Er ist die männliche Verkörperung von Pippi Langstrumpf. Mit einer Nebelmaschine in der Hand läuft er durch die Strassen seines Wohnorts Langenthal BE. «Das war die beste Investition der letzten zwei Jahre», erzählt Valerio Moser (35) begeistert. Fast alle, denen er begegnet, grüssen ihn mit einem «Hoi, Valerio» – man kennt ihn hier. Der Poetry-Slammer lebt in einer Villa Kunterbunt mitten in der Stadt. Er selber nennt seine Wohnung gern «kreative Spielwiese». Diese befindet sich gleich oberhalb eines Kulturvereins und Restaurants mit Namen Chrämerhuus. Genau hier fing für den gelernten Informatiker alles an, seine ersten Auftritte als Slammer hatte er auf jener Bühne. Bis heute ist er dem Ort verbunden. Auch als doppelter Schweizer Meister im Poetry-Slam. So darf er sich seit einigen Wochen nämlich nennen.
Endlich. Denn mehr als einmal reichte es für den Wortpoeten nicht ganz für den Titel. «Scheitern gehört dazu und ist wichtig. Erst wenn ich ein Risiko eingehe und Sachen ausprobiere, entsteht Neues und Innovation», meint Moser. Er nimmt in Kauf, dass halt auch mal etwas schiefläuft. Ein Format, mit dem der Slammer das Scheitern übt, ist unter anderem das Powerpoint-Karaoke. Dabei werden Foliensätze zufällig an die Gäste des Events verteilt. Diese müssen sie dann, ohne dass sie die Folien vorher gesehen haben, präsentieren. «Man weiss nie, was einen erwartet. Dasselbe gilt für die Bühne. Es gibt Momente, da gehen Pointen auch mal daneben.» Das sei aber nicht weiter schlimm.
Mit Fliegenklappe in die Schule
Des Künstlers Werkzeug ist die Sprache. Er verformt sie, verdreht sie, kitzelt alles aus ihr raus. Da kann es sein, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht immer alles mitkommen. Kein Problem für den Wortakrobaten. Im Gegenteil, er liebt es, «Menschen harmlos zu irritieren. Als Jugendlicher gab es eine Phase, da nahm ich immer eine Fliegenklappe mit in die Schule.» Warum, weiss er selber nicht.
Wer bin ich, wer will ich sein? – Die Findungsphase gehört zum Erwachsenwerden – mit oder ohne Utensilien. «Durch gute Irritation kann man Denkprozesse anstossen. Wenn man im öffentlichen Raum Leute aus ihrer Routine reisst, hinterfragt man den Status quo.» Heute flaniert er nicht mehr mit einer Fliegenklappe durch die Stras-sen, sondern eben mit seiner Nebelmaschine. Das Stilmittel des Irritierens ist geblieben. Auch bei seinen Auftritten. «Es kommt schon mal vor, dass ich auf der Bühne euphorisch eskaliere.»
Trotz der Aufmerksamkeit, die Valerio geniesst, bezeichnet er sich selbst als introvertiert. Dass die Leute ihn als gesellig und kontaktfreudig erleben, erklärt er sich durch eine Art Schutzschild. «Es ist vermutlich eine Strategie, damit ich nicht so viel von mir preisgeben muss.» Konflikte mit dem eigenen Selbstverständnis kennt Valerio auch aus seiner Arbeit als ehemaliger Jugendarbeiter. «Stand ich auf der Bühne, hatte ich die Rolle des Künstlers. Wenn ich aber mit den Teenagern arbeitete, hatte ich plötzlich eine andere Funktion.»
Pendler zwischen verschiedenen Welten ist er geblieben. Valerio wohnt mal im gemächlichen Langenthal, mal im hektischen Zürich. «Dort kennt man sich als Künstler, in Langenthal kann ich einfach Valerio sein.» Regelmässig trifft er sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen für ein Pétanque oder mal auf ein Mittagessen. So auch heute. Über Mittag kehrt er mit Freunden ins Restaurant des Chrämerhuus ein. Der Gesprächsstoff geht ihnen selten aus. Auch wenn nicht mehr alle in Langenthal wohnen, kommen sie gern hierher.
Für Valerio ist seine Heimat eine wichtige Inspirationsquelle. Häufig geht es in seinen Texten um Erlebtes oder Beobachtungen aus dem Freundeskreis. Sein Umfeld nutzt der Sprachpoet auch gern für Feedback auf seine Texte. «Ich spreche mit meinen Freunden oder mit meiner Freundin Claire über Themen, die mich beschäftigen.» Claire ist auch jene Person, die den Künstler daran erinnert, mal einen Gang herunterzufahren. «Es gibt Tage, da arbeite ich über zwölf Stunden. Mir selbst fällt das gar nicht auf.»
Er will «gemächlich gehen»
Das Leben als Künstler sei teilweise stressig. Deshalb versucht Valerio, die Dinge ruhiger anzugehen – wortwörtlich. Er übt sich im gemächlichen Gehen. «Ich zelebriere die Langsamkeit. Man beobachtet und hat mehr Zeit, die Leute und Geschehnisse um sich herum wahrzunehmen.» Für einen Spass ist Valerio Moser aber immer zu haben. Nicht ohne Grund befindet sich im zweiten Stock seiner Wohnung ein «Böllelibad». «Wieso nid?», meinte er dazu nur.