Die Aufregung bei den sechs Vertretern der drei Jugendorganisationen ist spürbar. «Wann kommt sie?», will Johanna von Young Enterprise Switzerland (Yes) wissen. «Es ist eine Ehre, eine ehemalige Bundesrätin zu interviewen», sagt Darius vom Forum Aussenpolitik (Foraus). Sobald Doris Leuthard, 56, die Treppe im Kultur- und Kongresszentrum Luzern hochschreitet und die Jungen mit einem Strahlen und einem entzückten «so viele Frauen» begrüsst, löst sich die Anspannung. «Wer will der Eisbrecher sein?», fragt sie. Jugendparlamentarierin Julia hält die Hand hoch. «Dann schiessen Sie mal los!»
Julia Niederberger, 20, Ebikon LU, Maturandin, Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ
Fehlt Ihnen Ihr Bundesrats-Amt?
Ehrlich gesagt: Nein. Gerade die Medien vermisse ich nicht (lacht). Als Bundesrätin kannst du keinen Schritt machen, ohne dass dich alle beäugen und jedes Wort auf die Goldwaage legen. Natürlich habe ich spannende Menschen getroffen. Doch diese Beziehungen kann ich weiter pflegen. In der neuen Rolle als Referentin wie hier am Europa Forum oder als Vermittlerin.
Johanna Lauber, 25, Sursee LU, Studentin Marketing HSG, YES
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Bundesrätin zurückschauen: Was würden Sie anders machen?
Als Bundesrätin musste ich von sieben Uhr morgens bis spätabends Entscheidungen fällen. Oft unter Zeitdruck, teilweise ohne alle Informationen zu haben. Es wäre nicht ehrlich, wenn ich sagen würde: Ich habe immer alles super gemacht. Bei grossen Departementen, wie ich sie führte, weiss man nie, was alles läuft. Wichtig ist: viel lesen und viele Leute treffen. Was ich heute vermehrt machen würde: die Wissenschaft miteinbeziehen. Um die Weichen für das Land zu stellen, muss die Regierung die Trends kennen.
Nathalie Nick, 22, Zürich, Studentin Maschinenbau ETH, YES
Mein Studiengang ist männerdominiert. Wie war das in Ihrer Karriere?
Als ich mit 34 Nationalrätin wurde, waren wir rund 25 Prozent Frauen im Parlament. Das war eigentlich noch schön. Wir fielen auf, die Männer wollten galant sein, einem die Tasche tragen. Als Wirtschaftsministerin dann war ich neben der Französin Christine Lagarde in Europa die einzige Frau. Das war nicht immer einfach. Dafür hatten wir Frauen eine tiefe Verbundenheit. Auch im Bundesrat erlebten wir eine andere Realität. Wenn unsere männlichen Kollegen schlafen gingen, machten wir noch die Wäsche (alle lachen).
Ihr Rat an uns?
Geht euren Weg. Oft sind wir Frauen besser vorbereitet und wissen mehr. Sorry an den Herrn in der Runde!
Hannah Riemann, 25, Trimbach SO, Praktikantin Foraus
Als deutsch-schweizerische Doppelbürgerin frage ich mich: Wieso ist die Schweiz so konsequent gegen einen EU-Beitritt?
Unser Weg von 1291 bis zum Bundesstaat von heute ist geprägt von sehr viel Auseinandersetzungen zum Föderalismus. Politisch mitbestimmen zu können, ist in unserer DNA verankert. Solange die EU nicht mehr Partizipation zulässt, etwa bei transnationalen Rechten, sehe ich keine Chance für ein Ja der Schweiz zur EU. Die Leute brauchen das Gefühl, etwas bewegen zu können.
Trotzdem geht nicht mal die Hälfte der Stimmberechtigten an die Urne!
Aber sie haben das Recht – das ist gefühlsmässig ein grosser Unterschied! Studien zeigen, dass viele nicht abstimmen, weil sie ein Urvertrauen in den Bundesrat haben (schmunzelt).
Leah Gutzwiller, 21, Solothurn, Berufsmaturandin, DSJ
Wie können wir die Mobilität in Europa nachhaltiger gestalten?
Bei den Autos ist die E-Mobilität ein grosses Thema. Bei Bussen und Lastwagen heisst die Technologie der Zukunft Wasserstoff. Der Flugverkehr wird wohl fossil bleiben. Und ich glaube nicht, dass eine Flugticketabgabe von 50 Franken die Leute vom Fliegen abhält.
Aber vielleicht mehr Nachtzüge?
Ich bin ja jetzt bei Stadler Rail. Auch weil es mir wichtig ist, den Zug besser zu positionieren. In Europa besteht da noch Handlungsbedarf. Ohne staatliche Subventionen gehts aber nicht.
Darius Farman, 26, Lausanne VD, Co-Leiter Europaprogramm Foraus
Klimawandel, Digitalisierung: Wir und die EU haben viele gemeinsame Probleme. Wie können wir uns als Nicht-EU-Mitglied besser an europäischen Debatten beteiligen?
Etwa mit Anlässen wie dem Europaforum! Apropos Digitalisierung: In Genf haben wir die Swiss Digital Initiative gestartet. Diese soll Unternehmen weltweit dazu bewegen, ethische Verhandlungsregeln zu übernehmen. In der Wirtschaft ist der Austausch einfacher als in der Politik. Da gehören wir einfach nicht zum Klub. Deshalb befremdet mich die Kritik an Reisen von Politikern. Diese sind nun mal nötig!
Ihr Leben nach dem Bundesrat scheint auch nicht langweilig zu sein.
An jene Leute, die kritisieren, dass ich mich jetzt wieder engagiere: Ich kann nicht nur Ferien machen oder jeden Tag joggen gehen. Mit meinem Erfahrungsschatz und Netzwerk will ich gestalten. Ich bin ja noch nicht 70!