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Zurück aus den USA

Ex-Nasa-Direktor Thomas Zurbuchen ist bereit für den Neustart

Nach einer erfolgreichen Karriere in den USA kehrt Wissenschaftler Thomas Zurbuchen zurück in die Heimat. Jetzt will der ehemalige Nasa-Direktor mehr Swissness in den Weltraum bringen: «Wir haben noch Luft nach oben.»

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Thomas Zurbuchen, Astrophysiker, aufgenommen im Departement für Erd- und Planetenwissenschaften an der ETH in Zürich. ©Kurt Reichenbach

«Die Gesetze der Natur sind einfacher als jene des menschlichen Zusammenseins»: Thomas Zurbuchen am Departement für Erd- und Planetenwissenschaften der ETH Zürich.

Kurt Reichenbach

Thomas Zurbuchen (56) fühlt sich in Zürich manchmal wie ein Ausserirdischer. Nach 25 Jahren in den USA staunt der Astrophysiker über Schweizer Eigenheiten. Darüber, dass er nachts nirgends einkaufen kann («Tagsüber arbeite ich doch») oder dass er die Möbel für seine neue Wohnung bei Ikea kaufen musste («Ich wusste nicht, dass alle anderen Geschäfte derart lange Lieferfristen haben»). Dennoch: Seine Landung in Zürich ist geglückt, findet der 56-Jährige.

In seiner Zeit als wissenschaftlicher Direktor bei der Nasa leitete er über 130 Weltraummissionen. Er verwaltete bis zu acht Milliarden Dollar Budget pro Jahr, hatte 8000 Mitarbeitende, einen direkten Draht zum Büro des US-Präsidenten und nach sechs Jahren das leise Gefühl, dass es Zeit für etwas Neues ist. «Am Ende dachte ich bei vielen Problemen: Hier brauchts Trick 77 oder Trick 22. Zu viele Wiederholungen.» Welches sind diese Tricks, die darüber entscheiden, ob ein milliardenteures Weltraumteleskop ins All geschossen oder ein Meteorit an der Erde vorbeigelenkt wird?

Das erzählt Zurbuchen nun als Professor den Studierenden des neuen Studiengangs «Space Systems» an der ETH Zürich. Sein Ziel: «Führungskräfte von morgen für den Raumfahrtsektor ausbilden.» Den Minderwertigkeitskomplex mancher Schweizer kann er nicht nachvollziehen. Schliesslich gehöre die ETH zu den besten Schulen der Welt. «Und im Weltraum spielt die Schweiz schon eine grosse Rolle. Alle europäischen Bilder des Mars sehen wir dank einer Schweizer Kamera. Was wir über Erdbeben oder Meteoriteneinschläge auf diesem Planeten wissen, wurde hier in diesem Gebäude erforscht.»

Thomas Zurbuchen, Astrophysiker, aufgenommen in seinem Büro an der ETH in Zürich. ©Kurt Reichenbach

«Die Rakete ist mein Lieblings-Glace.» Zurbuchen in seinem Büro an der ETH. 2021 wurde ein Asteroid nach dem Schweizer benannt.

Kurt Reichenbach

Das Departement für Erd- und Planetenwissenschaften befindet sich unweit des ETH-Hauptgebäudes in Zürich. Hier hat Zurbuchen sein Büro bezogen. An der Wand hängen Erinnerungen an jede erfolgreiche Mission unter seiner Ägide zur Raumstation ISS – Abzeichen für den Weltraum-Pfadfinder. Doch bevor er mehr über den neuen Studiengang erzählt, muss man ihm unbedingt noch ein paar dieser ganz grossen Fragen stellen:

Herr Zurbuchen, wann entdecken wir anderes Leben im All?

Ich glaube, Einzeller werden wir noch während meiner Lebensdauer finden. Doch Forschung ist manchmal wie eine Bergwanderung im Nebel. Man weiss nicht, wie nahe man dem Gipfel ist.

Würden Sie lieber zum Mond oder zum Mars fliegen?

Der Mars ist viel interessanter! Aber dahin zu fliegen, ist im Moment total theoretisch, weil es so gefährlich ist. Die Strahlung würde einen tödlich krank machen. Ausserdem ist eine Reise zum Mond eine Sache von zwei bis drei Wochen. Für den Mars braucht man zwei bis drei Jahre.

Welches ist Ihr Lieblingsplanet?

Ich mag die Erde. Der Saturn ist auch spannend. Seine Ringe sind noch gar nicht so alt, wie wir dachten. Hätten die Dinosaurier mit dem Teleskop in den Himmel geschaut, hätten sie ihn noch ohne Ringe gesehen.

Wo hört das Weltall auf?

Das Universum ist nicht wie eine Staubwolke in einem Raum. Es ist eher wie Punkte auf einem Ballon. Und die Ballonhülle gehört zum Universum dazu.

Thomas Zurbuchen, Astrophysiker, bei einer Vorlesung für angehende Weltraumprofis,  an der ETH Zürich ©Kurt Reichenbach

Thomas Zurbuchen bei seiner Vorlesung für die angehenden Weltraumprofis.

Kurt Reichenbach

Zwischenmenschliche Probleme

Mit diesem Gedanken im Kopf gehts rüber zur Vorlesung ins Hauptgebäude der ETH, wo schon Albert Einstein einst einen Spind bezogen hatte. Die knapp 30 Studentinnen und Studenten haben alle bereits einen Bachelor-Abschluss hinter sich. Zum Beispiel in Materialwissenschaften, Maschinenbau oder Erdwissenschaften. Vor sich haben die meisten an diesem Morgen einen Kaffee oder einen Energydrink. In den nächsten drei Stunden geht es um die irdischen Probleme auf dem Weg ins Weltall. Zum Beispiel: In welcher Phase einer Weltraummission sollte man Teile bestellen, deren Bau sehr lange dauert? Wann muss man dem Auftraggeber Bescheid geben, dass das Budget überschritten wird? Und wie stellt man eigentlich ein gut funktionierendes Team zusammen? «Die Probleme bei der Nasa waren fast immer zwischenmenschlicher Natur und viel seltener technischer Art», sagt Zurbuchen. Darauf wolle er die Studierenden vorbereiten. «Die Regeln des menschlichen Zusammenseins sind kompliziert.»

Wie viel einfacher sei hingegen die Natur. «Ihre Gesetze passen auf ein A4-Blatt, diese Einfachheit liebe ich!» Man muss nicht Astrophysik studiert haben, um Zurbuchens Vorlesung zu verstehen. «Der Weltraum ist nicht leer», sagt er den Studierenden. «Wie verhindert ihr, dass euer Satellit dort oben gegen einen anderen knallt?»

Manchmal mischt sich auch eine spitzbübische Freude darunter, etwa als er den Studierenden zeigt, wie bei einer Mission der Nasa die Laufbahn eines Asteroiden verändert wurde, indem eine Raumsonde absichtlich mit dem Himmelskörper kollidierte. «Das ist doch wie ein Videogame im All!» An solchen Missionen wollen seine Zuhörerinnen und Zuhörer einst selbst mitarbeiten. Vielleicht als hoch spezialisierte Profis für Satellitentechnologie. Vielleicht aber auch als jene Person, welche alle Fäden zusammenhält. «Er weiss Dinge, welche uns ein Akademiker nicht vermitteln kann», sagt einer der Studenten. «Wenn ich ihm zuhöre, weiss ich, dass ich am richtigen Ort bin», ein anderer.

Thomas Zurbuchen, Astrophysiker, aufgenommen im Departement für Erd- und Planetenwissenschaften an der ETH in Zürich. ©Kurt Reichenbach

«Die meisten Astronauten sind eher klein», sagt Thomas Zurbuchen, selbst 1,88 Meter gross.

Kurt Reichenbach

Die Familie in der Schweiz

An einem neuen Ort: Das ist nun auch Zurbuchens Familie. Seine Frau Erin (50) eine Amerikanerin, absolviert eine zweijährige Ausbildung, damit sie auch hier als Musiklehrerin arbeiten kann. Sein Sohn Lukas (22) macht ein Praktikum in der Schweiz. Studiert hat er Computerwissenschaften und Musik. Und Tochter Maria (21) studiert Neuropsychologie und absolviert nun ein Fernsemester von Zürich aus. Auch Hund Luna (7) hat den Umzug mitgemacht. «Als wir uns einen Hund anschafften, war meine Bedingung, dass er nach einem Himmelskörper benannt wird», erzählt Zurbuchen.

Doch was ist eigentlich mit dem Sternenhimmel? Jenem Anblick, der Thomas Zurbuchen einst dazu brachte, sein Heimatdorf Heiligenschwendi BE zu verlassen und die religiöse Welt seiner Eltern gegen einen Studienplatz an der Uni einzutauschen? «Hier in Zürich sieht man nicht so viele Sterne, aber das ist kein Problem für mich», sagt Zurbuchen. «In unserem Haus in Utah habe ich jeweils das ganze Panorama.» Sowieso: Wichtiger als sein persönlicher Blick in den Himmel ist ihm gerade die Förderung der neuen Schweizer Weltraumforscherinnen und -forscher. Denn für Zurbuchen ist klar: «Da haben wir noch Luft nach oben.»

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Lynn Scheurer vor 19 Stunden