Viele haben ihn als das Aargauer Ausnahmetalent in Erinnerung, das 2013 am Barren in Moskau die Silbermedaille für die Schweiz holte: Lucas Fischer (34). Zwei Jahre später zog er sich aus dem Spitzensport zurück. 2018 outete er sich als homosexuell. Heute, sechs Jahre später, kann Lucas Fischer (34) endlich er selbst sein. «Ich bin angekommen und kann mich frei ausleben», sagt er im Gespräch mit Blick. Hinter ihm liege eine turbulente Reise: «Ich stand vor meinem Outing im Fokus der Medien und hatte Angst, mich auszuprobieren, weil ich nicht von jemand anderem geoutet werden wollte. Ich war ja immer noch in der Findungsphase. Das war sehr schwierig für mich.» Doch inzwischen ist Ruhe in sein Privatleben eingekehrt – er fand sogar sein Glück in der Liebe: «Ich bin verliebt, mehr will ich aber nicht verraten.»
Auch beruflich läuft es für Lucas Fischer rund. Jüngst hat der Aargauer seine Single «What They Say» (2024) veröffentlicht, mit der er anderen Menschen in ähnlichen Lebensphasen Mut machen möchte. «Es ist egal, wie lange man hat, um sich zu finden. Es ist nur wichtig, dass man sich treu bleibt.» Die Queere-Hymne des Jahres, wie sein Song von «Queer.de» beschrieben wird, appelliert an Nächstenliebe: «Jeder Mensch hat seinen Platz auf dieser Welt.»
«Ich habe mich schon als Kind gerne als Frau verkleidet»
Ein Thema, das Fischer sehr am Herzen liegt. «Ich habe mich früher immer versteckt.» Fischer sei schon von klein auf ein emotionaler Mensch gewesen und habe seine Gefühle auch gezeigt. «Ich habe in der Vergangenheit zu spüren bekommen, dass das nicht in den Sport gehört. Das Bild von einem Mann im Spitzensport war damals noch ein anderes.»
Im Musikvideo zu «What They Say» tut er, was er liebt: Er singt und verbindet seine Leidenschaft zur Musik mit der zur Akrobatik. Er trägt einen Rock, Highheels, Hosen und Croptops – ungeachtet von der damit assoziierten Geschlechteridentität. «Ich habe mich schon als Kind gerne als Frau verkleidet», offenbart er Blick. «Heute ist es keine Verkleidung mehr, sondern Teil meiner Identität und Kunst. Und trotzdem fühle ich mich dabei als Mann.» Kritische Blicke auf der Strasse können Fischer nicht davon abhalten, seine «feminine Seite» auszuleben: «Ich kann darüber stehen. Hauptsache, ich stehe zu mir und bin glücklich.»
«Ich könnte mir vorstellen, beim ESC mitzumachen»
Im nächsten Jahr kommt der Eurovision Song Contest in die Schweiz. Eine Chance für Fischer? «Ich könnte mir vorstellen, beim ESC mitzumachen. Allerdings weiss ich nicht, ob ich dafür bereit wäre», gibt er offen zu. Grundsätzlich ist der Sänger ein grosser Fan des Events: «Ich finde die Veranstaltung grossartig. Schon lange ist die Veranstaltung ein buntes Treffen, egal ob queer oder nicht, alle Menschen sind genauso, wie sie sind willkommen und das ist schön zu sehen. Ich hoffe, dass diese Offenheit und Akzeptanz, irgendwann überall auf der Welt ankommt und gelebt wird!»
Ob sich Lucas Fischer letztendlich für den grössten Musikwettbewerb Europas bewirbt, bleibt offen – aber: «Ich würde einen Song schreiben wollen, der einen Impact hat und auf der Bühne richtig Gas geben – auf meine eigene Art, aber mit ähnlicher Energie wie Nemo. Das wäre ein Traum!»
Eine Schwierigkeit sieht der Künstler allerdings jetzt schon: «Viele stempeln mich noch als Ex-Turner ab. Sie sehen gar nicht, was ich derzeit mache, weil sie ein Vorurteil haben.» Seine Vergangenheit als Sportler will der Aargauer aber nicht ablegen, sondern diese akrobatische Kunstform weiterhin als einzigartiges Stilmittel in seine Performance integrieren, die so wandelbar ist wie Fischer selber, der sagt: «Wir sollten nicht immer am Altbewährten festhalten, sondern auch ein Risiko eingehen.»