Wenn der Postauto-Fahrer auf der engen Bergstrasse zum Fenster hinaus ruft: «Achtung, ich habe ein breites Fiidle», wenn er ein paar Meter weiter ein «Buurli» zum Rückwärtsfahren drängt («der kann das») – ja, dann ist der Klöntalersee nicht mehr weit.
Der künstlich gestaute See auf 848 Metern gehört zu den Edelsteinen der Glarner Ausflugsziele: wegen seiner smaragdgrünen Farbe, klar, aber auch weil man dort oben wunderbar baden, böötle und rudern kann. Oder Badminton spielen – wie Nina Burri, 43, und Marco Desimoni, 41, das tun.
Die Schlangenfrau und ihr neuer Freund stehen knietief im See. «Ich treffe nicht mal per Zufall», sagt Nina und fischt den Federball aus dem Wasser. Marco lacht, er hat früher auf hohem Niveau Badminton gespielt. Geduldig schlägt er ihr die Bälle zu – und sie schlägt sich nach ein paar Runden ganz wacker. Desimoni ist Glarner, er kennt die Gegend rund um den Klöntalersee von klein auf. Heute ist er zum ersten Mal mit seiner Freundin hier. Nina Burri, die Berner Balletttänzerin und Kontorsionistin, die mit ihrer spektakulären Beweglichkeit in ganz Europa auftritt – sie war noch nie an diesem Ort.
Seit neun Monaten sind Burri und Desimoni ein Paar. Kennengelernt haben sie sich über Facebook. Er gratulierte ihr letzten August zum Geburtstag. Sie sah auf seinem Profil, dass er in der Glarner Mundartband Weekaend spielt, fragte sich: «Müsste ich den kennen?» – und schrieb zurück. Es war der Startschuss zu einem dreimonatigen Nachrichten-Pingpong. Im November 2020 trafen sie sich zum ersten Mal.
Sie sagt: «Für mich war der Fall sofort klar.» Er sagt: «Ich war etwas vorsichtiger wegen meinen beiden Kindern – da muss vieles stimmen.» Sie knufft ihn in die Seite: «Heee, ich nehme dänk auch nicht den Erstbesten!» Mit über 40, fährt sie fort, sei ihr Rucksack voller als mit 20. Burri und Desimoni, der hauptberuflich als technischer Verkaufsberater arbeitet, waren beide schon verheiratet, erlebten Höhenflüge und Enttäuschungen.
Aber heute sind sie sich sicher: «Wir gehören zusammen.» Und das sieht man ihnen an. Für den Fotografen auf Kommando schmusen – nichts Leichteres als das. Und dass sie dann auch noch gut aussehen dabei, dafür sorgt Kameraprofi Burri mit allerlei Tipps. Burri und Desimoni lieben sich – und sie streiten sich. «Manchmal braucht es eine Explosion, damit man noch mehr zusammenwachsen kann», sagt der Glarner, den man sich fast nicht hässig vorstellen kann. Neben Nina, die ständig in Bewegung ist, oft laut herauslacht, ihm immer wieder ins Wort fällt, wirkt er wie ein Stein in einem tosenden Wildbach. Und wie es sich für einen Stein gehört, scheut er keine harten Ansagen. Schon beim ersten Date sagte er zu ihr, dass er keine weiteren Kinder mehr wolle. Sie schluckte leer. «Ich hatte die romantische Vorstellung, dass der nächste Mann in meinem Leben der Vater meiner Kinder würde», sagt sie – und man bewundert ihre Ehrlichkeit, ist die Kinderfrage doch für viele kinderlose Frauen um die 40 ein Tabu.
«Ich bin heute beweglicher denn je»
Burri kommt zum Schluss: «Mir hat bisher nichts gefehlt in meinem Leben.» Die Liebe für Marco sei deutlich stärker gewesen als ihr Kinderwunsch. Und mit seinen Buben versteht sie sich prächtig. «Sie waren von Anfang an sehr offen.»
Später nach dem Federball spielen sagt Nina bei einem selbst gebrauten Kaffee am Klöntalersee: «Ich kann mir gut vorstellen, zu Marco ins Glarnerland zu ziehen.» Sie trete ja sowieso immer an anderen Orten auf: «Da tut es gut, einen Anker zu haben.» Seit Corona grassiert, ist sie nicht mehr oft auf der Bühne gestanden. Und doch musste sie täglich vier Stunden trainieren, damit sie ihre Beweglichkeit nicht verliert. Burri ist mit 43 Jahren die älteste noch aktive Schlangenfrau der Welt. «Zwei Jahre mache ich das bestimmt noch», sagt sie, «und dann – mal schauen …» Nun – eine Badmintonkarriere wird sie wohl eher nicht anstreben. Aber wer braucht schon Glück im Spiel, wenn er Glück in der Liebe hat.