Das Cockpit des Kampfjets lässt sich nicht öffnen. Fanny Chollet (33) bleibt trotzdem gelassen. Die Pilotin weiss, was zu tun ist: schnell eine Lösung finden. Diese Gabe ist Pflicht auf der Edwards Air Force Base. Just ruft sie einen Piloten an, der die F-16 in- und auswendig kennt. Und der sie zum richtigen Knopf dirigiert. Im Nu öffnet die 33-Jährige das Cockpit, steigt ein und ist bereit für einen Flug.
Sie hat das Problem gelöst wie viele andere, denen sie sich an der Testpilotenschule der amerikanischen Luftwaffe stellen musste. Hier, zwei Autostunden von Los Angeles entfernt, hat sich Fanny Chollet in den vergangenen zwölf Monaten zur Testpilotin ausbilden lassen. Ihr Diplom erhält sie diese Woche. Nun kann sie in jedes erdenkliche Flugzeug steigen und abheben.
1,5 Millionen Franken Schulgeld
Die Kosten ihrer Ausbildung: 1,5 Millionen Franken, bezahlt von ihrem Arbeitgeber Armasuisse, dem Bundesamt für Rüstung. Chollet, die erste Kampfpilotin der Schweizer Luftwaffe, ist nun die erste Testpilotin der Schweiz. Künftig testet sie Kampfflugzeuge, damit Schweizer Piloten diese auch im Kriegsfall sicher fliegen könnten. Ausbilden lies sie sich in den USA, weil die Schweizer Luftwaffe die amerikanische F-35 beschafft – und deshalb enger mit der US-Luftwaffe zusammenarbeiten wird.
Auf der Edwards Air Force Base zu studieren, sei «ein grosses Privileg», betont Chollet. Sie trägt einen grünen Fliegeroverall und geschnürte Stiefel. Auf ihrer Brust prangt ein Schild mit der Aufschrift «Shotty», ihrem Kosenamen. Alle Flugobjekte, die seit 1933 in den USA militärisch abhoben, wurden hier getestet. Erste Überschallflieger, Bomber und Jets, das Space Shuttle, die Mondlander, ja sogar Fallschirme.
Es riecht nach Kerosin, Düsentriebwerke dröhnen, die Sonne sengt. Chollet führt durch einen Hangar und zeigt auf parkierte Flugzeuge. Sie kennt sie alle. Jeden erdenklichen Typ hat sie hier geflogen: schwere Bomber, wendige Jets, laute Militärtransporter, leise Segelflugzeuge. Rund 20 verschiedene Maschinen waren es. Hat sie einen Favoriten? «Nein, mich begeistern eher die Missionen.» Sie schwärmt von einem Flug knapp 30 Meter über dem ausgetrockneten Seebecken in der Mojave-Wüste – und das knapp unter der Schallgeschwindigkeit. «Da musst du sehr präzise fliegen, solch schwierige Aufgaben gefallen mir besonders gut.»
Es ist eine unwirtliche Gegend, in der Chollet ihr Schuljahr verbrachte. Im Sommer tagsüber brütend heiss, nachts im Winder eisig kalt. Frühmorgens färbt die Sonne den Himmel blutrot.
Auf vielen Flügen führte Chollet Tests durch und sammelte Daten. Ingenieure werteten sie aus. Jets sollen so sicherer und effizienter werden. Wobei sich der Fokus verschoben hat: Kampfeinsätze bestimmen die Tests, da Kriege näher gerückt und realer geworden sind. «Als Testpilotin ist es wichtig zu verstehen, was die Truppe im Einsatz braucht», so Chollet – also im Krieg.
«Eine fantastische Pilotin»
Mit 17 Jahren entschied sich die Waadtländerin aus Morges, Militärpilotin zu werden. Sie besuchte die RS und stieg in der Luftwaffe zum Hauptmann auf. Flüge mit der F/A-18 befriedigten ihre Neugier nicht mehr. «Ich wollte nicht mehr nur fliegen, sondern verstehen, was beim Fliegen passiert.» Sie bewarb sich bei Armasuisse als Testpilotin, durchlief das Auswahlverfahren, überzeugte – und bekam den Zuschlag.
Armasuisse schickte sie nach Kalifornien. Fast jeden Tag scheint hier die Sonne. An nur drei Tagen konnte Chollet wegen Wind nicht starten. Da die Luftwaffe den Luftraum kontrolliert und die Gegend dünn besiedelt ist, stört sich niemand am Überschallknall.
Oberstleutnant Maryann Karlen nennt die Schweizerin «eine fantastische Pilotin». Die Ausbildnerin ist oft mit ihr geflogen. «Ein guter Pilot versteht, was in der Luft gerade passiert und was als Nächstes kommt. ‹Shotty› besitzt dieses Situationsbewusstsein.»
Auf Chollets linker Schulter prangt ein quadratisches Schweizer Wappen. Ihr dunkles Haar trägt sie vorschriftsgemäss zum Pferdeschwanz gebunden. Sie betritt eine Halle, in der sich Spind an Spind reiht. In jedem hängt ein Anzug, liegt ein Helm. Sie zieht den Harness – eine Mischung aus Sicherheitsgurt und Anzug – an und schnallt die Beine fest. Der Anzug dämpft die Fliehkräfte und sorgt dafür, dass ihr Blut im Cockpit aus den Beinen zurück in den Kopf fliesst. Der Helm schützt sie vor Lärm und Sonnenlicht, versorgt sie mit Sauerstoff und verbindet sie mit dem Funkgerät.
Warum fliegt sie? «Ich mag es einfach, in der Luft zu sein, hoch über der Erde - und ich mag die Komplexität. Ich will stets besser werden.» Mit diesem Hang zur Perfektion hielt sie die Schule durch – als eine der Besten ihrer Klasse. Einfach war die Ausbildung nicht. Um 7.30 Uhr sass Chollet jeweils im Klassenzimmer und büffelte Komplexes: wie ein Radar funktioniert, wie optische Geräte, wie Aerodynamik. Mittags ass sie oft am Computer. Am Nachmittag bereitete sie im Team ihre Flüge vor. Eine bis eineinhalb Stunden war sie in der Luft. Nach der Landung ging die Arbeit richtig los. Chollet wertete mit Ingenieuren den Flug aus, geleitet von einer Frage: Was sagen die Daten? «Wir vertrauen auf Gott» lautet ein Motto der Testpilotenschule. «Für alles andere brauchen wir Daten.» Abends zog sich Chollet in ihre Wohnung zurück und lernte für Prüfungen – all das während 50 Wochen im Jahr.
Es sei nicht einfach gewesen, dieses enorme Tempo mitzugehen, gesteht Chollet. «Das schaffst du nur, wenn du zu dir schaust.» Sie schläft genug, wandert, isst gesund und trinkt kaum.
Sie wirkt ruhig, konzentriert, cool. Als wäre sie immer bereit zu reagieren. «Passiert etwas Unerwartetes, muss ich schnell klar und kritisch denken.» Deshalb bleibe sie ruhig. «Panik führt zu Fehlern, und die sind fehl am Platz.»
Oft die Erste
Fanny Chollet hat manche Barrieren durchbrochen, erst als Militärpilotin, jetzt als Testpilotin. Darüber spricht sie ungern. «Auf dieser Ebene spielt das Geschlecht keine Rolle mehr», sagt sie. «Allein deine Fähigkeiten zählen.» Dass sie eine Frau ist, interessiere weder in der Schweizer Luftwaffe noch in der Wüste jemanden. Fliegen Frauen anders als Männer? «Das kann man doch nicht sagen, es gibt niemanden, der beides ausprobiert hat.»
Ohnehin habe sich die Pilotenkultur stark verändert. Der alte Witz aus «Top Gun»-Zeiten – «Woran erkennst du einen Kampfpiloten an der Bar? Er sagt es dir.» – gelte heute nicht mehr. «Wir sind Experten und keine Angeber.»
Sie redet gern über Technik. Aber Privates verrät sie nicht. Auch beim Abendessen nach dem Medientermin trägt sie ihren Overall. Woher sie ihren Spitznamen Shotty hat, bleibt ihr Geheimnis. «Wer sich in der Fliegerei auskennt, weiss, dass sich Piloten die Geschichten hinter ihren Kosenamen nur bei einem Bier erzählen.»
Sie bestellt eine Cola, kein Bier. «Geht auch Pepsi?», fragt die Kellnerin. «Ja», sagt sie. Meckern wäre uncool. Und sie ist so cool, wie man es von einer der besten Pilotinnen erwartet.