichsten ist, dass es weniger gefährlich wird. Ich gehe davon aus, dass irgendwann jeder und jede in der Schweiz Corona hatte. Wir müssen aber aufpassen, wie wir das Virus jetzt beeinflussen. 

Was meinen Sie? 
Bombardieren wir das Virus mit Medikamenten, setzen sich jene Varianten durch, die resistent sind. Das kennen wir von den Bakterien. Deshalb müssen Medikamente gegen Corona vorsichtig eingesetzt werden. 

Ende Februar ist Schluss mit Quarantäne und Homeoffice-Pflicht. Ist das fahrlässig?
Der Bundesrat macht aus meiner Sicht einen guten Job, weil er abwägt und nicht immer Extreme wählt. Homeoffice hat eine gewisse dämpfende Wirkung. Die Quarantäne hat meiner Meinung nach keinen sehr grossen Nutzen mehr. 

Aber die Zahlen steigen doch rasant! 
Derzeit stecken sich extrem viele Menschen an. Doch gleichzeitig werden viel weniger in den Spital eingewiesen oder auf die Intensivstation verlegt. Die Situation ist anders als vor zwei Jahren.

Nehmen wir durch dieses Laisser-faire nicht viele Long-Covid-Fälle in Kauf? 
Wir wissen im Moment sehr wenig darüber, welche Auswirkungen Impfungen und Genesungen auf Long Covid haben. Doch das ist kein Grund, zu sagen: Oje, wir müssen sofort die Fallzahlen runterbringen. 

Wieso denn nicht? 
Es ist bei Omikron gar nicht möglich. Würde man es doch versuchen, wären die Massnahmen unverhältnismässig. Wir müssen in die medizinische Erforschung der Long-Covid-Fälle vertrauen und diese fördern. Jetzt alle möglichen Einschränkungen zu starten, wäre falsch. 

Haben Sie in den letzten zwei Jahren Freunde verloren? 
Wie meinen Sie das? 

Personen, die gestorben sind? 
Nein. Glücklicherweise hatte ich keine Todesfälle in meinem Bekanntenkreis. 

Haben Sie Freundschaften verloren wegen Meinungsverschiedenheiten?
Auch nicht. Bei mir ists einfach: Alle kennen meine Haltung bereits. Wenn ich irgendwo bin, gehts eine Viertelstunde, und man redet über Corona. Ich habe neue Freundschaften geschlossen.

Haben Sie noch ungeimpfte Freunde? 
Die meisten, die lange skeptisch waren, sind unterdessen auch geimpft. 

Werden Sie oft auf der Strasse angesprochen?
Dank der Maskenpflicht deutlich weniger! 

Daniel Koch, Ex-Mister Corona, Interview, SI 03/2022

Daniel Koch, 66, lebt mit seinen drei Hunden in einem Reihenhaus in Schwarzenburg BE.

Kurt Reichenbach

Ihre Arbeit zu Beginn der Pandemie wurde kritisiert. Ein Vorwurf: Sie hätten die Schwere der Pandemie nicht früh genug erkannt.
Ich finde nicht, dass wir zu langsam reagiert oder das Thema unterschätzt haben. Aber gewisse Dinge hätte man besser machen können. 

Zum Beispiel?
Ich bedaure, dass wir die Pflege-, Altersheime und die Spitex hängen liessen. Der Bund hat ihnen nie eine gute Anleitung gegeben. In der Folge haben viele Menschen zu Unrecht unter den Massnahmen gelitten. Wer noch ein paar Monate zu leben hat, darf nicht eingeschlossen werden. Da haben wir Fehler gemacht. 

Sie bezweifelten auch öffentlich den Nutzen von Masken. 
Wir hatten damals sehr wenig Evidenz zu diesem Thema. Heute gibt es mehr Hinweise darauf, wie viel Masken nützen. Ich bin aber nach wie vor der Meinung: Es war richtig, den Leuten erst zu erklären, wie wichtig Abstand und Distanz auch zwischen den Generationen sind. Masken sind wichtig, aber sie sind nur ein Hilfsmittel. Den grossen Unterschied machen sie nicht aus. 

Sollte man Kinder impfen lassen?
Nicht, wenn man es nur tut, um die jetzige Welle zu brechen. Das ist hoffnungslos. Doch der Impfstoff ist sicher, und wer seine Kinder impfen lassen möchte, kann das tun. Bei Jugendlichen empfehle ich die Impfung, weil dadurch das Risiko für Long Covid vermindert wird. Bei jüngeren Kindern sollten die Eltern das mit ihren Kinderärzten und ihren Kindern diskutieren. 

Sie haben selbst einen kleinen Enkel. 
Er ist zwei Jahre alt und für die Impfung definitiv noch zu klein. 

Seit Ihrer Pensionierung arbeiten Sie als Krisenberater. Wen beraten Sie denn?
Den Kanton Wallis im Bereich Corona und Tourismus. Sonst halte ich ab und zu noch Vorträge. 

Suchen Sie noch immer das Rampenlicht? 
Ich denke nicht, ich gehe nicht von selbst auf die Medien zu. Sie haben ja mich angefragt (lacht).

Es gab noch nie so viele Menschen, Kühe, Schafe und Hühner wie jetzt. Für Krankheitserreger ideal.

Daniel Koch

Spielt Corona für Sie gar keine grosse Rolle mehr? Sie engagieren sich ja jetzt für eine Initiative, die Feuerwerk verbieten will. 
Ich engagiere mich seit je fürs Tierwohl, insbesondere für Hunde. Dazu stehe ich, aber ich bin da nicht wahnsinnig aktiv. 

Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Alain Berset? 
Vor zwei, drei Monaten. Er ist sehr beschäftigt, aber ich habe meine Kontakte. Deshalb glaube ich, Herr Berset weiss meistens, was ich denke. 

Mit dem IKRK waren Sie früher in der ganzen Welt unterwegs. Vor welcher Krankheit hatten Sie am meisten Angst? 
Ganz klar Ebola. Ebola, Lassafieber und ähnliche Viren, die innere Blutungen verursachen, sind sehr gefährlich. Aber auch HIV muss weiter bekämpft werden.

Gehen diese Krankheiten wegen Corona vergessen? 
In Ländern mit nicht so gut entwickelten Gesundheitssystemen wurden wegen Corona die Kinderimpfungen vernachlässigt. Das birgt Gefahren wie Masern oder Kinderlähmung. Auch Malaria bleibt ein Problem. Es fehlt also nicht an herausfordernden Krankheiten auf dieser Welt. 

Ihre Eltern starben, als sie sechs Jahre alt waren. Was war der Grund? 
Meine Eltern starben kurz hintereinander an verschiedenen Krankheiten. Meine Mutter hatte Brustkrebs. Das war damals noch nicht so gut therapierbar wie heute. Mein Vater starb wahrscheinlich an einer Hepatitis, die einen schweren Verlauf nahm. Das war damals unter Ärzten wohl nicht selten. 

Glauben Sie, dass Sie das zur Medizin geführt hat? 
Ich denke nicht. Ich war damals noch nicht mal in der Schule. Doch ich komme aus einer Ärztefamilie, von daher gab es diese Berührungspunkte. Was im Leben alles eine Rolle gespielt hat für spätere Entscheide, kann man manchmal gar nicht so genau sagen. 

Werden wir zwei 2024 wieder miteinander sprechen und rätseln, wann Corona vorbei ist? 
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze jetzt noch eine ganz schlechte Wendung nimmt, ist klein. Aber es kann natürlich sein, dass dann eventuell schon das nächste Problem da ist. 

Bitte nicht – wir brauchen eine Pause! 
Aus Sicht der Viren und Bakterien sind wir eine grosse Monokultur. Es gab noch nie so viele Menschen, Kühe, Schafe und Hühner wie jetzt. Für Krankheitserreger ist das ein Potenzial, das in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist. 

Klingt nach einem Horrorszenario. 
Wir wissen nicht, wann die nächste Pandemie kommt. Aber die Menschheit hat bisher immer recht schnell dazugelernt. Darauf hoffe ich auch jetzt.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 23. Januar 2022 - 11:55 Uhr