Ich muss zuerst ein kleines Geständnis machen. Irgendwie mochte ich Luca Hänni bisher nur so halbwegs. Nicht, weil er irgendetwas verbrochen hätte. Er war für mich einfach zu wenig greifbar. Vielleicht hatte ich ihn auch schlicht als «Gewinner irgendeiner der tausend Casting-Shows» abgestempelt und ihn deshalb etwas ignoriert. Entsprechend mittelmässig begeistert war ich, als er zum diesjährigen Schweizer ESC-Vertreter erkoren wurde. «Nun ja», dachte ich, «schlechter machen als alle anderen zuvor kann er es ja fast nicht».
Nach dem zweiten Halbfinale am Donnerstagabend muss ich meine Meinung zu Luca revidieren. Der Hänni ist super! Ich habe zwar etwas gezittert, als «Switzerland» bis fast zuletzt nicht als Finalist genannt wurde. Zu Unrecht. Luca Hänni hat es nach fünf Jahren endlich einmal wieder geschafft, als Schweizer den «ESC»-Code zu knacken. Keine einfache Sache.
Die Welt des Eurovision Song Contests ist eine ganz spezielle. Und besteht nicht nur während ein paar wenigen Tagen Mitte Mai. Sobald die meisten Songs der Länder feststehen, finden in ganz Europa jeweils Events statt, an denen die Künstler auftreten, Interviews geben, und und und. Für den späteren Support gilt es bereits hier, die Basis zu schaffen. Luca Hänni gab dabei alles. Und sprach mit allen. Das zahlt sich nun aus. Die erste Ziffer zum «ESC»-Code.
Zu überzeugen gilt es bei diesen Events vor allem die LGBT-Community, die mit Abstand grösste Fangruppe des Eurovision Song Contests. Das macht sich spätestens am Austragungsort bemerkbar.
Man muss es fast einmal miterlebt haben, was dort rund um den grössten Gesangswettbewerb weltweit jeweils abgeht. Es herrscht Party-Stimmung pur, alles ist bunt, glitzert, an jeder Ecke ertönen die aktuellen oder ehemaligen ESC-Songs.
Dieses Jahr besonders angesagt: «She Got Me» von Luca Hänni. Kein Wunder, der Song animiert nicht nur zum Mitsingen, sondern auch zum Mittanzen. Sogar an ein «Tanz-Lern-Video» hat das Team rund um Hänni gedacht. Ziffer zwei zum Erfolg!
Eine weitere Möglichkeit, die Community für sich zu gewinnen: Man schicke einen jungen, gutaussehenden Herrn ins Rennen. Zur Sicherheit erfüllte die Schweiz dieses Jahr mit Luca Hänni auch gleich dieses Kriterium, quasi die Zusatzziffer.
Klar aber ist auch: Diese Zutat kennen auch andere Länder. Und Aussehen alleine reicht längst nicht mehr. Das beste Beispiel dafür ist dieses Jahr Belgien. Der «Justin-Bieber-Verschnitt» Eliot kommt beim Publikum – auch wenn noch etwas jung – auf den ersten Blick sicher gut an. Auf den ersten Ton hingegen nicht mehr.
Ganz anders ist das bei Luca Hänni. Der 24-Jährige sieht nicht nur super aus. Sondern trifft auch jeden Ton. Dazu sitzt auch noch jeder Schritt. Live. Die nächste Ziffer des «ESC»-Codes. Und fast die wichtigste.
Dass im Zweifelsfall Können über Aussehen gewinnt, hat auch damit zu tun, wer schlussendlich die Punkte verteilt. Die Community vor Ort transportiert zwar die Stimmung. Entscheidet aber kaum über die Punkte. Vielmehr sind dies zum einen Fachjurys. Die man eben mit einem fachlich perfektem Auftritt in der Tasche hat.
Zum anderen aber sind es auch schlicht die Zuschauerinnen und Zuschauer vor den TVs, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Und das aus ganz Europa (und Australien). Es gilt also, die rumänischen Zuschauer ebenso abzuholen wie jene aus Spanien, Schweden, Irland...
Dafür braucht es die richtige Mischung. Ein Song der mitzieht, aber niemandem wehtut. Ein Song, der Elemente aus den verschiedensten Kulturen aufnimmt. Und das alles präsentiert vom perfekten Schwiegersohn, den alle irgendwie lieb haben. Ob dies Luca Hänni hinkriegt? Fragen wir doch mal Fans:
Damit sind alle Ziffern zum Code zusammen – und Luca Hänni wird mit seinem Song zum perfekten Gesamtpaket.
Er ist sympathisch, steht mit viel Herzblut hinter seinem Einsatz, sieht gut aus, kann singen und tanzen. Er hat den Europa-tauglichen Song. Und nicht zuletzt hat er auch schlicht die passende Bühnenshow und das richtige Team, um alle Ziffern des «ESC»-Codes gekonnt zu arrangieren.
So schön war der Auftritt von Luca Hänni am ESC
Ich muss euch zum Schluss nochmals ein kleines Geständnis machen. Ich bin tatsächlich inzwischen selbst ein kleiner Luca-Hänni-Fan. Und finde als solcher: Luca Hänni hätte durchaus die einen oder anderen «12 points» am diesjährigen ESC verdient. Ich freue mich zumindest auf das Finale. Seit Jahren wieder einmal.