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Vom Tüftler zum Staatsmann

Grünen-Regierungsrat Martin Neukom ganz privat

Von der grünen Welle getragen! Mit erst 32 schafft er den Sprung in den Zürcher Regierungsrat. Wo Martin Neukom anders tickt als seine Parteikollegen, warum seine Mutter häufig weint und was sein grösster Stolz ist.

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Zurcher Regierungsrat Martin Neukom

Werkstatt in Winterthur Mit der blauen Box testet Martin Neukom, welche Materialien für Solarzellen geeignet sind.

Fabienne Bühler

Früher sei er ein Aussenseiter gewesen, sagt Martin Neukom. «Ab der vierten Klasse wurde ich dann geselliger.» Heute möchten ihm Passanten in Winterthur die Hand schütteln. Und Neukom freut sich darüber.

«Langsam realisiere ich, was passiert ist», sagt der 32-jährige Winterthurer mit nasaler Stimme. Er wurde Ende März in den Zürcher Regierungsrat gewählt. «Das gute Resultat hat mich selber überrascht!»

Klimastreiks halfen grünen Politikern

Kein Wunder, denn Neukom ist auch als Aussenseiter in den Wahlkampf gestartet. So prophezeite der «Tages-Anzeiger» letztes Jahr, ihm stehe bei den Regierungratswahlen eine «Mission Impossible» bevor.

Seit 2014 sitzt der ehemalige Präsident der Jungen Grünen im Kantonsrat, allerdings ohne den Medien oder der breiten Bevölkerung gross aufzufallen. Nun ist Martin Neukom der erste Vertreter einer Welle, die nach den Klimastreiks auch in Luzern und Baselland grüne Politiker in die Regierung spülte.

Regierungsrat Martin Neukom mit den Eltern

Stolze Eltern: Lili und Thomas Neukom verfolgen, was über ihren Sohn berichtet wird.

Fabienne Bühler

Neukoms Büro – oder besser seine Werkstatt – befindet sich auf dem Sulzerareal in Winterthur. An der Wand hängen Kabel, auf den Tischen liegen grüne Platten voller komplizierter Technik. «Der einzige Nachteil meiner Wahl ist, dass ich meinen Job aufgeben muss», sagt Ingenieur Neukom etwas wehmütig. Das ZHAW-Spin-off Fluxim entwickelt Software für Solar- und Fotovoltaikanlagen.

Auf dem Tisch steht Neukoms Stolz: eine von ihm entwickelte blaue Box, mit der er testet, welche Materialien für Solarzellen geeignet sind. «Wir haben 40 Stück davon an Forscher auf der ganzen Welt verkauft.»

Martin Neukom ist kein Heiliger

Der Klimawandel ist der Grund, dass Martin Neukom mit Politik anfing. Der Kampf dagegen ist für ihn eine Frage der Technik. «Ich verstehe nicht, wie Menschen derart emotional über Energiethemen diskutieren können.»

Ihm liege der moralische Zeigfinger nicht. Lieber begründet er konkret, warum er als Regierungsrat im Mai die Baudirektion übernehmen will. «Um einen Teil des Klimaproblems zu lösen: mit mehr Solaranlagen, mehr Sanierungen und weniger Ölheizungen.» Obwohl er privat mit Fernwärme heizt, sei er kein Heiliger. «Ich esse Fleisch und fliege geschäftlich ein- bis zweimal pro Jahr.»

Zuercher Regierungsrat Martin Neukom mit Schwester Claudia Neukom

Jüngere Schwester: «Ich mache mir keine Sorgen», sagt Claudia Neukom. «Das Amt schafft Martin schon!»

Fabienne Bühler

Grün ist Martin Neukom beim Velofahren – immer mit Helm übrigens. «Bei meiner Frisur spielts ja keine Rolle!» Wenn das Wetter schlecht ist, geht er spazieren oder improvisiert auf dem Klavier Boogie-Woogie-Songs.

Wenn das Wetter gut ist, fährt er mit dem Bike durch die Wälder. Grün ist auch, dass Neukom nach unserem Mittagessen im Restaurant den Rest seines Wassers kommentarlos in einen nahen Pflanzentopf giesst, statt das Glas halb voll zurückzulassen.

Der Politiker ist noch Single

Noch lebt der Single in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Winterthurer Altstadt. «In Zukunft könnte ich mir aber vorstellen, in einer selbst verwalteten Siedlung zu wohnen.» So wie seine Eltern in Oberwinterthur.

Dort, auf dem luftigen Balkon, erzählt sein Vater Thomas, 64: «Andere Kinder spielten Fussball, Martin interessierte das Universum.» Daher komme auch sein Cevi-Name: Galax.

Zuercher Regierungsrat Martin Neukom

Grosse Pläne: «Ich will Gebäude sanieren, ohne die Mieter zu verdrängen.» Martin Neukom mit Blick auf Winterthur.

Fabienne Bühler

Lili Neukom, 64, hatte 2001 eine Hirnblutung und musste fünf Wochen auf der Intensivstation bleiben. Eine Delle am Kopf zeigt die Spuren der Operation. Für Martin Neukom «eines der prägendsten Ereignisse».

Seither lässt seine Mutter Gefühle schneller raus als früher. Innert Sekunden wird der Stolz auf ihren Sohn zu Tränen, die aber schnell wieder versiegt sind. «Ich habe einen Ecken ab», sagt sie lachend, «andere auch, bei denen sieht man es einfach nicht!»

Zuercher Regierungsrat Martin Neukom

Auf dem Markt: Der neue Regierungsrat beim Spaziergang. Eine Passantin rät ihm: «Rock das Ding!»

Fabienne Bühler

Aufgewachsen ist Neukom im dörflichen Winterthur Veltheim, gemeinsam mit seinen Schwestern. Die jüngere, Claudia, 27, arbeitet in Winterthur als Bauingenieurin. «Martin hat sich als Kind beklagt, wenn Mami uns Märchen erzählt hat – das stimme ja alles gar nicht!», sagt sie lachend.

«Irgendwie war ich wohl schon immer Realist», erklärt ihr Bruder Martin. Die ältere Schwester, Susanne, 36, arbeitet als Juristin im Kanton Schwyz. «Er traut sich, Dinge zu fragen», sagt sie, «deshalb glaube ich, dass Martin sich im Regierungsrat schnell zurechtfinden wird.»

«Die Zusammenarbeit ist angenehm»

Wie beurteilen das seine politischen Gegner? Für SVP-Kantonsrat Erich Bollinger ist klar: «Beim Umweltschutz will Neukomzu schnell zu viel. Er probiert es mit der Brechstange.» Aber: «Die Zusammenarbeit mit ihm ist angenehm.»

Martin Neukom weiss, dass seine Wahl durch die grüne Welle begünstigt wurde. Auch dank Zehntausenden streikenden Schweizer Schülerinnen und Schülern. «Klar hätte ich mir gewünscht, dass es eine solche Bewegung schon früher gegeben hätte», sagt er. «Aber das kann man nicht kontrollieren.»

«Martin hat immer alles infrage gestellt. Sogar die Märli, die Mami erzählt hat»

Claudia Neukom, Schwester
Der «Neukom-Effekt»

Denn auch mit seinem Fokus auf den Klimawandel war Neukom lange ein Aussenseiter. Spürt er jetzt, nach der Wahl, Genugtuung darüber, dass seine Zeit gekommen ist? «Genugtuung hat etwas Negatives», sagt er. «Nein, es freut mich einfach, dass man endlich über dieses überfällige Thema redet. Der Klimawandel geht ja nicht von alleine weg.»

Und noch etwas freut ihn: In den Medien sei teilweise von einem «Neukom-Effekt» die Rede im Hinblick auf die Wahlen in anderen Kantonen. «Und dass ein Effekt nach einem benannt wird, ist natürlich der Traum eines jeden Wissenschaftlers.»

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 10. April 2019 - 11:00 Uhr