Saalbach-Hinterglemm, Sonntag, kurz nach 19 Uhr: Die Medal Plaza ist brechend voll. Überall werden rot-weisse Fahnen geschwenkt – mittendrin prangt eine riesige schwarze Fahne. «Franjo.Ski», steht darauf geschrieben. Während die Fans auf die Bühne starren, freudig auf die Siegerehrung der besten Abfahrer der Welt warten, ihre Helden, schiebt hinter ihnen einer die neongelbe Absperrung weg. Ein strahlender Marco Odermatt taucht auf – sein Anblick ist, nun ja, gewöhnungsbedürftig. Kichernd winkt er seine Teamkollegen zwischen den Absperrgittern durch. Ein halb rasierter Kopf nach dem anderen taucht auf. Fröhlich mischt sich die Truppe unter die Menge.
Die Haarpracht von Alexis Monney (l.) wurde schon in Kitzbühel gestutzt. Der Rest des Teams zog an der WM in Saalbach nach
Sven ThomannMit den Athleten unterwegs ist auch Stella Parpan (25) die Freundin von «Odi», sowie Melanie und Kilian von Allmen, die Geschwister von Franjo, und andere Familienmitglieder der Medaillengewinner.
Marco Odermatt feiert halb kahl mit Langzeitfreundin Stella Parpan die Goldmedaille von Skikollege Franjo von Allmen.
keystone-sda.chNatürlich! Diesen Moment will das Schweizer Männer-Speedteam auf keinen Fall verpassen. Gleich zwei Kollegen, Freunde, stehen auf dem Podest. Es ist der ganz grosse Tag für die Schweiz an den alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2025 in Saalbach (A): In der Königsdisziplin, der Abfahrt, holt Franjo von Allmen Gold.
Stolz auf Franjo: Mama Susanne von Allmen mit Schwester Melanie und Bruder Kilian.«Wir sind einfach überglücklich.»
david birriMit 23 Jahren ist der Berner Oberländer einer der jüngsten Abfahrtsweltmeister aller Zeiten. Für den Zimmermann aus Boltigen ist es der erste Auftritt an einer WM. «Ihr seid einfach der Wahnsinn», bedankt er sich bei der Siegerehrung sichtlich überwältigt beim Publikum.
Dann gibt er das Mikrofon schnell an den Silbermedaillengewinner weiter. «Mehr als zu ihrer Leistung möchte ich den Schweizern zu ihrer Friseurin oder ihrem Friseur gratulieren», scherzt der Österreicher Vincent Kriechmayr (33). Die Bronzemedaille darf sich der Freiburger Alexis Monney (25) umhängen lassen. «Ein unfassbar verrückter Moment», schwärmt er. Als Franjo und Alexis auf der Bühne ihre Kappen für die Nationalhymne lupfen, wird schnell klar: Auch sie sind vom Rasierer nicht verschont geblieben. Die Aktion war geplant. «Die Trainer haben versprochen, dass sich alle eine Glatze rasieren, wenn wir einen Doppelsieg feiern», erklärt Monney nach der Siegerehrung. «Weil es keiner geworden ist, haben wir die Haare nun halt halb wegrasiert. Wir haben viel zu feiern.»
Die Schweizer Skiparty fängt bereits zwei Tage vor der Abfahrt an. «Dr. Snuggles» Marco Odermatt holt sich im Super-G überlegen den Weltmeistertitel. Er ist damit neben Hermann Maier und Pirmin Zurbriggen einer von nur drei Skistars, die in drei Disziplinen WM-Gold gewonnen haben. «Das bedeutet mir sehr viel», sagt der Nidwaldner. In der Königsdisziplin reicht es dem 27-Jährigen «nur» zu Rang 5, er kann seinen Titel von 2023 nicht verteidigen. Im Ziel ärgert er sich. «Doch als ich gesehen habe, wer vor mir liegt, habe ich mich riesig gefreut.»
Strahlender Superstar: «Odi» holt an der WM in Saalbach Gold im Super-G und freut sich hemmungslos im «Swiss-Ski Stübli».
david birriSiegen und Spass haben
Für von Allmen kommt der Weltmeistertitel überraschend. Er steht nun in einer Reihe mit seinem Freund «Odi», aber auch mit anderen Schweizer Skistars wie Bernhard Russi, Pirmin Zurbriggen oder Beat Feuz. «Das ist bei mir noch überhaupt nicht angekommen, das ist komplett unrealistisch», sagt er. «Es war überhaupt nicht mein Ziel für diese Saison, Weltmeister zu werden, das habe ich nicht erwartet. Ich muss das erst einmal verarbeiten.»
Nach dem Super-G zwei Tage zuvor will Franjo von Interviews nichts wissen. Rang 12 – so hatte sich das der Sieger des Lauberhorn-Super-G nicht vorgestellt. «Ich habe den Druck von aussen wahrgenommen. Auch wenn ich es mir nicht eingestanden habe. Ich habe alles zu nah an mich herangelassen. In der Abfahrt konnte ich nichts verlieren, ich wollte Spass haben und mein bestes Skifahren zeigen.»
«Ich muss das alles erst verarbeiten», sagt von Allmen (l.) nach seinem Gold-Coup. Er und Zimmerkollege Alexis Monney ziehen durch die Nacht.
david birriNach der Siegerehrung geht es für den frisch gebackenen Weltmeister weiter zu den Fernsehinterviews. Franjo bedankt sich bei seinem ehemaligen Trainer Franz Heinzer (62). «Ich hoffe, dass ich ihm mit diesem Titel etwas zurückgeben kann.» Über die neue Frisur sagt er grinsend. «Blöd gelaufen.» Und verrät: Er sei der Erste gewesen, der bei Speedtrainer Nicolas Margreth den Rasierer ansetzen durfte.
Feiern bis zum «Abriss»
Später gehts für von Allmen mit dem Auto zum «Swiss-Ski Stübli», wo er endlich Mama Susanne, Schwester Melanie und Bruder Kilian in die Arme schliessen darf. «Unfassbar», sagt Susanne von Allmen zum grandiosen Erfolg ihres Sohnes. Für mehr fehlen ihr die Worte. Es ist ein Glückstag für die Familie, die in den letzten Jahren zusammenstehen musste: 2019 starb Franjos Vater unerwartet. Mit nur 17 Jahren steht die Karriere von Franjo bereits kurz vor dem Aus. Dank eines Crowdfundings kann er weitermachen. Mit grandiosem Happy End.
Bronzegewinner Alexis Monney herzt im Schweizer Stübli sein Mami Isabelle. Für sie hat er Bronze gewonnen – und nicht Gold verloren. «Wenn ich das alles Anfang Saison hätte unterschreiben müssen, ich hätte es sofort gemacht.» Auch Papa Louis ist stolz. «Ich wusste schon, dass er schnell fahren kann», sagt der gelernte Schreiner und Skilehrer. In Les Paccots FR hat er einst Skirennfahrer wie Steve Locher und Paul Accola betreut. «Eine solche Leistung an einer WM bringen zu können, das ist einfach unglaublich.»
Die Hütte kocht, ein Schwyzerörgeli-Trio schmettert einen Après-Ski- Gassenhauer nach dem anderen, die Fans johlen auf den Bänken mit. Swiss-Ski-Alpin-Direktor Walter Reusser sagt: «Die ganze Schweiz ist stolz auf euch.» Auch Marco Odermatt tanzt auf den Tischen, präsentiert seine neue Haarpracht und organisiert sogar eine Schere, um den einen oder anderen Partygast in sein «Haarteam» zu ziehen.
«Odi» schreibt auch an in Saalbach Geschichte: Gold im Super-G. Nun hat der Nidwaldner Gold in drei WM-Disziplinen.
david birri
Nun ist auch Franjo von Allmen auf einen Schlag über die Schweizer Grenze hinaus bekannt. Sein Instagram- Account ist seit Anfang Saison von rund 15 000 auf über 100 000 Follower angewachsen. «Ich bin nicht die Person, die gern in der Öffentlichkeit steht», sagt der frisch gebackene Abfahrtsweltmeister. «Doch man kann die Aufmerksamkeit als Sportler auch nutzen, und das ist schön.»
Team-Spirit! «Es macht einfach Spass.» Gold für Odermatt und von Allmen, Bronze für Monney (v. l.).
Sven Thomann
Vor dem Licht, so viel steht fest, stehen sich die «Jungen Wilden von Saalbach» nicht. «Es hat sich schon Anfang Saison gezeigt», schwärmt von Allmen: «Wir haben einen unglaublichen Zusammenhalt. Es macht einfach Spass.» Und so soll es an dem Abend feucht-fröhlich weitergehen, bis in die frühen Morgenstunden. Von Allmen fasst es in ein Wort: «Abriss!»