Frauenmehrheit am SI-Stammtisch: Die frühere Skirennfahrerin Monika Wicki-Hess, 57, führt heute Stars wie Marco Odermatt als Mentaltrainerin zum Olympiasieg. Stiftungspräsidentin Sonja Dinner, 59, kämpft in Sankt Petersburg um ihre zwei Heime für schwerstbehinderte Kinder. Die ehemalige Bankerin Marina Grossrieder, 47, leitet nun im ehemaligen Kloster das Culinarium Alpinum, wo die Runde sich trifft.
SI-Leserin Sandra Odermatt aus Beckenried NW ist nicht mit dem Olympiasieger verwandt, kennt aber dessen Familie. Die einzigen Männer am Tisch: FDP-Ständerat und Präsident von Seilbahnen Schweiz, Hans Wicki, 58, ist auf den Tag genau seit 40 Jahren mit Monika Hess zusammen. Und Moderator Werner De Schepper startet die Diskussion beim Klosterzmorge, wo sich gleich alle spontan duzen.
Der SI Stammtisch ist eine publizistische Initiative der Schweizer Illustrierten und Illustré in Zusammenarbeit mit DEAR Foundation-Solidarité Suisse und UBS Schweiz.
Sonja, hast du Kontakt zu deinen Heimen in Sankt Petersburg?
Sonja Dinner: Ich kenne Russland, seit wir die beiden grossen staatlichen Heime übernommen haben. Die Russen nennen diese Kinder noch heute nicht Patienten, sondern Insassen. Bei uns lernen Kinder essen und laufen, obwohl man in vielen Fällen nie damit gerechnet hätte. Aktuell haben wir ein grosses Problem: Wie kriegen wir unsere Hilfsgelder nach Russland? Gerade hatte ich einen russischen Geldgeber am Telefon: Er sagte mir, wie sehr er sich für sein Land schäme. Ich wollte im März oder April nach Russland. Diese Reise muss ich nun verschieben.
Monika Wicki-Hess: Aber dein Geldgeber hat vielleicht genug finanzielle Mittel, um einzuspringen?
Dinner: Er würde uns helfen, ja. Es sei denn, sein Geld ist eingefroren. Wir brauchen ein paar 100'000 Franken pro Jahr für diese beiden Heime.
Wicki-Hess: Mich machen die Bilder aus der Ukraine tief betroffen. Für die Menschen gehts ums reine Überleben.
Hans Wicki: Ich frage mich, was kann die Politik tun? Mit Sanktionen tut man Putin selber nicht weh. Ihm tuts nur weh, wenn das Volk reagiert und sich gegen ihn erhebt.
Dinner: Ich glaube, Putin ist schon jetzt unter grossem Druck. Aber vielleicht macht ihn das noch gefährlicher.
Wicki-Hess: Er steht mit dem Rücken zur Wand.
Marina Grossrieder: Dass so etwas in Europa möglich ist, war für mich nicht vorstellbar.
Dinner: Russland wünschte sich stets einen Zaren. In den Wohnzimmern vieler Menschen hängen die Bilder von Putin mit nacktem Oberkörper in Kriegspose. Jene, die das nie wollten, waren die Vertreter der Intelligenzija. Noch vor ein paar Jahren wurde die politische Diskussion viel offener geführt. Heute getraut man sich nicht mal mehr in der Familie, seine ehrliche Meinung zu sagen.
Sandra Odermatt: Für mich war die Meldung des russischen Einmarsches irgendwie unwirklich. Es ist alles so nah. Was, wenn wir hier von einer solchen Eskalation betroffen wären?
Wicki: Unsere Generation kennt den Krieg nicht. Bei vielen Diskussionen über sicherheitspolitische Themen kam ich mir manchmal wie im falschen Film vor. Du sitzt in einer Sicherheitskommission – und hörst von den Linken, die Stahlhelmfraktion übertreibe. Zu viele lebten in der Illusion, dass es nur noch Gutmenschen und Nette gebe. Aber sind wir doch ehrlich: Uns interessiert nur Europa. Wenn in Afrika oder Syrien ein Krieg herrscht, berührt uns dies viel weniger. Aber vielleicht ist dies eine Chance, auch uns als Schweiz neu zu positionieren.
Grossrieder: Vielleicht müssen wir uns militärisch neu aufstellen.
Odermatt: Was mich schockiert, ist, dass eine einzige Person so viel Macht besitzt und Millionen von Menschen bedrohen und faktisch die ganze Welt destabilisieren kann.
Dinner: Aber Putin ist nicht der einzige Despot: Erdogan, Orban, Kim Jong-un oder Xi Jinping sind andere.
Grossrieder: Zum Glück haben wir hier in Stans keine solchen Machtmenschen als Gäste. Dabei wären die Touren und die Erlebnispädagogik, die ich auf meiner Homepage anbiete, ideal für Entspannung und Deeskalation (schmunzelt).
Wicki (lacht): Vielleicht täuschst du dich. Denn die grössten Machtmenschen geben sich oft nicht zu erkennen.
Nidwalden hat die Nase vorn
Infolge tiefer Unternehmens-steuern gehören Obwalden und Nidwalden zu den Kantonen mit dem gesamthaft attraktivsten Kostenumfeld in der Schweiz.
Obwalden und Nidwalden verfügen über gesunde Staatsfinanzen, was wirtschafts-politische Flexibilität erlaubt. Die tiefe Arbeitslosigkeit über praktisch alle Altersgruppen hinweg zeigt eine gute Einbindung der lokalen Arbeitskräfte.
Diese Stärken bilden das Fundament solider langfristiger Wachstumsaussichten. Dass die Zentralschweizer Halbkantone nicht noch besser dastehen, ist bedingt durch ihre geografische Lage zwischen Vierwaldstättersee und Alpen. Diese erschwert die Erreichbarkeit dicht bevölkerter Metropolregionen mit grossen Absatzmärkten sowie eines internationalen Flughafens.
Nidwalden verfügt insgesamt über ein langfristig stärkeres Wachstumspotenzial als Obwalden. Es profitiert von der unmittelbaren Nähe zum regionalen Zentrum Luzern und dessen Universität. Als Schweizer Vorreiter bei der steuerrechtlich privilegierten Patentbox verzeichnet Nidwalden die landesweit meisten Patentanmeldungen pro Einwohner.
Die Ökonomen Katharina Hofer und Claudio Saputelli sind die Autoren des UBS-Wettbewerbsindikators.
Putin ist doch ein Naturmensch. Er posiert in der freien Wildnis mit nacktem Oberkörper …
Wicki: Das ist alles inszeniert! Er ging wohl nur für diese Fotos in die Natur.
Dinner: Was ihn eher charakterisiert, sind seine prunkvollen Häuser. In der Nähe von Sankt Petersburg liess er gerade ein protziges Versailles aus dem Boden stampfen. Natur gibts dort keine.
Was könnte uns denn die Natur Positives vermitteln?
Grossrieder: Sie erdet. Wir haben hier in der Gegend zahlreiche Kraftorte, die positive Energie ausströmen und die Lebensgeister beleben.
Odermatt: Als Kinesiologin glaube ich nicht, dass solche Machtmenschen sich für Wohlbefinden interessieren.
Wicki-Hess: Aus meiner Position kann ich sagen, dass der Antrieb immer vom Kunden aus kommen muss. Mentaltraining ist harte Arbeit. Wenn jemand nicht bereit ist, diese zu leisten, ist er am falschen Ort. Als ich beispielsweise vor sieben Jahre mit Marco Odermatt zu arbeiten begann, war er noch ein anderer Mensch. Aber die Voraussetzungen besass er schon damals. Er ist in einer sehr stabilen Familie aufgewachsen und konnte dort seine ersten Erfahrungen sammeln – mit Siegen und Niederlagen. Er hat Nerven wie Drahtseile, und er besitzt Urvertrauen und Bodenhaftung.
Dinner: Spürst du denn, was ein Sportler wie Odermatt braucht?
Wicki-Hess: Es sind kleine Elemente, die ich zum Erfolg beitragen kann. Was die Sportler an den Olympischen Spielen geleistet haben – auch in der Materialfrage mit ihren Serviceleuten –, war grandios und die Basis der Erfolge. Auch bei Marco war die Leistung, die er in diesem Bereich gebracht hat, sehr gross – noch bevor die mentale Komponente ins Spiel kam. Dass es letztlich im Riesenslalom voll aufgegangen ist, war auch das Resultat der ersten Rennen. Als Siebter zeigte Marco schon in der Abfahrt eine ganz starke Leistung. Und im Super-G wusste er, dass er alles riskieren musste.
Grossrieder: Sagst du ihm vor einem Rennen, dass er «alles geben» muss?
Wicki-Hess: Marco musste in Peking faktisch noch mehr geben als 100 Prozent. Denn er hatte den Nachteil beim Material zu kompensieren. Wir standen während der Spiele schriftlich in Kontakt. Er kann sehr gut analysieren und kommunizieren. Und er hat Vertrauen in seine Leute. Wenn er eine Entscheidung getroffen hat, geht er diesen Weg konsequent. Unsicherheiten gibt es bei ihm nicht. Das ist seine grosse Stärke. So muss man meinen Beitrag relativieren. Aber in den sieben Jahren haben wir sicher nicht nur geplaudert. Als er in Adelboden vor dem Heimpublikum gewonnen hat, war ich mir sicher: Er kann alles schaffen.
Odermatt: Mich fasziniert Marco als Mensch – und wie er alles prästieren kann. Dass nach dem Super-G geschrieben wurde, er könne mit dem Druck nicht umgehen, war völlig aus der Luft gegriffen. Marco hat mehr als bewiesen, dass er die Nerven hat.
Wicki-Hess: Marco weiss genau: Die Journalisten sind Menschen, die euphorisch sind – und dann ins andere Extrem kippen. Marco ist sich aber auch bewusst, dass trotz aller Stabilität und trotz allen technischen Fähigkeiten etwas schiefgehen kann. Ski Alpin ist eine Sportart, in der du in 80 Sekunden deine Leistung erbringen musst. Einen Fehler erträgt es nicht.
Dinner: Das ist wie bei einem Wirtschaftsführer, der genau eine Chance besitzt, während zwei Minuten die Ansprechpartner von seiner Idee zu überzeugen. Aber viele auswärtige Beobachter sind sich dieser Drucksituation nicht bewusst.
Gelebte Solidarität
Frau Dinner, wie helfen Sie?
Die Stiftung DEAR Foundation-Solidarité Suisse unterstützt Menschen in der Schweiz, die unter anderem durch Covid-19 ihre Arbeit verloren haben. Wir tun dies etwa durch Umschulungen. Dabei profitieren wir von der Erfahrung der 2006 gegründeten Schwesterstiftung The DEAR Foundation, die weltweit Tausenden Menschen durch Bildung und mit Mikrokrediten eine neue Basis gibt.
Warum wirkt die Pandemie noch nach?
Corona hat viele Menschen in der Schweiz sowie die Wirtschaft – speziell Einzel- und Kleinstunternehmer – hart getroffen. Deshalb setzen wir uns weiterhin ein.
Wen unterstützen Sie?
Menschen und Initiativen, basierend auf den Kriterien Notwendigkeit, Nachhaltigkeit und maximale Wirksamkeit für eine berufliche Zukunft. Wir ergänzen Aufgaben von Gemeinwesen und anderen öffentlichen Institutionen und konkurrenzieren diese nicht.
Sind Spenden bei Ihnen in guten Händen?
Ja! Alle Programme werden durch unser Team sorgfältig evaluiert und begleitet. Wir stellen einen vertrauensvollen Umgang mit den Spenden und deren Einsatz sicher. Unser Tätigkeitsbericht ist unter «Medien» bei dearsolidaritesuisse.ch ersichtlich. Wir sind gerne für Ihre Fragen da.
->Unterstützen Sie mit Ihrer Spende nachhaltige Projekte: www.dearsolidaritesuisse.ch
Marina, du warst früher eine Bankerin. Nun bist du hier die Geschäftsführerin des Culinarium Alpinum. Warum lautet deine Devise: Sbrinz statt Parmesan?
Grossrieder: Unser Alpsbrinz stammt aus dem ältesten Milchwirtschaftsgebiet der Schweiz und verfügt über einzigartige Röstaromen. Ich sage immer: Nehmt Sbrinz und nicht Parmesan zur Pasta. Wenn ich die Leute dazu bewegen kann, dass sie im Coop den Sbrinz kaufen, ist dies ein grosser Erfolg.
Dinner: Ich nehme immer den Sbrinz – denn ich stehe zu Schweizer Produkten. Das gilt auch in anderen Bereichen. Ich habe zwar sehr gerne dieses italienische Mineralwasser, das alle kennen. Trotzdem kaufe ich Schweizer Wasser, wenn es erhältlich ist.
Grossrieder: Genau so können wir dazu beitragen, dass es unseren Produzenten besser geht. Beim Sbrinz ist es so, dass wir den Älplern einen fairen Preis bezahlen. Das schafft die Motivation, diesen Käse wieder vermehrt zu produzieren.
Wir sprechen hier von hochwertigen Schweizer Produkten – in einer idyllischen Umgebung. Doch gerade werden wir mit Flüchtlingen aus einem Kriegsgebiet in Europa konfrontiert. Was tun wir jetzt?
Wicki: Diese Menschen haben es verdient, dass wir ihnen helfen. Aber sie haben es auch verdient, dass sie ein Zuhause haben. Wir müssen dazu beitragen, dass sie wieder in ihrem eigenen Land leben können.
Dinner: Das ist ein hehrer Gedanke. Aber Flüchtlinge wollen nicht flüchten. Sie wollen zu Hause bleiben. Flüchtlinge sind nicht Migranten.
Wicki: Es ist nicht die Frage, ob Nidwalden Leute aufnehmen kann. Wir müssen dazu beitragen, dass die Menschen wieder nach Hause kommen – und mithelfen, dass sie wieder nach Hause können.
Dinner: Ich wünsche mir, dass die Schweiz ihre humanitäre Verantwortung wahrnimmt – und dass sie gleichzeitig ihre diplomatischen Dienste anbietet, um dieser menschlichen Katastrophe entgegenzuwirken. Immer zum Wohle der Betroffenen. Das gilt aber für alle Konflikte auf dieser Welt – auch für Syrien. Das sind menschgemachte Tragödien, die so nicht mehr geschehen dürften.