Es sei erstaunlich, wie schnell man wieder in den Alltag finde, sagt Sven Schelker, 29, bei einem Bummel über die Reeperbahn. Seit sieben Jahren lebt er in Hamburg, pendelt zwischen der Bühne des Thalia Theaters und Filmsets auf der ganzen Welt.
Vier Monate verbringt er am aufregendsten Drehort seiner Karriere: in Borneo, mitten im Regenwald. Die Rolle des vor 19 Jahren im Dschungel verschwundenen Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Bruno Manser im diesjährigen Eröffnungsfilm des ZFF ist eine riesige Herausforderung für ihn. Nicht nur wegen der Hitze und Luftfeuchtigkeit am Drehort.
Vor allem sei es schwierig, jemanden darzustellen, der tatsächlich gelebt hat. «Mir ist wichtig, dass man versteht, dass meine Rolle eine Interpretation ist. Ich versuche nicht, Bruno Manser zu kopieren», sagt Sven Schelker. Das gelte insbesondere für Mansers Familie, mit der er in der Vorbereitungsphase «einen sehr schönen, herzlichen Austausch hatte».
Ebenso herzlich ist das Verhältnis zu den Penan. Tatsächliche Angehörige der bornesischen Volksgruppe, mit der Bruno Manser lebte, wurden für die entsprechenden Rollen gecastet. «Die erste Begegnung mit ihnen war extrem aufregend», erinnert sich Sven Schelker.
«Die Älteren haben Bruno Manser alle gekannt, die Jüngeren kennen die Legende.» Die Kommunikation ist nicht einfach, kaum ein Penan spricht eine andere Sprache als die eigene. In dieser ist gut die Hälfte des Filmskripts verfasst. Sven Schelker lernt es zusammen mit Penan-Schauspieler Nick Kelesau, der Englisch spricht. «Er las mir die Sätze vor, sodass ich die Betonung einigermassen mitkriegte. Dann büffelte ich klassisch mit auf beiden Seiten beschriebenen Kärtli.»
Für Sven Schelker folgen Wochen im Lendenschurz, barfuss, ohne Handyempfang, dafür mit diversem Getier auf dem Set. Und mit sehr eingeschränktem Speiseplan. «Reis, Reis und nochmals Reis! Ich habe nachts von Laugengipfeli und Orangensaft geträumt», erzählt er lachend. Ab und zu gehts per Pick-up in ein Restaurant in einem nahe gele genen Dorf, in dem es Nudeln und Eistee gibt. Und Empfang. So kann die Crew alle paar Wochen mal zu Hause anrufen.
Sven Schelker bekommt sogar Besuch: Sein Vater, ein Umweltingenieur, verbringt drei Wochen im Dschungel. «Ein ganz spezielles Erlebnis für uns beide.» Natürlich sei er, unter anderem durch den Beruf des Vaters, schon vorher für Umweltthemen sensibilisiert gewesen, sagt Schelker. «Aber die Zerstörung des Regenwaldes vor Ort so hautnah zu erleben, fährt schon nochmals anders ein.»
So erhofft er sich denn auch, dass das Kinopublikum etwas Kritik an sich selbst übt. «Wir müssen unsere Ignoranz gegenüber den Folgen unseres Konsumverhaltens hinterfragen – da schliesse ich mich selbst nicht aus.» Das Argument, ein Einzelner könne nicht viel ausrichten, zähle nicht. «Im Film ‹Cloud Atlas› gibt es folgenden Dialog: «Das ist doch nur ein Tropfen in einem Ozean.» – «Was ist denn ein Ozean, wenn nicht eine Vielzahl von Tropfen?»
Sven Schelker selbst versucht das Fliegen – so gut es geht – zu vermeiden und fährt Zug. Ein Auto hat er nicht. «Ausserdem esse ich viel weniger Fleisch als früher.» Trotzdem schleicht sich auch bei ihm ab und zu der morgendliche Kaffee-Pappbecher in den Alltag.
Dieser ist zuweilen genauso hektisch wie vor dem «gigantischen Erlebnis» des Drehs in Borneo. Aber heute hält er auch mal inne und denkt an die Worte eines jungen Penan: «Er sagte mir, sein Ziel im Leben sei es, niemals von Geld abhängig zu sein. Denn alles, was ihn glücklich mache, habe er im Regenwald.»