Verträumt blickt Gardi Hutter (71) auf den Horizont der Ostsee. Die Clown-Komödiantin steht unterhalb eines Kliffs der Insel Rügen, hinter ihr ragen weisse Kreidefelsen in den blauen Himmel. Schon Caspar David Friedrich (†65) war von deren imposantem Anblick beeindruckt und verewigte sie in Öl. Sein Gemälde «Kreidefelsen auf Rügen» gilt als Hauptwerk der deutschen Romantik – und hängt heute im Kunst Museum Winterthur.
Das Meer ist ihr Sehnsuchtsort
Die Weite des Meeres und der endlose Horizont lösen bei Gardi Hutter Fernweh aus – so wie einst im Rheintal, als sie noch ein kleines Mädchen und in Altstätten SG daheim war. «Ich lag damals oft in einer Wiese, schaute auf die Berge, träumte – und fragte mich, was wohl hinter den Bergen ist.» Spätestens in der Schule wusste sie, dass da irgendwann das Meer kommt, selbst gesehen hat sie es erst viel später.
«Ab da wurde es für mich ein Sehnsuchtsort.» Wenn sie, so wie jetzt, auf die Ostsee hinausschaue, überkomme sie einerseits Melancholie, andererseits beruhige es sie. «Das Meer entspannt mich, lässt mich nicht daran denken, dieses oder jenes tun zu müssen.» Dass ihre Abschiedstournee als Bühnenfigur Hanna hoch im Norden gestartet ist, freut sie besonders. «Die Veranstalter fragten schon mehrere Jahre bei mir an.»
Die Bühne ist ihr Leben
Gardi Hutter ist mit «So ein Käse» Stargast am Schlossparkfestival Putkuss in Putbus. «Die berühmte Clownin, die auf der ganzen Welt aufgetreten ist», kündigt die «Ostsee-Zeitung» sie an. Ihre Hanna verkörpert im Stück eine Maus, die den Käse in der Falle anhimmelt. Es geht um Sein und Haben, Konsum, Übersättigung, Langeweile, Gier, Besitzverteidigung und Ausgrenzung von Besitzlosen – kurzum: Konsumkritik.
Es ist eines von insgesamt vier Soloprogrammen aus Hutters Repertoire oder wie sie sagt: «Meine Erfindungen.» Für die 71-Jährige, die topfit auf der Bühne agiert, sind die Stücke nicht nur physisch anstrengender geworden, «es wird auch härter, mich an alle Details zu erinnern». Vor Auftritten schaut sie sich deshalb oft das jeweilige Stück nochmals kurz auf Video an. Auch das Reisen mitsamt Requisiten, die teilweise täglich auf- und abgebaut, ein- und wieder ausgepackt oder verzollt werden müssen, setzt ihr zu.
Ihr Blick in den Spiegel
Während der Pandemie, als Hutter wie die meisten ihrer Berufskolleginnen und -kollegen nicht auftreten konnte, keimten in ihr erste Überlegungen auf, noch einmal etwas komplett Neues anzufangen. «Eine leere Bühne, ein Koffer, ich – und meine Fantasie aus 50 Jahren Schauspielerei.»
Schon vor dem Durchbruch mit «Die tapfere Hanna», machte Gardi Hutter Theater. Wäre vor 44 Jahren der Erfolg ihres ersten Soloprogramms ausgeblieben, «hätte ich aufgehört», sagt sie. Ihre Ursprungsidee damals: Drei Heilige irren sich in der ihnen angegebenen Adresse, landen anstatt bei Jeanne d’Arc bei einer Johanna, die zu dick ist, um in eine Rüstung zu passen, und zu dumm, um die Botschaft zu verstehen, den französischen König zu retten. Es ist die Geburtsstunde der Bühnenfigur Hanna und der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die ihre Erfinderin Gardi Hutter rund um die Welt, in den Circus Knie – und sogar ins Bundeshaus führt.
Dass Hutter mit dem, was ihr Erfolg brachte, aufhört, sorgt bei einigen für Erstaunen, bei anderen für Kopfschütteln – vor allem bei Kollegen: Was gut läuft, hängt man nicht einfach an den Nagel! Doch genau das tut Gardi: Weg mit roter Nase, wilder Mähne und dickem Wanst. Mit Hanna gehts 2025 zu Ende. Am 16. Januar 2026 tritt Gardi dann im Theater Casino Zug zum ersten Mal in neuer Form auf: abgespeckt – und «zeitgenössischer», wie sie sagt.
Ihr Hafen im Bergdorf
Sie freut sich aufs neue Leben. «Mein nächstes Stück ist ja auch so gedacht, dass ich jeweils mit dem Zug zu Auftrittsorten reisen kann.» Statt hinterm Steuer ihres Transporters zu sitzen und durch die Nacht zum nächsten Auftritt zu fahren, hat sie dann mehr Zeit, einem ihrer Hobbys zu frönen: Stricken.
In Arzo TI, wo Gardi Hutter seit vielen Jahren lebt, trifft sie sich wöchentlich mit anderen aus dem Bergdorf zum Lismen. «Jeden Donnerstag sind wir vier bis vierzehn Frauen aus allen Altersgruppen, jede strickt zwar für sich, aber doch gemeinschaftlich, was ungemein entspannt.» Für Gardi Hutter gut, denn ihr Leben ist und bleibt spannend genug – ob mit oder ohne Hanna.