Die Temperatur liegt unter der Nullgradgrenze, der Wind bläst Dimitri Stapfer (34) und Mike Müller (59) fies um die Ohren. Dennoch zeigt sich die Badi Olten idyl-lisch. «Sie war in der Kindheit für uns beide wichtig», erklärt Müller. «Olten ist eine kleine Stadt. Es gibt sonst nicht viel zu tun.» Müller und Stapfer sind beide hier aufgewachsen – und weggezogen. Beide sind Schauspieler geworden – und aktuell im Kinofilm «Der Bestatter» zu sehen.
Die Wetterlage könnte nicht besser zu ihren Ortserinnerungen passen. «In Olten die Kindheit zu verbringen, war rau, was mich auf eine positive Art geprägt hat», sagt Stapfer und sucht mit seinem Blick nach Vertrautem. Dort hinten sprang er von der Zugbrücke in die Aare («Das habe ich nie gewagt», sagt Müller), und am Ufer war sein bevorzugter Sonnenplatz. «Es war in vielerlei Hinsicht rau», pflichtet Müller bei – 2022 wurde er von seiner Heimatstadt mit dem Schweizer Kabarett-Preis Cornichon ausgezeichnet. «Das Grosswerden hier war auch ein bisschen grobschlächtig, was gut für unseren Beruf war. Man ist nicht so stolz hier, das finde ich sympathisch. Und man ist auch schnell wieder weg.» Beide lachen. Olten ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt.
Müller und Stapfer lernen sich denn auch nicht in Olten richtig kennen, sondern erst während der Dreharbeiten zu «Der Bestatter». Dass sie ähnlich ticken, merken sie schnell. «Nicht zuletzt, weil wir beide gern essen, mein Vater ist Koch», sagt Stapfer, «und dank Olten haben wir beide unsere ‹Schnurre›!» – «Ja, uns muss auf dem Set niemand blöd kommen, wir sagen, was wir denken», erklärt Müller. «Wir hatten tolle gemeinsame Szenen zum Spielen.»
Der Kinofilm ist die 90-minütige Beerdigung der erfolgreichen SRF-Serie «Der Bestatter». Von 2013 bis 2019 schlüpfte Mike Müller während sieben Staffeln in die Rolle des ehemaligen Ermittlers und Bestatters Luc Conrad. «Es ist immer ein Glück, eine Rolle zu haben, die einem Spass macht. Es war eine gute Zeit.» Im Abschlussfilm übernimmt Dimitri Stapfer eine Ermittlerrolle. Hat er, der in «Wilder» und beim «Tatort» mitwirkte, alle Folgen der Krimiserie gesehen? «Das hat niemand ausser meiner Mutter und mir!», rettet ihn Mike Müller sofort lachend. Von Jungschauspieler Stapfer hört Müller schon sehr früh. «Ich kenne Dimitris Eltern aus meiner Kindheit und Jugend, musste seinen Vater Patrice einst vom Schulskilager nach Hause begleiten, als er noch ‹en Chline› war», erzählt er. Vater Stapfer fragt denn auch Müller um Rat, als sein Sohn ins Schauspielgeschäft einsteigen will. «Du sagtest ihm: Lass ihn einfach spielen, spielen, spielen», erinnert sich Stapfer. «Für mich heute noch der beste Rat.»
«Los, gömmer go tünkle!», ruft Mike Müller beim Anblick des leeren Kinderbeckens. Er war schon länger nicht mehr in dieser Badi, schwimmt im Sommer jedoch regelmässig und kennt dank seiner Tournee mit dem Circus Knie 2019 fast alle Freiluft-Badis der Schweiz. Nach Olten kehrt er öfters zurück. «Wegen meiner Eltern, die hinter dem ‹Hoger› wohnen. Und ich habe noch alte Freunde vom Theaterstudio hier.» Dieses wird von der Theatergruppe betrieben, die Müller während seiner Schulzeit mitgegründet hat. Mit 13 Jahren tourt Dimitri Stapfer mit dem Zirkus Chnopf im Holzwagen durch die Schweiz. «Da habe ich Blut geleckt», sagt er. «Ich hatte die absolute Freiheit, lernte aber auch Selbstverantwortung und dass ich täglich liefern muss. Dieser Drive und Biss hat mich bis heute geprägt.» – «Ich bin zwar nicht im Zirkus sozialisiert worden», sagt Müller, «aber auch im Theater lernst du, zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuliefern. Es gibt keine Ausreden, es wird hingestanden – los!»
«Vom Drehen allein können in der Schweiz nur wenige Leute leben. Ich gehöre nicht dazu»
Mike Müller
Stapfer verdient seine Sporen beim Theater ab. «Dass ich beim Film landen würde, hätte ich nie gedacht, auch wenn mich das Genre interessierte.» Für seine Rolle eines Menschen mit Autismus in «Left Foot Right Foot» gewinnt er 2014 den Schweizer Filmpreis als bester Nebendarsteller. «Aber ohne die Diversität des Theaters wäre ich nicht der Schauspieler, der ich jetzt bin.» – «Sehe ich genau gleich, man lernt auf der Bühne», sagt Müller. «Und vom Drehen alleine können in der Schweiz nur wenige Leute leben, höchstens fünf, würde ich sagen. Ich gehöre im Moment nicht dazu.» Dimitri Stapfer verdient sein Geld mit Hörspielen, als Schauspieler oder Regisseur in Theater und Film.
«Hör mir auf mit diesen Jungschauspielern!», winkt Müller ab, als Stapfer sich mit einem Gump locker auf die Rutschbahn setzt. Rugby, Seiltanz und Fechten gehören gemäss Vita zu dessen Fähigkeiten. «Das ist gar nicht meine Abteilung», sagt Müller. «Dafür lernte ich für den Zirkus reiten.» – «Cool, das kann ich wiederum nicht», lobt Stapfer. Sie sind sich einig: «Wenn du als Schauspieler das Gefühl hast, du kannst alles, kannst du direkt nach Hause gehen.»
Und nun, am Ende des Interviewtermins, wollen das beide. Mit dem Zug gehts schnell aus der Stadt raus, nach Zürich. Das ist eben das Gute an Olten.