So wie Clara Maria Bagus (49) über Glück schreibt, muss sie es selbst erlebt haben. Ihre Biografie zumindest liest sich so: Studium an der Elite-Universität Stanford in Kalifornien, Hirnforscherin, Bestsellerautorin. Die Unebenheiten und dunklen Zeiten sind auf keinem Klappentext abgedruckt. Aber wer Clara Maria Bagus’ Romane liest – ihr neuster erscheint Anfang August –, weiss, dass sie auch Tiefen erlebt haben muss.
Bagus, geboren im deutschen Marburg, wächst mit einer geistig behinderten Schwester auf, das Geld in der Familie ist immer knapp. Die Mutter stirbt früh an Leukämie, mit 17 kommt Clara Maria Bagus beinahe bei einem Autounfall ums Leben. Danach hat sie nur noch eine Niere, nur noch einen funktionierenden Lungenflügel, und die Leber, die sich glücklicherweise regeneriert, ist ihr zur Hälfte entfernt worden. «Ein körperlicher Totalschaden», wie sie es nennt. Dass sie überlebt, ist Glück. Vor vier Jahren erkrankt einer ihrer Zwillingssöhne im Alter von sechs Jahren an einem hoch aggressiven Lymphdrüsenkrebs, nach einem Jahr Intensiv-Chemotherapie ist sein Zustand heute stabil. Selbst nach solchen Tiefen findet Bagus immer wieder zum Glück. Was aber ist dieses Glück?
Hommage an die Mutter
Clara Maria Bagus schlendert gemeinsam mit ihrem Mann Rolf Dobelli (58) durch die Grünanlage der Elfenau, eine Oase mitten in Bern. Sie wirkt ausgeglichen, ruht in sich selbst. Sie setzt sich in die Orangerie – einer ihrer Lieblingsorte –, der Morgen ist warm, unweit von ihr versuchen Touris- ten, die Infotafel der Parkanlage zu entziffern.
Bagus wohnt mit ihrem Mann und den zehnjährigen Zwillingsbuben im Elfenau-Quartier, nur 15 Gehminuten von der Parkanlage entfernt. Rolf Dobelli, der selbst mit Sachbüchern wie «Die Kunst des klaren Denkens» Bestseller veröffentlicht, ist sichtlich stolz auf seine Frau. «Sie schreibt deutlich besser als ich», sagt er, «und sie ist die erste Lektorin all meiner Texte.» Bagus heisst eigentlich Sabine Dobelli. Sie nahm am Anfang ihrer schriftstellerischen Karriere einen Künstlernamen an – den Mädchennamen ihrer verstorbenen Mutter –, um nicht als Ehefrau von Dobelli erkannt zu werden. Das Fundament für ihr Schreiben wollte sie allein legen. Was ihr gelungen ist, wenn man die Verkaufszahlen ihrer Romane anschaut. Ihr Buch «Die Farbe von Glück» schafft es 2023 auf Platz 2 der Jahresbestsellerliste der Schweiz.
In die Parkanlage der Elfenau kommt Bagus oft, um zu schreiben. Auch «Die Unvollkommenheit des Glücks», ihr neuster Roman, entstand teilweise hier. Die Hauptfiguren sind Ana und Lew, die in verschiedenen Realitäten leben. Ana in der friedlichen Schweiz, Lew im kampfbegeisterten Russland. Ana, die in ihrem bisherigen Leben mehrmals falsch abgebogen ist, glaubt, mit Anfang 40 die Chance auf das richtige Leben und ihr Glück verpasst zu haben, als sie von ihrem Mann verlassen wird und den Job verliert. Lew hingegen, der ein oberflächliches Dasein führt, ist überzeugt, das wahre Leben im Patriotismus zu finden, und zieht als Kampfjetpilot in den Krieg.
Eine «Ermöglicherin» sein
An der Stanford-Universität, einer der renommiertesten Hochschulen in den USA, studierte Bagus Psychologie und arbeitete in der Hirnforschung. «Dass ich angenommen wurde, war Glück», sagt sie und spricht die zweite Definition dieses grossen Wortes an: das Willkürliche, das uns von aussen trifft. «Manchmal finden einen Ermöglicher im Leben, Menschen, die Steine aus dem Weg räumen. Ich bin dankbar, auf den einen oder anderen getroffen zu sein. Wo immer ich kann, versuche ich heute, anderen eine Ermöglicherin zu sein.» Sie sagt aber auch: «Nicht jeder, der Glück hat, ist glücklich. Und glücklich kann auch sein, wer kein Glück hat.»
Clara Maria Bagus’ Bücher haben eine treue Leserschaft gefunden. Verständlich, denn wem ein Roman der Autorin gefällt, der mag wahrscheinlich auch die anderen. Bagus ist eine dieser Schriftstellerinnen, deren Romane, auch wenn sie nicht zusammenhängen, sich als Ganzes lesen. Ihnen allen liegt die Frage nach Glück und Sinn zugrunde, sie alle sind literarische Kompasse der eigenen Entfaltung. Bagus hat ihren eigenen Kompass: «Die Menschen sprechen oft von der Suche nach Glück, meinen damit aber in Wirklichkeit die Suche nach Sinn.»
An einer zentralen Stelle im neuen Buch kommen Ana und Lew zur Erkenntnis: «Glück ist fragil. Ein glücklicher Moment taucht aus dem Nichts auf und verschwindet im Nu auch wieder. Das unentwegte Streben nach Glück entfernt uns von uns selbst. Wir suchen im Aussen und erwarten von der Welt ein gutes Gefühl, was uns von äusseren Umständen abhängig macht. Sinn hingegen ist stabil. Ihn finden wir nur, wenn wir in uns hineinblicken.»
Romane voller Hoffnung
Prägnante, tiefgründige Sätze zum Thema des Glücks verstecken sich immer wieder in Bagus’ Romanen. Genau das macht diese so reizvoll, denn ihr Blick auf die Gegenwart ist kein fataler – sondern ein hoffnungsvoller.