Iouri Podladtchikov, im Sommer haben Sie den Rücktritt vom Spitzensport erklärt. Nun stürzen Sie sich für «The Last Run» am 28. Januar doch wieder die Pipe hinunter. Warum?
Es war für mich eine unwiderstehliche Anfrage, die mir sehr geschmeichelt hat. Ich zeige noch ein letztes Mal einen Lauf, bei welchem man virtuell mit dabei sein kann.
Wirklich ein letztes Mal? Oder ist das der erste Schritt zum Wettkampf-Comeback?
Es gibt kein Comeback und es wird auch keins geben.
Ihr Antrieb war stets der Sieg, was ist denn heute Ihre Motivation?
Nun geht es nicht mehr um die schwierigen Sprünge, sondern nur noch um die Ausführung. Ganz ohne Erwartungshaltung. Ich möchte einfach einen Lauf zeigen, der sich gut anfühlt. Und hoffentlich hoch und leicht aussieht. Mich motiviert der Gedanke noch einmal einen guten Lauf zu zeigen vor allem, weil es mir Freude macht und Hoffnung schenkt.
Sie umschreiben das alles so schön und romantisch. Man könnte auch sagen: Sie brauchen einfach das Geld.
Schön und romantisch ist es mit der darauffolgenden Frage nach Geld sicher nicht mehr.
Spüren Sie Nachwirkungen Ihres Schädel-Hirn-Traumas?
Ich glaube, ich bin impulsiver geworden. Aber ganz genau kann ich es nicht sagen.
Was war für Sie das Schwierigste am Abschied nehmen vom Spitzensport?
Es war wohl die Zeit vor der Verkündung des Rücktritts. Die vergangenen Jahre waren eine Achterbahnfahrt mit den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen. Es war wie ein Bürgerkrieg in mir drin. Mein Kampfgeist und Ehrgeiz gegen meine Vernunft und mein Wohlbefinden. Lange wollte ich auch gar nichts kommunizieren.
Wieso haben Sie ihre Meinung doch geändert?
Ich habe Marco Bruni, meinen langjährigen Coach, im Sommer beim Wakesurfen getroffen. Er hat mich kritisiert, ich müsse das kommunizieren. Er hat mich wachgerüttelt. Da habe ich realisiert: Ich schuldete es den Zuschauern, ihnen zu erklären, dass ich sehr gelitten habe in den letzten Jahren. Und dass mir das den Boden unter den Füssen weggezogen hat. Der ganze Spassfaktor war beinahe weg.
«Mit dem Sport, den Zielen, dem strukturierten Alltag habe ich mein Leben stets in Balance gehalten. Danach ist das Fundament weggebrochen. Da kommt einiges ins Wanken – egal wie viele andere Interessen und Standbeine du noch hast»
Sie hatten ja immer viele Interessen neben dem Sport – Kunst, Studium, Fotografie. Fielen Sie dennoch in ein Loch?
Ja. Auch ich habe das unterschätzt. Man kann sich nicht darauf vorbereiten. Ich habe mich physisch sehr fit gefühlt, doch der Kopf machte einfach nicht mit. Was mir am meisten Angst gemacht hat: Ich habe die Balance verloren. Mit dem Sport, den genauen Zielen, dem strukturierten Alltag habe ich mein Leben stets in Balance gehalten. Danach ist das Fundament weggebrochen. Da kommt einiges ins Wanken – egal wie viele andere Interessen und Standbeine du noch hast.
Wie haben Sie es geschafft, die Balance wiederherzustellen?
Ich habe mich bereits im Sommer 2019 (für ein Fotografiestudium, Anm. d. Red.) nach New York verzogen. Man könnte sagen, ich habe mich versteckt. So habe ich meine tiefste Phase nicht in der Öffentlichkeit ausgelebt. Wenns dir schlecht geht, auf der Bühne zu stehen – das wollte ich nicht. Denn je grösser die Bühne, desto lauter und emotionaler ist alles.
Was vermissen Sie am meisten am Spitzensportlerleben?
All die Bezugspersonen, die immer nahe waren und jetzt plötzlich in Distanz sind. Nicht jeden Tag zu trainieren, daran gewöhnt man sich. Doch ich vermisse meine Snowboard-Family. Nicht nur das Schweizer Team – alle Menschen auf dem Berg. Wir waren Nomaden, die sich auf der ganzen Welt immer wieder trafen. In Magglingen, an Anlässen, in Neuseeland im Trainingslager. Es ist lustig: Mehr als 10 Jahre war ich jeden Sommer in Neuseeland für Training und Weltcup. Mein Leben lang habe ich mir gewünscht, dort einmal nicht mehr hingehen zu müssen. Und jetzt fehlt mir genau das.
Das Nomadenleben haben Sie hinter sich gelassen. Der nächste Schritt: Sesshaft werden und eine Familie gründen?
Irgendwie wünschte ich mir das schon, aber die Zeit ist wohl noch nicht reif für mich. Ich habe diesbezüglich leider wieder einen Schritt rückwärts gemacht, weil ich mein ganzes soziales Umfeld verlassen habe, als ich nach New York ging.
Nun wohnen Sie seit einigen Wochen in Laax fürs Training. Sind Sie bereits wieder ein wenig wehmütig, das Snowboarden nach dem Event wieder hinter sich zu lassen?
Ein wenig vielleicht. Doch ich bin im Moment noch zu sehr damit beschäftigt, mir Sorgen zu machen, dass alles klappt und jedes Detail zu hinterfragen. Diesen Stress wollte ich ja eigentlich nicht mehr.