Claudia (58) und Andreas Züllig (65) haben keine Angestellten, sie beschäftigen 100 Gastfreundinnen und Gastfreunde in ihrem Viersternehotel Schweizerhof in Lenzerheide GR. Sie halten eigene Tiere: Wollsäue, Schwarznasenschafe, Geissen – und Schleien aus dem nahen Heidsee. «Aus Massentierhaltung kommt nur der Honig von unseren sechs Bienenvölkern», sagt Andreas mit breitem Lachen.
Züllig ist noch bis Ende Jahr als Präsident von Hotelleriesuisse oberster Hotelier der Schweiz. Die letzten neun Jahre war er in seiner Funktion auch Mitglied des Gewerbeverbandes und von Economiesuisse und wegen der Coronakrise und der Aufhebung des Mindestkurses des Frankens gegenüber dem Euro viel unterwegs: «Rund 150'000 Kilometer legte ich mit der Bahn zurück.» Züllig hat das Image des Hotelgewerbes in Politik und Wirtschaft als verlässlicher und wichtiger Partner gestärkt. «Wir waren das einzige Land in ganz Europa, das die Hotels nie schliessen musste», sagt er stolz. Jetzt kann er sich mit seiner Frau Claudia wieder voll auf den «Schweizerhof» konzentrieren.
Wer meint, die beiden Gastgeber aus Leidenschaft würden ihr Privatleben in einem stattlichen Haus mit Limousine samt Chauffeur geniessen, irrt. «Wir wohnen in einer einfachen Wohnung im Hotel», sagt Claudia Züllig. «Und ich fahre einen VW und keinen Mercedes», ergänzt er.
Die Wohnung dient vorwiegend als Schlafgelegenheit. Geeignet vor allem auch für die Besuche der beiden erwachsenen Söhne Nico (30) und Gian Andrea (25). Sofort ins Auge stechen zwei Gemälde des Zürcher Künstlers Uwe Wittwer und ein grosses Gestell mit Blechautos von Schuco & Co. «Ich wünschte mir als Kind immer solche», erinnert sich Andreas Züllig. «Weil ich aber nie eines geschenkt bekam, fing ich irgendwann mit dem Sammeln von Modellautos an.» Früher habe er die Antiquitätenmärkte in Zürich und Wien und sogar den weltbekannten Portobello Road Market in London nach Raritäten abgesucht. Fein säuberlich befreit er die wertvollen Exemplare mit einem Pinsel aus Straussenfedern regelmässig vom Staub.
Als junges Paar eingestiegen
Seit 33 Jahren schwingen die Zülligs das Zepter im «Schweizerhof». Sie erwarben das Hotel 1994 ohne viel eigenes Geld von der UBS-Vorgängerin SBG aus einem Konkursfall. Dank der Unterstützung des damaligen Verwaltungsratspräsidenten Nikolaus Senn, er besass ein Haus in der Lenzerheide und war Präsident des Golfclubs.
Zülligs führen das Haus so wie viele grosse Hoteliers. Sich selber zurücknehmen – im Mittelpunkt steht der Gast. Mittag- und Abendessen geniessen die beiden im Hotel. Und zwar am grossen Tisch zusammen mit dem Kader. So sind sie jederzeit über alles, was läuft und klemmt, orientiert.
Mit Bescheidenheit, Understatement, Qualität und vielen Ideen wollen sie auch in der Hotellerie 4.0 erfolgreich sein. Sie haben die Reception in eine luftige Lounge umgestaltet. «Viele Städter kommen völlig gestresst ins Hotel», sagt Claudia. «Wir servieren Kaffee, einen Drink oder ein Bier. Plaudern mit den Gästen, erklären ihnen einige Besonderheiten – dann sind sie schon viel relaxter.»
Der «Schweizerhof» beschäftigt eigens einen «Spielosophen». Dieser stellt Eltern und Kids je nach Alter und Interessen passende Spiele vor – statt jede freie Minute am Handy und Tablet zu verbringen, vergnügen sich hier Familien stundenlang mit Spielen. Für die Kleinen gibts den ganzen Winter über Action: Märchen, Zauberschule, Airbrush-Workshops und Theater. Die Kinder der Gäste und auch der Nachwuchs der im Hotel Beschäftigten geniessen den betreuten Kinderclub Adalina wie auch das Essen kostenlos. Das Hotel hat eine Verantwortliche für Nachhaltigkeit eingestellt, und ein Coach unterstützt Lehrlinge und Mitarbeitende. Diese können jede Woche zwei Lektionen in Deutsch buchen.
Für die Gäste gibts Leseabende mit Erfolgsautor Arno Camenisch und Schauspieler Gian Rupf und während der Ladies Hamam Night witzige und skurrile Geschichten. Wie im Orient dienen die altrömischen Thermen nebst der Badekultur dem Austausch.
Die Region liefert alles Feine
«Interaktion auch beim Essen», sagt Claudia Züllig. «Für unser Sechsgang-Halbpensionsmenü bauen wir auf regionale Produkte mit kurzen Wegen.» Im Gespräch versuchen die Gastgeber ihren Gästen die Vorteile ihrer Produkte und deren Hersteller näherzubringen. Wie etwa die Geheimnisse des in Handarbeit von Maria und Martin Bienerth in der Sennerei Andeer aus Bio-Milch produzierten Käses. Oder das Spezielle der Joghurts, der Butter und Glaces der Familie Heinrich in Filisur. «Nun führt dort Tochter Nicole den Betrieb – sie hat bei uns Köchin gelernt.»
Seit Jahren verzichtet der «Schweizerhof» auf Fische und Krustentiere aus den Weltmeeren. «Unseren Fisch aus dem Bodensee bringt Fischerin Trudi Schweizer jede Woche persönlich vorbei», sagt Claudia. «Und zwar per Bus und Bahn.» Die «Berghärdöpfel», Gerste und Ackerbohnen kommen vom eigenen Acker in Lain – dieser wird noch von einem Ross gepflügt. Für Foodies: Ab 15. Dezember ist das 16-Punkte-«Gault&Millau»-Restaurant Scalottas Terroir wieder offen. Andreas Züllig macht gluschtig: «Es gibt frischen Steinbock und Ragout vom Murmeltier.»