Vom nationalen «Ravioli-Skandal» bis zum regionalen Spesenknatsch: Im «Kassensturz» wird seit 50 Jahren getestet und aufgedeckt. «Das ist unsere Aufgabe, immer genau hinzuschauen», sagt Moderatorin Bettina Ramseier im Büro der Redaktion in Zürich. Vor zwei Wochen berichtet die Sendung über Berner Regierungsräte, die Kleinstbeträge über die Spesen abrechneten – und macht damit grosse Schlagzeilen.
Aufgrund des Berichts von «Kassensturz» hat die Berner Regierung ihr Spesenreglement verändert. Hätten Sie gedacht, dass die Geschichte um eine Banane für 20 Rappen derart hohe Wellen schlägt?
Nein! Niemand von uns. Wir haben wie bei jeder Geschichte diskutiert, ob sie relevant genug ist. Aber sie war es! Immerhin führte sie zur wohl schnellsten Verordnungsänderung in der Geschichte der Schweizer Politik (lacht). Das ist toll! Uns gehts nicht darum, jemanden blosszustellen, sondern darum, Umstände zu verbessern. Und das ist hier gelungen.
Warum hat die Geschichte so interessiert?
Fast alle im Berufsleben rechnen Spesen ab. Jede und jeder hat dabei schon sein Gewissen befragt. Hinzu kommt, dass Regierungsräte viel verdienen. 280 000 Franken Lohn und 20 Rappen für eine Banane – das ist eine enorme Fallhöhe.
Im Beitrag erwähnt der Reporter, dass er ein Jahr recherchiert hat. Herausgekommen sind die Abrechnungen einer Banane, eines Mehrkornbrötlis und einer Butterbrezel. Ist das wirklich der grosse Knaller?
Wir wissen vorab nie, was bei einer Recherche herauskommt. Und mein Kollege hat ja nicht ein Jahr lang nur an dieser Geschichte gearbeitet. Er musste lange auf Antworten und Dokumente warten. In dieser Zeit hat er an anderen Beiträgen recherchiert. Ich finde nicht, dass das übermässig viel Aufwand war.
Die Spesen sind Einzelfälle und schon Jahre her.
Ich war nicht direkt involviert bei dieser Geschichte. Aber ein renommierter HSG-Professor sagt im Beitrag klar, dieses Vorgehen sei ethisch nicht korrekt. Nach Publikation nahm die Story eine Eigendynamik an. Was im «Blick» oder auf «20 Minuten» steht, können wir nicht kontrollieren. Ich finde aber, dieser Fall wirft grössere Fragen auf.
Welche?
Wie gehen gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter mit Verantwortung um? Darum gehts! Und interessant fand ich auch, dass Frauen die Spesen anders handhaben als Männer. Das sagt viel aus. Aber klar, am Ende bleibt das «Bananen-Gate», obwohl unsere Geschichte viel mehr erzählt.
Wie oft kommt es beim «Kassensturz» eigentlich zu juristischen Nachspielen?
Ich habe nicht den Überblick über die letzten 50 Jahre, aber das nimmt zu. Die meisten Einwände kommen vor der Ausstrahlung, weil wir die Leute immer vorab konfrontieren. Manche nehmen sich einen Anwalt, was ihr Recht ist. Unsere Arbeit wird aber zunehmend schwieriger, weil die andere Seite sich durch Kommunikationsstellen abschirmen lässt. Viele geben nur noch schriftliche Statements ab und keine Interviews mehr. Dabei ist es das Markenzeichen des «Kassensturz», dass die Verantwortlichen sich rechtfertigen müssen. Ich finde es eine Unsitte, wenn man sich davor drückt.
Warum funktioniert der «Kassensturz» nach 50 Jahren trotzdem immer noch so gut?
Wir beziehen Position, dieses Privileg haben andere Formate nicht. Und der Konsumentenschutz ist in der Schweiz im Vergleich zur EU eher schwach.
Wie hat sich die Sendung in den vergangenen Jahren verändert?
Die Fronten sind verhärtet, das Spielerische lässt nach. Miteinander zu streiten, ist fast nicht mehr möglich, weil Verantwortliche selten ins Studio kommen. Sie blocken ab oder behaupten, wir würden lügen. Das finde ich schade. Man kann es auch sportlich nehmen – das ist unterhaltsamer und gewinnbringender für alle.
Sie moderieren die Sendung seit anderthalb Jahren: Warum passen Sie zum «Kassensturz»?
Weil ich mich getraue, Dinge zu benennen, und einen grossen Gerechtigkeitssinn habe. Und ich habe kein Problem damit, herzhaft zu streiten. Woher kommt das? Ich glaube, das ist einfach mein Wesen. Ich war schon immer so.
Also legten Sie sich schon als Kind mit Ihren Geschwistern und Eltern an?
Ich habe schon immer gern diskutiert. Das muss mein Umfeld aushalten – auch heute! Meine zwei Kinder müssen mit mir verhandeln, wenn sie etwas wollen. Aber ich bin offen für gute Argumente und kann nachgeben.
Sprechen die Leute Sie häufig an oder schauen gar in Ihren Einkaufskorb?
Ich weiss, solche Storys gibt es von Urs P. Gasche, Ueli Schmezer und anderen Vorgängern. Bei mir nicht. Privat bin ich ungeschminkt und werde kaum erkannt. Oder ich merke es nicht, weil ich im Laden den Tunnelblick habe. Bei mir muss es immer schnell gehen, damit ich heimgehen und kochen kann (lacht).
Konsum ist ein wichtiges Thema beim «Kassensturz»: Worauf achten Sie selbst beim Einkaufen?
Ich leiste mir Bio, das ist ein Privileg. Und ich verzichte auf Fleisch und kaufe möglichst frische Lebensmittel statt hoch verarbeitete.
Worüber ärgern Sie sich als Konsumentin am meisten?
Über den Überfluss! Ich glaube, wir müssen unseren Konsum reduzieren. Wir kaufen zu viel Schrott. Vieles brauchen wir nicht. Uns wird aber das Gegenteil eingeredet. Die Industrie macht das gut und clever. Es stört mich auch, wenn Firmen enorme Profite machen, aber die Menschen, die beteiligt sind, ausgebeutet werden – wie Pflückerinnen, Näher, Verpackerinnen oder Auslieferer. Das passiert zu oft.
Auch der Schweizer Schuhhersteller On machte jüngst Schlagzeilen in diese Richtung.
Eine tolle Recherche vom «K-Tipp»! Hohe Marge und ganz tiefe Einkaufspreise. Das finde ich problematisch. Aber On ist damit nicht alleine. Vielleicht wurde die Marke zu sehr gefeiert. Bei solchen «Darlings» bin ich immer skeptisch. Es scheint alles so toll, und dann ist da auch noch Roger Federer, den alle lieben. Aber es ist nicht immer Gold, was glänzt. Mich überrascht das nicht.
Sie waren zuvor vier Jahre Korrespondentin in Berlin. Was ist die grösste Veränderung für Sie?
Ich bin jetzt Teil einer Redaktion. Ich präsentiere nicht nur meine eigenen Geschichten. Das wissen die meisten Leute nicht. Viele denken, ich mache und bestimme alles. Aber als Moderatorin verkaufe ich die Beiträge anderer am TV. Ich bin Teil eines Teams. Als Korrespondentin war ich wie ein Satellit in der SRF-Umlaufbahn – und in Zürich war man froh, wenn ich lieferte und keinen Ärger machte (lacht).
In Berlin haben Sie sich ein Stück weit auch eine Berliner Schnauze zugelegt – sehr direkt. Hilft das beim Kassensturz?
(Lacht.) Im Gegenteil! Ich muss aufpassen und mich zusammenreissen. Hier erträgt man nicht so viel. Dieses Direkte ist sehr unschweizerisch.