Auf die Zähne beissen und Gras fressen. Leiden für die Leidenschaft. Das ist die Schweizer Nati 2024 an der Euro. Gemeinsam fighten, siegen, feiern. 26 Künstler und Kämpfer, ein verschworenes Team. Mit Strategen, Wadenbeissern und Edeltechnikern. Kein Zufall: «Wir haben in den letzten Wochen sehr bewusst für diesen guten Teamgeist gearbeitet und immer wieder Impulse gesetzt», sagt Nati-Trainer Murat Yakin (49). Es geht um Zusammenhalt und Verständnis, Vertrauen und das grosse Ziel. Der Staff organisiert zum Beispiel einen Segeltörn auf dem Bodensee.
An Bord kommt es auf jeden Einzelnen an. Nur wenn alle an einem Seil ziehen, kann das Boot zielgenau übers Wasser gleiten. Einer für alle, alle für einen. Und jetzt im Stuttgarter Basecamp eine Schnitzeljagd. Die Spieler lösen an verschiedenen Stationen Aufgaben und setzen ein Puzzle zusammen. Am Schluss fehlt ein Teil: das Schweizerkreuz. Jedes noch so schöne Bild ist wertlos, wenn es nicht vollkommen ist. Stammspieler, Einwechselspieler und Akteure, die bis jetzt noch nicht zum Einsatz gekommen sind – alle sind wichtig. Das Motto von Murat Yakin und Staff: mit Teamwork und Teamspirit zum Erfolg.
Yakin selber geht als Teamplayer voran. Neu unterstützt ihn Giorgio Contini (50). «Mit ihm ist nicht ein Assistent, sondern ein Trainer an meiner Seite», sagt Yakin anerkennend. «Seine Persönlichkeit und seine Ideen sind für die Nati eminent wichtig. Wir verstehen uns blind und haben grosses Vertrauen zueinander.» Das leben die beiden dem Team vor. Daraus entstehen frische Impulse. Etwa der Besuch von Doppelweltmeister und Olympiasieger Marco Odermatt (26) bei der Nati. Der Ausnahmeathlet verriet den Fussballstars, wie er sich mental auf seine Rennen vorbereitet. Odis Geheimtipp: Zehn Sekunden bevor er aus dem Starthäuschen schiesst, freut er sich innerlich auf das Rennen und lächelt zuversichtlich.
Nun tun es ihm einige Natispieler gleich und schreiten mit einem Lachen im Gesicht aus den Katakomben aufs Spielfeld. Noch etwas sorgt fürs super Wir-Gefühl: «In Frankfurt und Stuttgart haben wir gemeinsame Abendessen mit den Familien organisiert», so Muri. «Es ist wichtig, dass wir auch Momente zum Ausklinken haben, ohne dabei den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren.» Das sei eine wertvolle Abwechslung zum stressreichen Turnieralltag. Insgesamt gab es in den letzten fünf Wochen drei Abende, zwei Trainings und ein grosses Mittagsbuffet im Hotel, an denen die Familien ihre Liebsten treffen konnten. Auch nutzen viele Spieler ihre Freizeit, um mit ihren Frauen, Partnerinnen und Kindern zu telefonieren oder sich per Facetime auszutauschen.
Spielfreude bringt Erfolg
Es ist ein ständiger Spagat zwischen Konzentration und Abschalten. Die Verantwortlichen unternehmen alles, damit kein Lagerkoller aufkommt und die Stimmung top ist. Im Waldhotel Stuttgart hat der Staff einen grossen Spielcorner für Xhaka & Co. eingerichtet. «Wir fordern uns beim Poker oder Black Jack gegenseitig heraus», so Verteidiger Fabian Schär (32). «Wir sitzen dann zusammen wie in einer grossen Familie. Es macht richtig Spass in dieser Gruppe.» Am liebsten spiele er «Brändi Dog», verrät Kwadwo Duah (27). «Auch wenn ich erst neu bin in der Nati, haben mich alle warmherzig und mit offenen Armen empfangen. Ich fühle mich sehr wohl in diesem Team.»
An den Spieltischen geht es hoch zu und her: An manchen Abenden duellieren sich über 20 Spieler und Staff-Mitglieder. Immer für eine Partie zu haben sind Nico Elvedi (27) und Remo Freuler (32). Mittelfeldstratege Vincent Sierro (27) spielt mit seinen Kollegen gern Karten, Tischtennis und (sehr gut) Schach. Am schwarz-weiss karierten Brett setzt aber einer regelmässig alle matt: der Taktikfuchs Murat Yakin. Doch Sierro nimmts gelassen: «Es ist schon sehr cool, dass wir es auch neben dem Platz so gut miteinander haben. Ich stehe jeden Morgen auf und freue mich, mit diesem Team ein solches Turnier zu erleben.»
Das sei nicht unbedingt die Regel, weiss auch Neuling Fabian Rieder (22) : «Seit fünf Wochen sind wir in dieser Nati-Familie zusammen. So einen Teamgeist habe ich selten erlebt. Das spürt man dann auch auf dem Platz. Jeder ist bereit, für den anderen und für alle alles zu geben.» Michel Aebischer (27) gibt seinem Kollegen recht: «Alle sind motiviert, gemeinsam etwas zu erreichen. Das bringt viel positive Energie in die Gruppe. Und das überträgt sich dann automatisch aufs Spiel.» Speziell fällt dem Goalschützen gegen Ungarn auf: «Schon beim Frühstück reden wir viel miteinander, auch über andere Dinge als über Fussball. Alle gehen sehr respektvoll und positiv miteinander um.»
Auch Staff-Mitglieder schwärmen von der Ambiance beim Zmorge: Es werde viel diskutiert, gefachsimpelt, aber auch gescherzt und gelacht. Jeder starte so motiviert und ambitioniert in den Tag. Und damit Yakins Boys wirklich ganz sicher jeden Morgen einen Traumstart haben, hat sich der Staff etwas ganz Besonderes ausgedacht: Alle Spieler müssen vor dem Morgenessen zum Speicheltest antraben. So eruieren die beiden extra mitgereisten Ernährungsberaterinnen, ob einem Spieler ein Mineral oder Vitamin fehlt. Denn nur ein Lächeln allein reicht dann doch nicht!