Nadja Schildknecht und Karl Spoerri, es ist Ihr letztes Festival als Direktoren. Sie sagten einmal: «Wir sind wie ein altes Ehepaar». Ist dies nun die Scheidung?
Nadja Schildknecht: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Etwas zu gründen, die Start-up-Phase durchzustehen, ein klassisches Unternehmen zu werden und irgendwann weiterzuziehen, ist ein normaler Prozess, dies hat nichts mit der Freundschaft zu tun.
Was hat Sie nach 15 Jahren dazu bewogen, die operative Leitung abzugeben?
Karl Spoerri: Das war ein langer Prozess und keine Entscheidung, die über Nacht getroffen wurde.
Schildknecht: Es war unser Wunsch, das Unternehmen breiter abstützen zu können. So bleibt die Sicherung des Festivals gewährleistet, unabhängig von Karl und mir. Wir bleiben weiterhin eng mit dem Festival verbunden, ab dem Jahr 2020 in strategischer Funktion als VR-Mitglieder.
Aber warum jetzt?
Spoerri: 15 Jahre sind eine lange Zeit. Es fühlt sich richtig an, und ich freue mich auch auf neue Herausforderungen. Frisches Blut wird auch dem Festival guttun.
Schildknecht: Es ist immer schwierig zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Eine Stärke ist, seine Arbeit, die schon fast der Lebensinhalt ist, dann abzugeben, wenn es sehr gut läuft und man die schwierigen Zeiten überstanden hat.
War der gemeinsame Rücktritt klar?
Spoerri: Wir haben das sehr individuell entschieden. Es hätte auch sein können, dass jemand von uns weitermacht.
Schildknecht: Für mich war es wie natürlich, dass wir das, was wir zusammen aufgebaut haben, auch zusammen weitergeben. Das hat nichts mit der persönlichen Bindung zu tun, sondern mit der Festivalstruktur.
Was hinterlassen Sie?
Spoerri: Die ZFF-Marke mit ihrer künstlerischen Glaubwürdigkeit, die sowohl in der Branche wie auch beim Publikum und bei Partnern viel Vertrauen geniesst.
Schildknecht: Alles geht um das Vertrauen. Vor ein paar Jahren wäre es schwierig gewesen, das Festival abzugeben, da das Vertrauen noch sehr an unsere Personen gebunden war. In den letzten drei Jahren konnten wir es sukzessive entkoppeln und haben es geschafft, dass das Vertrauen auf der Ebene des Festivals stattfindet. Auch unsere Mitarbeiter sind stark geworden.
«Ab dem Jahr 2020 werde ich wieder ein Individuum sein, das einen neuen Weg finden darf»
Nadja Schildknecht
Sie bleiben dem Festival im ersten Jahr auch im Beratungsmandat erhalten. Warum kein klarer Cut?
Schildknecht: Es geht darum, dass wir unsere Nachfolger begleiten. Viele Verträge sind gemacht, und ich übergebe einen geebneten Weg für meine Nachfolge, doch das Festival ist wie ein Spinnennetz. Für jemanden, der von aussen hinzukommt, wird es am Anfang nicht ganz einfach sein.
Spoerri: Und dass Gründer in den Verwaltungsrat gehen, ist ein normaler Schritt. So können wir unser Wissen und Netzwerk einbringen und auch strategisch mitgestalten.
Was wird Ihnen fehlen?
Schildknecht: Die Mitarbeiter. Jeder Mensch hat seine Stärken, und wir haben es geschafft, ein Team zusammenzustellen, das sich untereinander sehr gut versteht, in dem es aber doch sehr unterschiedliche Fähigkeiten gibt. Ab dem Jahr 2020 werde ich wieder ein Individuum sein, das einen neuen Weg finden darf.
Spoerri: Die Rolle als ZFF-Gründer und Co-Direktoren gab immer eine klare Identität. Diese wird wegfallen und vielleicht auch fehlen. Man muss sich neu erfinden.
Sie werden immer die Gründer sein.
Schildknecht: Natürlich, und darauf werden wir hoffentlich immer stolz sein können.
Würden Sie mit dem Wissen von heute wieder ein Filmfestival als Start-up wagen?
Schildknecht: Wenn ich das Resultat wüsste, bestimmt. Aber ohne das Wissen?
Spoerri: Als wir gestartet sind, waren wir erst 30 Jahre alt. Man ist naiver und macht die Dinge aus dem Bauch heraus. Man hat keine Familie, keine Verpflichtungen. Es gibt schon Gründe, dass viele Gründer jung sind.
Schildknecht: Rückblickend können wir sagen: «Gott sei Dank haben wir es gewagt.» Es war wirklich eine enorme Schule mit vielen Momenten, in denen wir dachten, jetzt ist fertig, wir können nicht mehr, es gibt keinen Ausweg. Und irgendwo fanden wir immer ein Türchen.
«Die Lernkurve war am Anfang enorm steil»
Karl Spoerri
2005 und 2019 – wie haben Sie sich verändert?
Schildknecht: Die Zeit hat uns so viel reifer gemacht. Man ist selber, mit dem Unternehmen und den Mitarbeitern gewachsen. Ich möchte diese Zeit nie missen. Es ist eine sehr wichtige Geschichte in meinem Leben. Wir haben beide mit wenig konkretem Wissen, grosser Leidenschaft, viel Arbeitswillen und starkem Durchsetzungsvermögen angefangen und das für viele Unmögliche möglich gemacht.
Spoerri: Wir hatten viele Ups and Downs. Das gehört wahrscheinlich einfach dazu. Die Lernkurve war besonders am Anfang enorm steil. Wir hatten ja keine Festivalerfahrung und mussten uns durchbeissen.
Was haben Sie von Beginn weg richtig gemacht?
Schildknecht: Wir haben einfach immer wieder probiert, haben gelernt, wollten verbessern. Jedes Jahr haben wir alles gegeben und nichts unversucht gelassen, darauf können wir stolz sein.
Spoerri: Wir hatten keine Berührungsängste mit Hollywood. Wir wollten nie ein Festival für Insider von Insidern sein, sondern haben den Cross-over und das Publikum immer gesucht. Das ZFF war immer ein Festival, das sich mehr an der Zukunft des Filmschaffens orientiert hat. In der Schweizer Festivallandschaft ist das bis heute ein Alleinstellungsmerkmal.
Was werden Sie nicht vermissen?
Spoerri: Den August mit seinen Deadlines.
Schildknecht (lacht): Den Druck und die stetig steigende Erwartungshaltung. Im Vormonat des Festivals fehlen jeweils noch schwierige Puzzleteile fürs ganze Bild. Dann haben wir schlaflose Nächte.
Spoerri: Und die leidige Diskussion mit dem Bundesamt für Kultur über Subventionen.
Schildknecht: Dieses Thema begleitet uns seit Festivalbeginn. Wir haben immer sehr wenig Unterstützung von Bundesbern erhalten, trotz starkem Wachstum, trotz unserem Engagement für den Schweizer Film und unserem kulturellen Beitrag.
Was war Ihr persönliches Highlight in den 15 Jahren?
Spoerri: Als wir 2014 das neue Festivalzentrum auf dem Sechseläutenplatz einweihen durften. Das Bellevue mit seiner ganzen Kulisse ist für mich unschlagbar. Ich könnte mir keinen schöneren Ort für unser Zentrum vorstellen.
Schildknecht: Da ich dafür lange gekämpft habe, stimme ich Karl zu. Denn ab dann hatten wir ein richtiges Zentrum, einen grossen Teppich und konnten so den Ablauf und die Umsetzung des Festivals massiv verbessern.
Wohin trägt die Zukunft Sie?
Spoerri: Ich werde Filme produzieren.
Schildknecht: Bei mir ist dieser Entscheid noch völlig offen. Ich möchte lieber dieses Festivaljahr gut abschliessen und mich danach mit der Zukunft auseinandersetzen. Da ich ein Unternehmen leiten, aufbauen und weiterentwickeln kann und das gerne tue, weiss ich aber auch, dass mich sehr viele Bereiche interessieren. Ich sage oft: «Step by Step.»