Bei uns gibt es zwischendurch sogar Sonnenschein», sagt Pater Martin Werlen. Er ist verantwortlich für die Propstei St. Gerold in Vorarlberg – im Westen Österreichs. Doch die Überschwemmungen im Osten beschäftigen auch ihn und seine 35 Mitarbeitenden. «Sie haben Dimensionen angenommen, die man sich nicht im Schlimmsten hätte vorstellen können», sagt der 62-jährige Oberwalliser.
Pater Martin, haben Sie Kontakt mit Direktbetroffenen?
Diese Woche mussten wir ein Seminar absagen, weil die Leiterin im Katastrophengebiet wohnt. Und viele unserer Gäste in der Propstei haben Angehörige, die von den Überschwemmungen betroffen sind. Eine Mitarbeiterin aus der Slowakei macht sich grosse Sorgen um ihre Heimat. Viele Menschen dort haben keine Gebäudeversicherung. Das gibt eine grosse Unsicherheit: Wie geht es weiter? Wer kann mir helfen? Es ist dramatisch, fürchterlich.
Was beunruhigt Sie am meisten?
Dass wir mit der Schöpfung nicht gut umgehen! Seit Jahrzehnten warnen uns Wissenschaftler vor den Folgen des Klimawandels. Doch Österreichs Bundeskanzler sagte noch vor Kurzem, man solle diesen sogenannten Apokalypsenerzählungen nicht glauben. Ein anderer Politiker sprach von KlimaKommunismus. Dieselben Politiker, die junge Demonstrantinnen und Demonstranten als Klima-Terroristen bezeichneten, sind jetzt ganz bekümmert angesichts der Überschwemmungen. Das zeigt mir: Wir sind nicht bereit, unsere Verantwortung gegenüber der Schöpfung wahrzunehmen.
Sie klingen frustriert.
Ich hoffe, dass wir alle mal erwachen. 2015 rief Papst Franziskus in seiner Schrift «Laudato si» dazu auf, sorgfältig mit Gottes Schöpfung umzugehen. Das heisst auch, auf gewisse Dinge zu verzichten. Wer das nicht wahrhaben will, ist blind. Jeder und jede kann dazu beitragen, dass unser gemeinsames Haus bewohnbar bleibt.
In Katastrophen zeigt sich aber auch grosse Mitmenschlichkeit. Etwa, wenn sich spontan Menschenketten bilden, um einen Deich zu sichern.
Ja, es gibt eine grosse Solidarität in Österreich. Der Einsatz von Feuerwehr und Hilfskräften ist enorm. Das zeigt mir, dass Menschen grundsätzlich bereit sind, anderen zu helfen. In dramatischen Situationen wie jetzt tritt das einfach deutlicher zutage als im Alltag.
Reicht das nicht?
Immer nur zu reagieren, wenns brennt, genügt nicht. Es braucht den Blick fürs Gesamte. Gemeinsam könnten wir doch möglichst so handeln, dass es gar nicht erst brennt! So viel ich weiss, gibt es erst ein Land auf der ganzen Welt, das klimaneutral ist: Bhutan mit weniger als einer Million Menschen. Das sollten wir uns als Vorbild nehmen.
Naturkatastrophen werden häufiger und immer schlimmer. Was können wir überhaupt gegen sie ausrichten?
Die Natur ist eine grosse Kraft, die wir nicht einfach beherrschen können. Mich erinnert das daran, dass viele Heilige mit einem Bären abgebildet sind.
Was meinen Sie?
Der Bär ist ein Symbol für die Kraft der Natur. Könnte er sprechen, würde er uns sagen: Ich war vor euch hier – arrangiert euch mit mir, sonst geht bitte weg! Doch heute haben wir eine ganz andere Haltung. Der Bär muss weg, der Wolf muss weg. Wir betonieren Grünflächen zu und nehmen nicht nur den Tieren, sondern auch uns selbst den Lebensraum weg.
Früher galten Naturkatastrophen als Ausdruck von Gottes Zorn. Empfinden Sie diese Überschwemmungen als Strafe?
Nein. Aber Gott zeigt uns, dass wir besser auf sein Werk aufpassen müssen. Als Kind lerne ich doch auch, dass ich mir an einer heissen Herdplatte die Finger verbrenne. Ist eine schwierige Situation vorbei, sollten wir nicht wieder ins Alte zurückkippen und den Klimawandel zum Nicht-Thema machen. Ich möchte uns alle einladen, sich dieser Verantwortung zu stellen. Hier in der Propstei St. Gerold gelingt uns das auch immer wieder.
Was machen Sie denn konkret?
Wir sanieren gerade, und das möglichst nachhaltig. Teile der Bausubstanz sind über 1000 Jahre alt. Der Lehm für den Boden kommt aus der Region, das Eschenholz aus unserem Wald. Wir heizen mit Holzschnitzeln und haben eine grosse Fotovoltaikanlage. In unserem Garten lernen Kinder, mit der Schöpfung umzugehen. Und unsere Pferde benutzen wir nicht einfach, wir leben mit ihnen.
Im Kleinen mag das gelingen – aber was nützt es im Grossen?
Das Grosse setzt sich aus dem Kleinen zusammen. Ich glaube an den Schneeballeffekt dieser Schritte und an die Hoffnung.
Sind die aktuellen Überschwemmungen eine Sintflut?
Für die direkt betroffenen Menschen schon. Sie haben teilweise ihr Erspartes in ein Haus gesteckt, und dann wird das innert Minuten weggespült.
Es wird nicht die letzte Überschwemmung gewesen sein. Müssen wir eine Arche bauen?
Jeder Ort, in dem versucht wird, miteinander und nachhaltig zu leben, ist eine Arche. Und alle Politikerinnen und Politiker, welche sich den Herausforderungen stellen, sind Menschen, die mit Weitsicht an dieser Arche bauen.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Die zupackenden Menschen, die ich jetzt im Fernsehen sehe. Viele denken schon an den Wiederaufbau. Diese Kraft der Hoffnung beeindruckt mich. Es ist wichtig, dass man Zeichen setzt, welche bei ihnen ankommen. Ein grosser Telefonanbieter in Österreich ermöglicht jetzt Betroffenen unlimitiertes Telefonieren und Nachrichten-Verschicken. Damit sie mit ihren Liebsten verbunden bleiben.
Wie spenden Sie Trost?
Mir kommt ein Gedicht der Benediktinerin Silja Walter in den Sinn. Eine Strophe heisst: «Ist hinter allen Dingen, die scheinbar nicht gelingen, doch Einer, der mich liebt?» Der Gedanke hilft mir und motiviert mich, nicht aufzugeben. Und diese Haltung teile ich gern mit anderen.
In seinem aktuellen Buch «Baustellen der Hoffnung» gibt Pater Martin Impulse für den Umbau von Kirche und Gesellschaft.