Als David Constantin, 37, vor anderthalb Jahren mit seinem Bruder Jonas, 30, sowie einem Freund und drei Freundinnen in eine gemeinsame Bleibe in Bern zieht, erfüllt sich für ihn ein grosser Wunsch: eine weisse Wand im Zimmer. Da kann er seine Lieblingsserien wie «The White Lotus» oder «Succession» grossflächig per Beamer schauen. «Tschugger» sieht er sich hingegen jeweils mit seinen WG-Gschpänli am TV an (So, 12.12., 22.35 Uhr, So, 19.12., 21.45 Uhr, SRF 1). Mittlerweile habe er sich auch an seine Visage am Bildschirm gewöhnt, meint David. Irgendwann akzeptierte er auch, «dass halt nid dr Bräd Pitt bisch».
Ob er wirklich die Hauptrolle in seiner eigenen Serie spielen will, hat sich der «Tschugger»-Drehbuchautor und -Regisseur lange überlegt. Aber wer sollte den Polizisten Johannes «Bax» Schmidhalter besser darstellen als der, in dessen Kopf er entstanden ist? Dabei hat David Constantin mit seinem Fernseh-Alter-Ego gar nicht so viel gemeinsam – ausser dem Spitznamen. Als Kind wird er wegen eines leichten Überbisses in Anlehnung an den Comic-Hasen Bugs Bunny «Bax» gerufen.
Im Gegensatz zu seiner TV-Figur wirkt der «echte» Bax zurückhaltend, fast scheu. Constantin ist alles andere als draufgängerisch und unverfroren. Auch wenn er mit Kritik gut umgehen kann, wird er nicht gern mit seiner Rolle verwechselt. «Ich möchte, dass mich die Leute gern haben.» Besonders schlimm findet er, wenn ihm wegen Bax’ Machozügen Sexismus vorgeworfen wird. «‹Tschugger› ist eine Komödie, alles ist überzeichnet. Wer mich kennt, weiss, dass ich mich für Gleichstellung und Inklusion einsetze.»
Er habe «einfach eine geile Serie im Wallis schaffen wollen, die visuell verhebt», sagt David. Und nennt als Vorbilder Klassiker, die sich andere Filmemacher wohl nie in den Mund zu nehmen trauen würden: «Fargo» oder «True Detective». Mit der gleichen Unbekümmertheit, wie er mit so grossen Namen um sich schmeisst, ist David Constantin seine Karriere angegangen. Obwohl Karriere für ihn wohl das falsche Wort ist. Denn hätte er irgendetwas in diese Richtung geplant, in der sich sein Leben entwickelt hat, wäre es vermutlich nie zu «Tschugger» gekommen. «Immer wenn ich mich irgendwo beworben habe, hats nicht geklappt.» Dreimal versuchte er es an der Zürcher Hochschule der Künste. Dreimal flog er «ohne Begründung» durch die Aufnahmeprüfung. Wohl zu seinem Glück. Denn überall, wo er es mit zu vielen Regeln zu tun bekommt, sagt David, wirds schwierig für ihn.
Stattdessen zieht er nach der Matura aus Salgesch VS, wo er als Winzersohn mit drei jüngeren Geschwistern aufwächst, nach Lausanne und Bern, wird «Studientourist»: Er schnuppert Sport, Psychologie, Germanistik, besucht in New York eine Filmschule – nichts länger als zwei Semester. Bei Wirtschaft bleibt er hängen, schliesst als Betriebsökonom ab. Als Hobby dreht er «Trash-Filmli» mit Freunden. Den ersten Auftrag für einen Werbefilm erhält er für die Beiz seines Cousins auf der Riederalp, was ihm prompt im «Blick» die Schlagzeile «Die frechste Werbung der Schweiz» einbringt. Weitere kleinere Aufträge folgen, 2012 die Onlineserie «Tschutter», in der Constantin – der selbst in der zweiten Liga kickte – die Ernsthaftigkeit des Hobbyfussballs auf die Schippe nimmt. Und weil er es schade findet, das Ganze nur auf Youtube zu stellen, bietet er die Serie dem Pendlerportal «20 Minuten» an, das sie tatsächlich auf dem Onlinekanal laufen lässt.
Es folgen zwei weitere Webserien, immer grössere Werbeaufträge, Constantin dreht für Kunden wie Schweiz Tourismus, Swisscom und Coop. Es gibt «es paar Priisa, ds Zürich, und eine eu mal ds Cannes». Ganz schön als Bestätigung für einen, der immer wieder von Selbstzweifeln geplagt wird. Zumal er weder ausgebildeter Drehbuchautor noch Regisseur, noch Schauspieler ist. Aber schliesslich, findet David, «ist Filmen Kommunikation. Du brauchst eine Vision und musst diese mitteilen können. Mit dem Spiel vor der Kamera musst du einfach das Kind in dir wiederentdecken und zulassen.»
Bei «Tschugger» sind denn auch mit wenigen Ausnahmen alle Darstellenden Laien. Musikerin Anna Rossinelli, die eine Fedpol-Polizistin spielt, sei total foto- und telegen: «Warum also nid eu schauspillru?» Gedacht, getan – David Constantin bietet der Sängerin, die Rolle an. Er selbst lässt sich für die Verkörperung seines Bax einen Schnauz wachsen («ohne seh ich aus wie ein Baby!»). Dass er diesen immer noch trägt, liegt daran, dass gerade die zweite «Tschugger»-Staffel abgedreht wurde. SRF zeigt sie im Winter 2022. Was danach kommt, lässt David auf sich zukommen. Träume stehen genug auf seinem «Vision Board»: «zum Teil echt krasse Sachen». Dabei gibt es etwas, das David Constantin von anderen Träumern unterscheidet: Er ist auch ein Macher. In der Kombination können selbst krasse Träume wahr werden.