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  4. Familie Julen macht aus dem Bergdorf Zermatt eine Feriendestination der Super­lative
Die Julen-Saga und das Matterhorn

Die Macher von Zermatt

Die Familie Julen war wesentlich daran beteiligt, dass aus dem Bergdorf Zermatt eine Feriendestination der Super­lative wurde. Julens bauten die ersten Skilifte, assistierten Walt Disney für einen Matterhorn-Film und brachten Familienmitglieder aufs Olympia-Treppchen.

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Familie Julen, Zermatt, SI 42/2021

Von ihnen stammen alle heutigen Julens ab (untere Reihe v. l.): Max Cotting-Julen, Armin Perren, Marie Julen, Paul Julen, Josa Abgottspon-Julen, Truda Julen, Mariette Julen-Schaller, Martin Julen, Blanka Julen, Emil Julen. Josa Abgottspon-Julen ist eine der Töchter vonVeronika. Sechsder zwölf Kinderleben noch. 1943: VeronikaJulen mit Max und August (r.). August brachte den Film nach Zermatt und assistierte Walt Disney.

Remo Naegeli

Ein gesegneter Sonntag im Herbst: kein Wölklein am blauen Himmel, beste Sicht aufs Matterhorn. 110 Menschen jeden Alters versammeln sich auf der Terrasse des «Chez Vrony», des legendären Restaurants in Findeln ob Zermatt. Mit Jeeps, Liften oder zu Fuss sind sie hergepilgert. Bei Wein und Raclette feiern sie die Vernissage eines Buches, das die ereignisreiche Geschichte ihrer Familie erzählt: die Story der Familie Julen, der «Tschuggini», einer der interessantesten Familien von Zermatt, ja des Wallis. Die Grossfamilie trifft sich auch im Gedenken an eine Persönlichkeit, die sie alle geprägt hat: die Mutter des Julen-Clans, Veronika, geborene Perren, eine kleine, energische und selbstbewusste Frau. Sie war der Boss. Sie hat hier vor 100 Jahren das erste Restaurant der Familie geführt.

Familie Julen, Zermatt, Mario Julen, SI 42/2021

Mario Julen (mit Hund Osho auf seiner Heimat Findeln) hat die Geschichte seiner weitverzweigten Familie in einem Buch festgehalten.

Caroline Hauger

Veronika war die jüngste Tochter vom «Rich Josi», dem ersten Industriellen von Zermatt, der für seine Schreinerei ein kleines Elektrizitätswerk betrieb, als in Zermatt noch Kerzenlicht die Stuben erleuchtete. Seine Tochter setzte sich in den Kopf, ausgerechnet Severin, den einsilbigen Sohn des armen Schafzüchters «Josef unter den Tschuggen», zu heiraten. «Was, einen solchen Göich willst du heiraten?», lästerten ihre Schwestern, sie könnte viel bessere Partien kriegen. Doch Veronika liess sich nicht beirren, warf, gerade 26 Jahre alt, ein Zettelchen durch das zerbrochene Fenster von Severins Zimmer, auf dem stand: «Wollen wir es wagen? Ich bin bereit!»

Am folgenden Sonntag wurde geheiratet, in der Frühmesse, fast heimlich, denn die Mesalliance war Dorfgespräch. Ihrem Vater befahl Veronika, einen Tisch für vierzehn Personen zu bauen, denn sie wolle zwölf Kinder. Und so kam es. Veronika gebar Kinder, führte den Haushalt und besorgte das Hirten von Kühen und Schafen – in Zermatt haben früher in allen Familien die Frauen denLaden geschmissen. Severin machte sich einen Namen als hervorragender Schafzüchter. Er war einer, der nie viel sagte, aber mit seinen Schafen gute Preise erzielte.

Familie Julen, Zermatt, Max und Vrony Cotting-Julen, SI 42/2021

Vrony und Max Cotting-Julen haben aus dem vorherigen Familienheim auf Findeln das legendäre «Chez Vrony» gemacht. Sie führen auch das «Paradies».

Caroline Hauger

Sechs von Veronikas zwölf Kindern leben noch. Sie sind bei der Vernissage alle da, sehr gerührt, aber bei den «Tschuggini» bricht man nicht so schnell in Tränen aus. Josa Abgottspon-Julen, 88, seufzt beim Anblick der Grossfamilie und sagt: «Jesses, wenn man das Bild vor Augen hat, wie wir hier gelebt haben und wie heute Findeln aussieht!» Auf acht Quadratmetern schliefen damals acht Kinder. Das Restaurant von Veronika war nur ein windschiefes Teehäuschen. «Aber man muss doch sagen, dass der Wanderweg schlecht gemacht ist heute», sagt ihr Bruder Emil, 92, «zu unserer Zeit war er wie ein Teppich.» Die Alten räumen beim Dessert am runden Tisch noch letzte Rankünen und Reibereien weg – und verzeihen einander alles. Wie in jeder Grossfamilie hat es auch Zwist gegeben bei den «Tschuggini». Aber heute ist das Schnee von gestern.

Familie Julen, Zermatt, Heinz und Evelyne Julen mit Lynn, Chiara und Jona, SI 42/2021

Künstler und Hotelier Heinz Julen mit Ehefrau Evelyne und den Kindern Chiara, Leonie und Jona (v. l.).

 

Caroline Hauger

August Julen (1922–2015), der Vater von berühmt gewordenen «Tschuggini» wie Heinz, Vrony, Leni und Moni (Zurbriggen-Julen, Ehefrau von Skilegende Pirmin), war eine überragende Persönlichkeit. Der tiefgläubige, äusserlich bescheidene Skilehrer und Bergführer hat den Film nach Zermatt gebracht zu einer Zeit, als es weder Kino noch Fernsehen gab. Er drehte 16-mm-Farbfilme über das Leben am Berg, die noch heute im Kino von Sohn Heinz Julen gezeigt werden. Er durfte sogar Walt Disney persönlich assistieren, als dieser seinen Matterhorn-Film drehte, der ein Flop wurde, weil die Bergsteigerszenen dem weiblichen Publikum Angst machten. Dafür liess Disney in seinem Unterhaltungspark ein Matterhorn bauen, als Vorlage sandte er seinem Architekten eine Postkarte mit den Worten «Build this!».

August war der Skilehrer von berühmten Amerikanern wie Aluminiumhersteller Howard Head, dem er bei der Konzeption des ersten Alu-Skis half. Der Ketchup-Erfinder Jack Heinz nahm ihm das Versprechen ab, seinen ersten Sohn Heinz zu nennen. Was auch geschah. Sogar der spätere Senator Edward Kennedy kam nach Zermatt und stieg mit August aufs Matterhorn. Auch mit Öl-Milliardär Paul Getty erlebte er verrückte Geschichten.

Familie Julen, Zermatt, Familie Pirmin und Moni Zurbriggen, SI 42/2021

Skistar und Hotelier: Pirmin Zurbriggen mit Ehefrau Moni Julen und den Kindern Pirmin, Maria (mit Baby Lina), Alain und Elia (v. l.). In den Armen halten sie die Enkelkinder Lisa und Janis.

Remo Naegeli

Der Familie blieben auch Krankheit und tragische Todesfälle nicht erspart. Als der älteste Sohn Max 1959 abstürzte, ein beliebter Bergführer und Anführer der Familie, sah man in Zermatt eines der grössten Begräbnisse der Dorfgeschichte. Der jüngste Sohn Norbert wurde von einer Lawine verschüttet. Die älteste Tochter Josephine starb mit nur elf Jahren nach einer Operation. Veronika und ihre Familie verkrafteten die Schicksalsschläge dank einem tiefen Gottvertrauen.

Von der jüngeren Generation stechen der Designer, Architekt und Kunstmaler Heinz Julen, der international vernetzte Manager Franz Julen (Präsident der Zermatt Bergbahnen) und Mario Julen hervor, der Sohn von Sepp (1923–2012): Der Everest-Bezwinger, Immobilienpromoter, Hotelier und Philosoph hat sich in Findeln ein Refugium eingerichtet, wo er sich später zurückziehen und wie die Alten wieder den Roggen blühen lassen will.

Familie Julen, Zermatt, Franz Julen, SI 42/2021

Franz Julen, VR-Präsident der Zermatt Bergbahnen.

 

Sedrik Nemeth

Mario Julen hatte die Idee zu einem Familienbuch, weil es ihm ein Herzensanliegen ist, der jüngeren Generation zu zeigen, wie sich die Familie entwickelt hat, wie bescheiden, fleissig und hartnäckig die Vorfahren sich einen Platz an der Sonne erkämpft haben. Die Familiengeschichte ist gleichzeitig eine Geschichte von Zermatt, dem armen Bauerndorf, das sich zu einem der erfolgreichsten Ferien- und Skiorte der Alpen gemausert hat. Mario: «Es ist mein Geschenk an eine Familie, die mir so viel gegeben hat.»

Familie Julen und Zermatt Von Peter Rothenbühler. CHF 34.–, für Abonnenten CHF 27.–. schweizer-illustrierte.ch/buecher

Von Peter Rothenbühler am 27. Oktober 2021 - 11:04 Uhr