Jost Hürzeler (65), selbstständiger Industriedesigner, heute pensioniert. Lebt mit Ehefrau Miriam (64), in Thalwil ZH, direkt am Bahntrassee zwischen Zürich und Chur, Grundstück mit Blick auf den Zürichsee. Nächstes Jahr Feier des 40. Hochzeitstags. Eine Tochter, Melina (29), lebt und studiert in Berlin.
So weit, so gut, so bünzlig. Aber: Dieser unscheinbare Mann führt ein Doppelleben! Jost Hürzeler ist «Herr Hürzeler». Und als solcher narrt er seit über 20 Jahren Vereine, Firmen und Behörden mit Nonsens-Briefen. So schrieb er vor einem Jahr Bundesrätin Karin Keller-Sutter folgende Zeilen.
Sehr geehrte Frau Bundesrätin Keller-Sutter
Können Sie mir ein gutes Nagelstudio in Bern empfehlen?
Ich danke Ihnen für Ihren Hinweis und erlaube mir, Ihnen eine ausgesprochen gute Woche zu wünschen.
Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung
Ihr sehr geehrter Herr Hürzeler
Die absurden Briefwechsel mitsamt Antworten, die oft humorvoll, manchmal staubtrocken und in seltenen Fällen auch mal verärgert ausfallen, veröffentlichte Hürzeler in fünf Büchern. «Letzte Briefe von Herrn Hürzeler» heisst das jüngste Werk, das Ende 2023 erschienen ist. Der Titel deutet zwar an, dass nun Schluss mit lustig ist. Doch: «Ich weiss es nicht, ob ich wirklich damit aufhöre. Ich habe noch viele andere Ideen», sagt Hürzeler.
Humor ist für den gebürtigen Basler, der in Bottmingen aufgewachsen ist und sich als pazifistisch bezeichnet, eine Waffe, die er für legitim hält, um sich zu verteidigen. In der Primarschule sei er oft von Mitschülern «abgeschlagen» worden. «Mit lustigen Sprüchen, frechen Bemerkungen und schrägen Ideen habe ich mir jedoch Respekt verschafft – und war plötzlich der Held», erinnert sich Hürzeler. Schon seine Mutter, eine Britin, sei «ziemlich verrückt» gewesen, «im positiven Sinne!». So sei sie einst an einer Cocktailparty in Kleidern in den Pool gehüpft, habe sich ein andermal bei einer Wanderung mit ihm, seiner Schwester und einer Freundin mitten auf den Weg gelegt, um Autofahrer zu stoppen und sie alle an ihr Ziel bringen zu lassen.
Herr Hürzeler und sein Turban
Auf die Idee, seine absurden Gedanken festzuhalten, bringt Hürzeler ein befreundeter Kunstsammler und Mäzen: «Mach ein Buch!» Also schreibt Hürzeler Kurzgeschichten, veröffentlicht im Heyne-Verlag sein erstes Werk mit dem Titel «Die Bärenfellmütze». Als das Zürcher Partymagazin «Forecast» wohlwollend über das mit einem Hühnerknochen verzierte Buch schreibt, dankt Hürzeler der Redaktion per Postkarte: Diese zeigte einen Sikh – samt Turban und Bart. Dieses Konterfei ist fortan das Markenzeichen von «Herrn Hürzeler».
Wäre es nach Jost Hürzelers Lehrern gegangen, hätte ihr Schüler eine Kunstschule besuchen sollen. «Filme zu machen, interessierte mich, galt damals jedoch als brotloser Beruf.» Anderthalb Jahre studiert er Nationalökonomie, erkennt jedoch, «dass das überhaupt nix für mich ist». Ein Freund, der in London Design studiert, bringt ihn schliesslich dazu, an der Rhode Island School of Design, einer der renommiertesten Kunsthochschulen der USA, Industriedesign zu studieren. Dort lernt er auch seine Frau Miriam kennen. «Das mit uns ging sehr schnell!» Als er seinen Bachelor in der Tasche hat, reist Jost für eine Woche zurück in die Schweiz, «um mich zu verabschieden», und folgt seiner Liebsten in deren Heimat Brasilien. Zwei Jahre leben sie in Rio, führen ein Atelier für Design und Grafik, ehe das Paar in die Schweiz zieht.
Vor Verhaftung durch die Polizei
Miriam kennt den speziellen Humor ihres Mannes und dessen Wirkung genau. Dass seine schrägen Aktionen mitunter auch mal missverstanden werden, amüsiert sie. Einmal erkundigt sich «Herr Hürzeler» bei der Zürcher Polizei nach einer Parkbewilligung. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches, triebe Herr Hürzeler eben nicht seinen Schabernack. Er plane, so schreibt er, eine Bank in der Bahnhofstrasse zu überfallen, und benötige die Bewilligung, um danach das gestohlene Geld in Ruhe ins Auto einladen zu können. Als der Jux-Brief bei der Polizei landet, stehen kurz darauf zwei Beamte in Zivil vor der Tür. «Die wollten mich verhaften, aber der ältere merkte, dass es lustig gemeint war.»
Im Lauf der Jahre macht sich der Spassvogel sogar über die Grenzen hinaus einen Namen, was mancher Antwort, die ihn erreicht, anzumerken ist. «Herr Hürzeler» ist berühmt – und berüchtigt. Bundesrätin Karin Keller-Sutter antwortet ihm nur Tage nach seiner eingangs erwähnten Anfrage:
Haben Sie Dank für Ihre nette Zuschrift. Leider muss ich Sie enttäuschen: Ich kann Ihnen kein Nagelstudio in Bern empfehlen. Und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Nagelpflege ist, Sie werden mir in diesem Punkt zustimmen, eine höchst persönliche Angelegenheit. Entsprechend sind auch die Präferenzen individuell. Was dem einen ein Traum-Studio ist, ist dem anderen ein Graus-Studio. Nichts würde mich indes mehr grämen, als wenn Sie sich – auf meine Empfehlung – in einem Nagelstudio vorfänden, das Ihren hohen Ansprüchen nicht genügt. Dafür kann und will ich die Verantwortung nicht übernehmen …