Zoë Më (24) atmet tief aus, die Sonne strahlt ihr ins Gesicht. Anfang Woche wurde ihr ESC-Song «Voyage» enthüllt. «An jenem Tag gab ich rund 50 Interviews», sagt sie. Hier in ihrem Zuhause in Freiburg kann Zoë Anina Kressler, wie sie bürgerlich heisst, kurz durchatmen. Noch wohnt sie mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Geschwistern zusammen – ein harmonisches Miteinander, das sie als kreatives Paradies beschreibt.
Zu Besuch ist ihre beste Freundin, Musikerin Magali Dauth (30). «Der Song-Launch war intensiv», erzählt sie «Maggie», wie Zoë sie nennt. Ihre Kollegin nickt verständnisvoll: «Du machst das gut – mit Ruhe und Demut.»
Bei einer Tasse Tee können Magali Dauth (l.) und Zoë Më stundenlang plaudern. «Wir führen oft sehr tiefe Gespräche.»
david birriSportliches Sprachtalent
Die Ballade «Voyage» entstand im Rahmen eines ESC-Songwriting-Camps und ist auf Französisch – eine Sprache, die Zoë Më neben Schweizerdeutsch, Hochdeutsch und Englisch fliessend beherrscht. Zu verdanken hat sie dies ihrer bewegten Kindheit: Geboren in Basel, lebte sie einige Jahre in Deutschland, bevor sie mit ihrer Familie zurück in die Schweiz nach Freiburg zog.
Im Wohnzimmer entstehen viele ihrer Songs. «Zum Glück stört es meine Familie nicht», sagt Zoë Më und lacht
david birriDass sie einmal Musikerin werden würde, war nicht immer klar. Më spielte in der Juniorinnen-Volleyball-Nati und hatte mit ihrer Grösse von 1,80 Metern beste Voraussetzungen für eine Karriere im Spitzensport. Doch eine Fingerverletzung warf sie zu- rück, womit auch ihre Leidenschaft verschwand. «Es hat sich nicht mehr richtig angefühlt», sagt sie. Seither denkt sie kaum noch an den Sport. Eine Musikkarriere ist ihr grösster Traum – und dieser ist jetzt zum Greifen nah.
Volleyball spielt die Sängerin nur noch selten. «Für den ESC möchte ich aber wieder etwas fitter werden.»
david birri
Mit zehn schrieb sie ihren ersten Song, inspiriert von einem Besuch am Gurtenfestival. «Ich fand es krass, dass Leute die Songs der Bands kennen und mitsingen», erinnert sie sich. Heute summen nicht mehr nur ihre Liebsten ihre Melodien. 2024 wird sie als «SRF 3 Best Talent» ausgezeichnet und begeistert mit ihrer deutsch-französischen Musik ein stetig wachsendes Publikum.
Mit «Voyage» bringt sie eine Botschaft auf die ESC-Bühne. «Es ist eine Reise zu mehr Menschlichkeit», sagt sie. Ein stiller, poetischer Song. Ist das genug für den Eurovision Song Contest? «Mein Song hat sich gegen Hunderte andere durchgesetzt. Er gefällt also vielen – vor allem jedoch mir. Das ist die Hauptsache.»
Eigentlich wollte sie keine Online-kommentare lesen – ein Vorsatz, den sie nicht eingehalten hat. «Klar treffen mich negative Rückmeldungen, aber genau darum geht es in ‹Voyage›: Negativität bringt nichts.» Lieber fokussiert sie sich aufs Positive: «Jemand schrieb: ‹Du machst Céline Dion bestimmt stolz.› Das bedeutet mir viel.»
Zoë Më ist unsere Schweizer ESC-Hoffnung
«Ich kann nur gewinnen»
Die Messlatte liegt nach Nemos historischem Sieg im letzten Jahr hoch. Zoë Më bleibt gelassen. «Ich habe das Gefühl, ich kann nur gewinnen», sagt sie. «Ich darf in Basel auftreten, meiner Geburtsstadt. Ich stehe auf dieser Bühne mit einem Song, den ich selbst geschrieben habe. Von diesem Erlebnis werde ich noch sprechen, wenn ich 80 bin!»
Die emotionale Unterstützung ihres engsten Kreises ist ihr sicher: Eltern, Geschwister und Freunde reisen mit in die Rheinstadt. Auch Magali Dauth will Zoë Mës grossen Auftritt in Basel miterleben – schliesslich musizieren sie oft zusammen. «Ich finde es schön, Zoë auf ihrem Weg begleiten zu dürfen, und bin extrem stolz auf sie.» Nun bleibt nur noch ein Hindernis: die begehrten Tickets. «Selbst mein Freund hat noch keins», sagt Zoë Më. Ihre Liebesbeziehung will sie privat halten. Nur so viel verrät sie: «Er ist aus Freiburg, und wir sind seit fast einem Jahr ein Paar.»
Auch aus der ESC-Welt bekommt sie Rückhalt. «Gjon’s Tears, der die Schweiz 2021 vertreten hat, gibt mir Tipps. Wir sind schon lange befreundet.» Auch mit Remo Forrer tauscht sie sich aus, und Nemo hat ihr gratuliert.
Eine Künstlerin, die zuhört
Die Sängerin verlässt sich nicht auf den Support anderer – sie weiss selbst genau, wer sie ist. Zoë Më beschreibt sich als optimistisch, kreativ und fürsorglich. Ihr Künstlername spiegelt das wider: «Zoë» ist Griechisch und bedeutet Leben, «Më» ist das japanische Wort für Auge. «Das passt, denn ich schaue das Leben genau an.»
Zoë Më ist weder Rampensau noch graues Mäuschen. «Ich bin eine ruhige Extrovertierte.» Ihr Song ist kein Feuerwerk, kein typischer ESC-Banger – aber das soll er auch nicht sein. «Was ist überhaupt ein typischer ESC-Song?», fragt sie. «Beim ESC werden Superlative gesucht – maximal Party, maximal laut oder maximal berührend. ‹Voyage› ist maximal berührend.»
Für den ESC arbeitet die Singer-Songwriterin mit einem kreativen Team zusammen. Was sie wohl anziehen wird?
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Diese Emotionen sollen in Basel live spürbar sein. Neben der Musik spielt für Më die Ästhetik eine grosse Rolle. Für den ESC arbeitet sie mit einem kreativen Team zusammen, das ihre Looks entwirft. «Was ich bei den Presseterminen trage, gibt schon einen Vorgeschmack auf meine Show», verrät sie.
Noch wenige Wochen bis zum ESC. Noch ein paar ruhige Momente. Dann beginnt ihre grösste Reise.