Sophie Achermann, 28, ist oft eine Spielverderberin. Die Geschäftsführerin des Frauendachverbands Alliance F und Initiantin von «Stop Hate Speech» erträgt nicht einfach höflich, was sie für falsch hält. «Trump, aber auch unzufriedene Schweizer:innen säen im Internet Wut. Jahrelang. Ihre Strategie: ständiges Sticheln – gegen Frauen, gegen Ausländer», sagt sie. «Wir nutzen solche Strategien nun für uns, kehren sie einfach um, verwenden sie gegen solche Trolle. Wir kommen dem Hass zuvor.»
Furchtlos – bis auf eine Sache:
Ihr Zuhause, eine Neubausiedlung in Bern Bümpliz, hat Sophie Achermann gerade frisch bezogen. Während des ersten Lockdowns bewohnte die vierköpfige Familie noch eine Altbauwohnung mit nur zwei Zimmern. Auf dem Weg in den ersten Stock winkt den Gästen Achermanns Mann Romain, 31, aus dem umfunktionierten Kleiderzimmer zu. Er hat sich hier sein Homeoffice zwischen Garderobe und Waschmaschine eingerichtet.
Tochter Mafalda und ihr eineinhalbjähriger Sohn Marlon sind in der Kita. «Ich fürchte, meine Tochter kommt ganz nach mir.» Sophie Achermann lacht, zuckt kurz die Schultern und erzählt, dass sich ihre Fünfjährige bei Chorauftritten immer einen Schritt vor alle anderen stellt.
Im ersten Stock ihr Arbeitsplatz: Auf dem Esstisch liegt Achermanns mit Stickern beklebter Laptop. Einer zeigt die Karikatur von Helvetia. «Helvetia ruft!» ist ein Projekt, das sie mit Alliance F initiiert hat. «Dabei wollen wir Frauen für Politik motivieren. Sie sollen merken, dass sie dort willkommen sind und eine Rolle spielen.»
Ein weiterer Sticker zeigt einen Spürhund. Das Kampagnenbild zu «Stop Hate Speech». «Die Idee zu dem Projekt gedeiht seit über fünf Jahren, seit ich in New York an der Uno-Konferenz einen Workshop zum Thema Sexismus im Internet leitete.» Mit ihrem Team entwickelte Achermann einen Algorithmus, der im Internet nach potenziellen Shitstorms schnüffelt. Ein Frühwarnsystem. «Das Ziel ist, dass wir Diskussionen im Netz proaktiv positiv färben. Also schon bevor ein Shitstorm entsteht.»
Denn der virtuelle Raum ist auch ein garstiger. Positive Kommentare, Komplimente verschluckt er. Negatives herrscht, schüchtert ein, beeinflusst, stachelt manchmal sogar zu Anschlägen an – etwa zum Sturm aufs Kapitol in den USA. «Der Hass hallt leider immer etwas mehr nach als jeglicher Zuspruch», sagt Achermann.
Wenn man gegen Hassrede anredet, erntet man: Hassrede
Auf ihr Projekt gegen Hassrede erhielten sie und ihr Team ironischerweise: Hasskommentare. «Es gab auch positive Reaktionen, aber wie wir bei der Lancierung Anfang Jahr per Mail und am Telefon angefeindet wurden, zeigt: Wir haben einen Nerv getroffen.»
Die Bernerin betont, dass sie alles, was sie tut, nicht alleine schafft. Nicht ohne ihr achtköpfiges Team. Nicht ohne die anderen Frauen, etwa Co-Präsidentin Kathrin Bertschy: «Sie glaubte an mich damals 25-Jährige und hat mir die Leitung eines 120-Jahre alten Verbands anvertraut.»
Ganz klar und geduldig erzählt Sophie Achermann von ihren Projekten. Sobald es um ihre Engagements geht, wird sie sofort ernst. Die Ziele, auf die sie hinarbeitet, wiegen schwer. Privat wirkt sie leichter, hat gelernt, wunderbar über sich selbst zu lachen. «Ich bin eine furchtbare Hausfrau.» Die ehemalige KV-Schülerin und Berufsmaturandin gibt ohne Scham zu, wenn sie etwas nicht kann oder weiss.
«Ich komme aus einer sehr intellektuellen Familie. Mein Vater ist Uni-Professor, meine Mutter Juristin, zog eine NGO-Plattform auf, forschte viel zu Frauen- und Menschenrechts themen. Mein Bruder studierte Musik.» Bei Museumsbesuchen wurde von Familie Achermann gerne über den tiefen Sinn von Kunst debattiert. «Dass ich mich damit nicht identifizieren konnte, bedauerte ich lange. Heute stehe ich dazu, dass ich Bilder halt nur schön finde – oder nicht. Ich muss ihnen keine höhere Bedeutungsmacht zuordnen können.»
Schieflagen festzustellen, ohne etwas dagegen zu tun: selten.
«Das hängt schief, oder?» Achermann deutet in Richtung eines Bildes hinter dem Esstisch. Sie stellt die Schräglage fest, aber tun werde sie vermutlich nichts. Genauso wie bei dem Poster über ihrem Sofa. Auch: schief. «Das sehe ich täglich, nerve mich, komme aber nie dazu, es zu ändern», verkündet sie, schüttelt über sich selbst den Kopf. «Ich habe fast keine Hobbys mehr. Dafür bleibt wenig Zeit.»
«Ich habe Kinder, den Job und bin schon froh, wenn ich es schaffe, morgens was Anständiges anzuziehen und mir die Haare zu waschen.»
Sophie Achermann, Geschäftsführerin Alliance F
Früher tanzte sie. Jazz, Hip-Hop, Ballett. Doch wenn man da Fortschritte machen wolle, müsse man viel investieren. 12 bis 13 Stunden pro Woche. «Ich entschied mich für die Politik.»
Als 15-Jährige trat sie dem Jugendrat der Stadt Bern bei, war ab da aktiv in der Politik. Bei den Grünen. Im November 2020 wurde sie nach einer Amtszeit erneut in den Berner Stadtrat gewählt. Nicht einmal einen Monat später gab sie ihren Rücktritt bekannt. «Es ist bei politischen Ämtern noch immer schwierig mit der Vereinbarkeit. Es hat sich zwar einiges getan in den vergangenen Jahren.» Zumindest auf nationaler Ebene habe sich die Politik stark verweiblicht. «Dennoch gelten viele alte Spielregeln. Die Sitzungen finden oft abends statt – mit zwei Kindern und dem Job einfach nicht mehr machbar.»
«Entweder man arbeitet zu viel oder zu wenig oder gar nicht.»
Sophie Achermann, Geschäftsführerin Alliance F
Mit 22 Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter. Dass sie berufstätig sein würde, stand ausser Frage. Es als Frau bei ihrem Pensum allen recht zu machen, sei dabei beinahe unmöglich. 80 Prozent arbeitet Achermann offiziell. Und inoffiziell? «Es ist auch schon passiert, dass das Bébé kommt und den Laptop zuklappt.»
Sophie Achermann ist oft eine Spielverderberin. 2021 sagt sie der Hetze im Internet endgültig den Kampf an. Die harte Arbeit werden ihr ihre Kinder sicherlich verzeihen und – wenn sie fruchtet – auch mal danken.