Oha. Die beiden Teenager-Mädchen beobachten aufmerksam den gut aussehenden blonden Burschen, der da im Schwimmbad in Richtung Fussballwiese schlendert. Keck spricht ihn die ältere an. Die jüngere ist empört, denkt: «Was fällt dem ein, mich nicht zu beachten!» Am folgenden Tag sind der 18-jährige Gilbert Gress und die erst 15-jährige Béatrice ein Paar.
Ein attraktives Paar in den 1970er-Jahren am Strand. Die spätere Kultfrisur von Gilbert Gress ist ansatzweise bereits zu erkennen.
Geri BornVier Jahre später stehen sie vor dem Traualter und sagen «Oui» zueinander. Das ist über 60 Jahre her. Dazwischen kommen zwei Kinder und vier Enkelkinder zur Welt, und Gilbert Gress macht Karriere: Zuerst als Fussballer, dann als Trainer, er gilt bis heute als charismatische Kapazität für alle Fragen rund um Fussball. Gress, das ist die Frisur, die Brille, die gewitzten Sprüche, der Elsässer Dialekt.
Das Treffen mit dem Ehepaar Gress in der Region Strassburg lässt sich in einem Wort zusammenfassen: wow! Was für ein elegantes Ü-80-Paar. Très chic! Beide tragen Schwarz sowie grau melierte Jacken. Er: neue Brille, frisch vom Coiffeur. Sie: tadellos zurechtgemacht, in Stiefeletten mit Bleistiftabsätzen.
Styling gehört zum Hoheitsbereich von Béatrice Gress. «Schwarz macht schlank», sagt sie nonchalant, «darum musste er das heute anziehen.» So war das schon immer: Sie sorgt im Hintergrund dafür, dass sich Gilbert Gress auf seine Passion konzentrieren kann, Fussball. Er war der erste Franzose in der deutschen Bundesliga, mit Olympique Marseille zweimal französischer Meister und spielte in der Nationalmannschaft. 1976 beendete Gress seine Spielerkarriere bei Neuchâtel Xamax und wurde Trainer des Klubs. In Neuenburg erhielten die Gress’ das Bürgerrecht, und bis heute bereuen sie zuweilen, dass sie überhaupt weggezogen sind.
Er spielte Fussball mit dem Feind
«Unser Leben ist noch immer von Fussball geprägt», sagt Béatrice Gress. Ihr Mann trifft sich zwar jede Woche zum Kartenspiel und engagiert sich in verschiedenen Stiftungen. Sein Herz aber gehört dem Fussball – speziell Fussballübertragungen. So sehr, dass sich Madame Gress einen eigenen Fernseher anschaffte. Sie liest viel, Romane oder Historisches. Aktuell das preisgekrönte Buch «Houris» über die Einheimischen, die im Algerienkrieg an der Seite der Franzosen kämpften.
Ohne Algerienkrieg hätten wohl auch Béatrice und Gilbert Gress nicht so jung geheiratet. «Ich wurde 1961 ins Militär eingezogen und als Fussballer einer Sportlereinheit zugeteilt. Wir könnten schon am Freitag nach Hause, um zu trainieren, versprach man uns.»
Die Braut war erst 20 und brauchte die Einwilligung ihres Vaters: Béatrice und Gilbert Gress heiraten 1964 katholisch.
Geri Born
Stattdessen wurde Gress gleich in der ersten Woche nach Marseille verlegt und nach Algerien verschifft. Knapp konnte er sich telefonisch von seiner Liebsten verabschieden. Die war in Tränen aufgelöst. «Ich hatte fürchterliche Angst um ihn.» Ihr Gilbert hat Glück, seine Einheit muss nicht aktiv an Gefechten teilnehmen. «Es war eine absurde Situation, unter der Woche bekämpften wir uns als Feinde, und am Wochenende organisierten wir Länderspiele Frankreich – Algerien.»
Sie ging, wohin er ging
Zweimal fünf Monate leistete Gress Dienst in Nordafrika. Aus Angst, einander zu verlieren, verlobten sie sich während seines ersten Heimaturlaubs und gingen im zweiten aufs Standesamt. Warum die Ehe bis heute nicht nur gehalten, sondern glücklich gehalten hat, können beide nicht erklären. Nicht einmal an Krisen erinnern sie sich. «Dafür sahen wir uns wohl zu selten», sind sich beide einig. Obwohl Béatrice wann immer möglich an seiner Seite war. «Er hat mich möglichst überall-hin mitgenommen, das habe ich sehr geschätzt.» Sie reiste oft nach Strassburg, wo Tochter Cathy (59) und Sohn Frank (53) bei den Grosseltern aufwuchsen. «Es ging nicht anders», erklärt sie, «in 25 Jahren zogen wir 19-mal um, die Kinder hätten jedes Mal die Schule, die Freunde, die vertraute Umgebung wechseln müssen, das wollten wir ihnen nicht zumuten.» Damals war das eine fortschrittliche Lösung – und viel mehr, als eine durchschnittliche Hausfrau von ihrem Leben erwarten konnte.
Auf die Frage nach dem Rezept für ewige Liebe spottet Gilbert Gress: «Wahrscheinlich muss man in einer anderen Epoche geboren worden sein. Ich kenne nur ein Paar in unserem Alter, das sich hat scheiden lassen.» Dann wird er ernst: «Wichtig ist – und das ist das Einzige, was ich jedem jungen Paar ans Herz legen möchte –, bei Problemen nicht zu schnell aufzugeben.» Vielleicht sich ab und zu daran erinnern, was einen einst am anderen faszinierte. «Er hat Charakter, das hat mir stets imponiert. Und er sieht gut aus mit seinen schönen blauen Augen», sagt sie über ihn. «Sie ist fürsorglich, denkt immer zuerst an die anderen. Und sie ist immer noch eine gut aussehende Frau», sagt er über sie. «Ausserdem kocht sie gut, wenn ich das als Argument hier anführen darf.»
Haben denselben Humor und necken sich gern. Béatrice und Gilbert Gress in ihrem eleganten Wohnzimmer in Strassburg (F).
Geri Born
Und was nervt? «Sie hat einen Putzfimmel und neigt zur Rechthaberei.» Sie zögert nicht mit Kontra: «Er starrt dauernd auf sein Handy, das macht mich wahnsinnig. Und ich muss darauf achten, dass er nicht zu sehr zunimmt und ihn an seine Coiffeurtermine erinnern.»
Sie necken sich gern mit kleinen Provokationen, um sich dann wieder anzuschauen mit diesem Blick, der mehr sagt als tausend Worte. Er verbirgt seine sensible Seite gern hinter Sprüchen. So spottet er, der Valentinstag sei auch so eine neumodische Erfindung. Dennoch ersteht er einen Strauss Rosen, was Béatrice Gress bissig kommentiert: «Früher hast du das häufiger getan, du hast nachgelassen.» Wohl nicht allzu sehr, denn Monsieur Gress ist im Blumenladen bekannt und besitzt sogar eine Treuekarte. Dank der habe er fünf Euro Rabatt bekommen, bemerkt er spitz, «sonst kommt das zu teuer, wir wollen ja nicht übertreiben».
Man ist informiert und vielseitig interessiert im Hause Gress: Sie liest viel, er hängt ständig am Handy.
Geri BornSie ignoriert die Bemerkung demonstrativ, riecht an ihrem Bouquet und schaut zufrieden drein. Die zwei haben definitiv den gleichen sarkastischen Humor. Und so hat man den Eindruck, sie seien irgendwie einfach wahnsinnig stolz aufeinander.