Bursins ist da, wo die Fensterläden grün-weiss gestrichen sind, wo das kleinste Stückchen Land zwischen den Häusern von Reben besetzt ist, wo die Post noch im Dorf steht.
Heute ist Bursins aber auch ein Dorf, das aus allen Nähten platzt. Eine Menschentraube hat sich bei der Kirche eingefunden. Und mittendrin: Bundesrat Guy Parmelin, 59, und seine Frau Caroline, 57, beide im Wander-Tenue Chic. Er: Strohhut, weisse Reebok-Turnschuhe, florales Hemd, beige Stoffhose (er hat gelernt: kurze Hosen ernten Spott). Sie: Strohhut, rote Bluse, beige Stoffhose.
«Bei gutem Wetter sieht man von hier aus den Spitz des Montblanc», sagt Parmelin und gestikuliert wie ein Touristenführer – das kommt nicht von ungefähr. Heute ist der Tag, an dem der Wirtschaftsminister rund 200 Leserinnen und Lesern der Schweizer Illustrierten und von «L’illustré» seine Heimat zeigt: auf einer Wanderung durch die Waadtländer Weinhügel, von Bursins über Begnins nach Changins.
Guy Parmelin: «Die echten Promis sind Sie!»
In Bursins ist Parmelin aufgewachsen, in Bursins lebt er noch immer. In der Dorfkirche hat er seine Caroline geheiratet. Über 25 Jahre sei das jetzt her, sagt sie: «Unglaublich, wie die Zeit vergeht.» Kennengelernt hat sich das Paar an einem Konzert in Bursins – «reiner Zufall», sagt sie. Wie es auch Zufall sei, dass sie heute einen Bundesrat an ihrer Seite habe.
Kurz nach halb elf verlässt der Tross das Dorf Richtung Begnins, vorbei an den herausgepützelten Villen oben am Hang, mitten ins Rebenland – leuchtend grüne Weinstöcke so weit das Auge reicht. «Der Chasselas aus Vinzel ist mir am liebsten», sagt Parmelin, der bis zu seiner Wahl 2015 in den Bundesrat die familieneigenen Weinberge bewirtschaftete.
Heute bleibt dafür keine Zeit mehr. Guy Parmelin aus dem 800-Seelen-Dorf Bursins ist jetzt Bundesrat – und kommt auch auf der SI-Wanderung kaum zum Verschnaufen. Es ist nicht so, dass ihn die Leute überfallen. Ihre Taktik ist eher die: zuerst eine Weile hinter Parmelin herlaufen, dann neben ihm aufschliessen, und wenn er eine Redepause macht – einhaken.
Man plaudert über die fruchtbaren Reben, die eine reiche Ernte versprechen. Über das Glück, dass es heute nicht ganz so heiss ist. Und dann kommen endlich auch die persönlichen Fragen: Wie viele Stunden schlafen Sie? (Es sind vier bis sechs Stunden.) Haben Sie auch eine Wohnung in Bern? (Ja, hat er.) Was passiert mit Ihren Dossiers, wenn Sie in den Ferien sind? (In Bern schaue man dann schon.) Und wie sie da schreiten, der Bundesrat und die Leser – es scheint, als würden Kameraden zusammen wandern.
Mittag in Begnins. Auf dem Weingut der Familie Métroz offeriert der Schweizer Bauernverband einen Brunch: Brot, Käse und Rauchspeck, Rindsbraten und Hörnli, Kirschen- und Schokomousse. Zu trinken gibts –
natürlich! – einen Chasselas. Parmelin ist mit dem Hause Métroz persönlich verbunden. Gegen Jean-Paul Métroz, 66, hat er früher Fussball gespielt: Begnins gegen Bursins. «Guy war ein guter Fussballer», sagt der Winzer – «wegen seiner Grösse waren seine Kopfbälle super.»
Tatsächlich: Parmelin, der später Schiedsrichter wurde, überragt die meisten Leute hier – und doch ist er erfrischend bodenständig. Etwa wenn er sagt, er trage extra keinen Rucksack, weil es doch geheissen habe, am Anfang, in der Mitte und am Ende gebe es etwas zu trinken. In seiner Rede zum 1. August appelliert er an die Leserinnen und Leser: «Entdeckt euer Land, seid offen!» – so wie das einst schon General Henri Guisan proklamiert hat.
Nach dem Essen geht der Marsch weiter: durch Wälder, Weiden und Dörfer. Obwohl für die Wandermüden ein Bus nach Changins parat gestanden wäre, gehen die meisten zu Fuss – auch Parmelin (auch wenn sein Knie manchmal nicht recht tut). Er geht immer an der Spitze, führt unaufhörlich Gespräche. Seine Frau Caroline, eine ehemalige Deutschlehrerin, spaziert diskret hinter ihm im Mittelfeld, aber ist nicht minder gesprächig. Ihr Mann und sie kämen kaum mehr zum Wandern, sagt sie. «Die Agenda von Guy ist enorm.»
Zwei- bis dreimal die Woche besuche sie ihn in Bern. «Sonst würden wir uns kaum mehr sehen.»
Mittlerweile ist es heiss geworden, die Leute wischen sich den Schweiss unter dem SI-Käppi weg, trinken endlich mal Wasser und geniessen kurz vor Changins die Aussicht auf den Genfersee. «Reiner Zufall, dass ich hier bin», sagt ein älterer Leser in einem blauen Karohemd. Seine Frau habe beim Gewinnspiel mitgemacht. Er lese ja lieber «Le Temps». Und mit Parmelin sei er auch nicht auf der gleichen politischen Linie. «Aber heute geht es ja auch nicht um Politik.»
Nun – der Mann hat nicht ganz recht. Die letzte Station der Wanderung ist Agroscope in Changins, das Forschungszentrum für Landwirtschaft des Bundes, dem Parmelin als Wirtschaftsminister vorsteht. Hier wird dafür gesorgt, dass in der Schweiz möglichst viele Pflanzen wachsen, die wie die neue Aprikosensorte Lisa für den Klimawandel gerüstet sind.
An einem Dutzend Ständen können alle Buchweizenbrot essen, an Kräutern schnuppern – und am Ende nochmals ein Gläschen trinken. Nur Guy Parmelin verzichtet diesmal. Als Winzer würde er lieber bleiben, als Bundesrat muss er halt einfach weiter. Au revoir!