Als fünften Kandidaten für die Nachfolge von Ueli Maurer (71) schickt die Stadtzürcher SVP Hans-Ueli Vogt (52) ins Rennen um einen Sitz in der Landesregierung. Ende 2021 ist Vogt aus dem Nationalrat zurückgetreten, um sich auf seine Arbeit als Juris und Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Zürich zu konzentrieren. Nun zieht es ihn zurück ins Bundeshaus. Dort wäre er der erste Landesvertreter, der offen homosexuell lebt. Die Schweizer Illustrierte besuchte den Stadtzürcher 2019 in seiner Wohnung im 12. Stock in Zürich West, von der Vogt sagt: «Hier kann ich abschalten.»
Vogt erlebt damals die turbulenteste Zeit seiner knapp dreijährigen Karriere im Parlament. Die Selbstbestimmungsinitiative, dessen geistiger Vater der Zürcher Professor für Wirtschaftsrecht ist, hat im Nationalrat schlechte Chancen. Und bei der Aktienrechtsrevision – Vogts Steckenpferd – machten im Vorfeld nicht seine Expertise Schlagzeilen, sondern seine Tränen.
Der Jurist mit Forschungsschwerpunkt Aktienrecht hätte die Monstervorlage im Parlament als Sprecher der Rechtskommission vertreten sollen – obwohl seine SVP die Vorlage als Ganzes ablehnt. Parteikollegen, aber auch Linke stritten derart über seine Wahl, dass Vogt auf das Amt verzichtete und aufgelöst die Sitzung verliess. «Einen harten Umgangston bin ich gewohnt. Dass mir aber linke Kollegen trotz der Kompromisse, für die ich mich eingesetzt habe, die Rolle des Sprechers nicht zutrauten, war ein Schlag ins Gesicht.»
Viele Bürger meldeten sich nach den Berichten bei Vogt
Nachdem der Eklat in die Presse gelangt ist, erhält Vogt unzählige Reaktionen aus der Bevölkerung. «Viele schrieben mir aufmunternde Worte wie ‹Kopf hoch›.» Obwohl er sich über die Anteilnahme freue – Mitleid wolle und brauche er nicht. Vogt findet es richtig, dass die Rechtskommission eine Anzeige gegen unbekannt wegen Verletzung des Kommissionsgeheimnisses einreichte. Zu seinen Gefühlen steht er: «Vermutlich haben meine Tränen beim einen oder anderen das Klischee des sentimentalen Schwulen bestätigt.»
Hans-Ueli Vogt passt für viele nicht ins Bild seiner Partei. Er ist kein Polterer wie SVP-Übervater Christoph Blocher, keine Frohnatur wie Toni Brunner, kein Provokateur wie Roger Köppel. Dessen «Weltwoche» schrieb: «Als homosexueller Intellektueller mit Wohnsitz im superurbanen Zürcher Industriequartier ist Vogt nicht gerade die Inkarnation der SVP.» Dass dieser bei der Durchsetzungsinitiative Ausnahmen für Secondos verlangte, unterstrich das Etikett des «untypischen SVPlers».
«Ich bin mehr auf Parteilinie als manch anderer»
Vogt selber sieht das anders. «Ich bin mehr auf Parteilinie als manch anderer.» Seine Selbstbestimmungsinitiative, die Schweizer Recht vor internationales stellen will, sei nur ein Beweis dafür. «Die SVP ist meine politische Heimat.»
Vogt wächst als Sohn eines Notars in Illnau im Zürcher Oberland auf. Weil der Vater auch bauert, verbringen seine Söhne viel Zeit auf dem grosselterlichen Bauernhof. «Für mich war es eher ein Müssen. Ich ging lieber mit der Mutter nach Zürich shoppen», sagt Hans-Ueli Vogt, lächelt leise und fügt hinzu. «Jaja, schon wieder ein Schwulen-Klischee.» Politisiert worden ist er nicht am Familientisch. «Ich wusste nicht mal, welche Partei meine Eltern wählen.»
Dafür haben sie indirekt seine Heimatliebe gefördert, indem sie alle Ferien in der Schweiz verbrachten. «Ich habe aus den Ferienprospekten eine Collage gemacht.» Dennoch zieht es ihn nach dem Jurastudium in die Welt hinaus. Er forscht an den Unis in Florenz, Harvard und Peking, arbeitet als Anwalt in New York, wo er heute noch gerne hinreist. «Ich mag die Anonymität.»
Ein Hauch von New York versprüht auch seine 122 Quadratmeter grosse Wohnung im 23-Etagen-Hochhaus. Und fast könnte man meinen, Vogt sei hier nur zu Gast. Stromkabel hängen von der Decke, an der Wand gibts keine Bilder. Und das, obwohl er seit über drei Jahren hier lebt! «Ich bin leider nicht der geborene Heimwerker.» Gut ausgestattet ist Vogt mit schicken Schuhen und noch mehr Krawatten. «Einen gut sitzenden Anzug finde ich auch als Politiker wichtig.» Privat mag er es gerne mal bequem mit Adidas-Trainerjacke, flippig für Schlagerpartys oder leger bei Fahrten aufs Land mit seinem knallblauen VW Polo.
Junge 33 Jahre alt ist Vogt, als ihn die Universität Zürich zum Assistenzprofessor für Wirtschaftsrecht beruft. «Hans-Ueli war schon immer der Lehrer», erzählt sein Bruder, Chauffeur Adrian Vogt (51), als sich die beiden zum Kaffee treffen. «In den Ferien hat er mir am Nachmittag Nachhilfe gegeben.»
Vogt gibt unumwunden zu, dass er ein Streber war. «Ich bin gerne der Beste.» So schloss er die Matur in Wetzikon als Bester ab, seine Doktorarbeit erhielt die Auszeichnung «summa cum laude».
Ein Jurist mit scharfem Verstand
In der Politik schaffte er es bisher nicht an die Spitze. So blieb ihm 2015 der Platz im Ständerat verwehrt. Für den Nationalrat reichte es dem ehemaligen Kantonsrat aber locker. Dort wird Vogt respektiert. Karl Vogler von der CVP sagt: «Er nimmt das Gegenüber ernst und hört wirklich zu.» Er sei ein genialer Jurist mit scharfem Verstand.
Auch SPler Corrado Pardini, der Vogt in der umstrittenen Sitzung wegen seines Neins zur Geschlechterquote im Aktienrecht kritisierte, betont das gute Verhältnis zu ihm. «Vogt ist ein strammer SVPler, der sich immer wieder die Freiheit zu unabhängigen Positionen nimmt. Das macht ihn sympathisch.»
Vogt hätte gerne eine Beziehung
Vogt selber sagt, er habe den Vorfall«noch nicht ganz verdaut». Die Lust aufs Politisieren sei ihm aber nicht vergangen. Allerdings wird dem Single-Mann in solchen Momenten bewusst, dass er gerne wieder einen Partner hätte. «Um sich auszutauschen und die schönen Momente zu geniessen.»