Kurze Fransen, dezentes Make-up und das strahlende Lächeln einer Siegerin: Im Jahr 2000 wird die 19-jährige Mahara McKay zur Miss Schweiz gekrönt – und über Nacht berühmt.
Das ist 20 Jahre her. Statt Make-up ziert das rote Bindi Maharas ungeschminktes Gesicht. «Es gehört zu meinem Morgenritual. Beim Bemalen meines dritten Auges finde ich meine innere Ruhe, danke für das, was ich habe, und bitte um Klarheit für den Tag.» Aus der einstigen Schönheitskönigin ist eine Lehrerin der tantrischen und schamanischen Kunst, der Meditation und des Yoga geworden. Aber was heisst geworden? Die 39-Jährige ist nach einem Umweg wieder bei ihren Wurzeln angelangt. «Ich spüre heute mehr Ruhe, Vertrauen, Selbstsicherheit, Energie und totale Zufriedenheit. Wenn ich unterrichte, fühle ich mich in meinem Element.»
Spiritualität begleitet die Tochter einer Aargauerin und eines Maori – ein Angehöriger des indigenen Volkes von Neuseeland – seit je. In der Heimat ihres Vaters verbringt Mahara ihre frühe Kindheit. Ältere Mitglieder der Maori-Gemeinschaft sagen dem stillen und ruhigen Mädchen, sie habe eine alte Seele. Mahara – auf Maori «Erinnerung» – verfügt über eine Gabe: Im Alter von vier Jahren erzählt sie ihrer Mutter, dass sich der Grossvater bei ihr im Traum verabschiedet habe. Da klingelt das Telefon: Der Grosspapi ist gestorben. Als Zehnjährige zieht Mahara mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in die Schweiz. «Hier fühlte ich mich nicht mehr so eng mit der Natur und der Spiritualität verbunden.»
In der Schweiz absolviert sie eine Lehre als Dekorationsgestalterin. Nach dem Abschluss wird sie 2000 zur Miss Schweiz gekürt. Sie modelt, designt Kleider, produziert Musik und arbeitet zehn Jahre als DJane im In- und Ausland. Sie lebt ihre Kreativität auf verschiedene Arten aus – bis sie sich 2013 auf eine Weltreise begibt. Auf den Fidschi-Inseln widmet sich Mahara intensiv der Atmung und Meditation, erlebt Erleuchtungen und Klarheit bezüglich «den Prägungen», die ihr auferlegt worden seien. «Unser Denken ist so ungesund – nur schon unser Umgang miteinander und mit der Natur, mit Selbstpflege, Liebe und Sexualität.» Nach der Weltreise beschliesst Mahara, nach Neuseeland auszuwandern und Meditation zu unterrichten. «Ich war so fasziniert, was ich durch meinen Atem und Meditieren erleben konnte, dass ich dies auch anderen ermöglichen wollte.»
Mahara McKay beginnt mit Achtsamkeitstrainings bewusst ihre Prägungen zu erkennen, die sie von Eltern, Lehrern und Gesellschaft mitbekommen hat. «Und da ich nach meinen Schattenseiten gesucht habe, fand ich jede Menge davon», sagt sie und lacht. Mit ihrem damaligen neuseeländischen Freund habe sie ihre «schwierigste, aber dankbarste Beziehung» geführt. Das Paar streitet oft. Sie hinterfragt ihre Reaktionen – und findet dabei die Wahrheit über sich selbst: «Ich war erstaunt, dass jeder Streit wegen mir war. Es war nie seine Schuld. Wenn du anfängst, die Fehler bei dir selbst zu finden statt bei den anderen, dann hast du einen grossen Schritt bereits gemacht.» Danach gehe es darum, herauszufinden, woher die Reaktion kommt. Ob man damit leben oder umgehen könne, sodass es einem selbst, dem Partner und der Beziehung nicht schadet. Findet sich keine Lösung, gelte es, loszulassen. So wie es Mahara mit der damaligen Beziehung tat.
Ungesundes Loslassen und dabei das Wahre für sich selbst finden, darum gehts Mahara auf ihrem persönlichen und beruflichen Weg. Auch wenn dieser steinig und manchmal schmerzvoll sei, wie bei der Aufarbeitung des mehrfachen sexuellen Missbrauchs in ihrer Jugend. «Doch wenn ich mich mit den unangenehmen Gefühlen konfrontiere, genau hinhöre und etwas dagegen unternehme, folgt eine grössere Zufriedenheit und noch mehr Glück. Als würde das Universum mich belohnen.» Denn dank ihrer heutigen Arbeit sei ihr klar geworden, dass Wut, Trauer oder Ärger nichts Schlechtes seien. «Es ist nur schlecht, wie wir damit umgehen, wenn wir versuchen, zu kontrollieren oder zu unterdrücken.» In ihren Seminaren lehrt sie ihre Schüler, wie sie mit negativen Emotionen umgehen und die Energie in Liebe oder gar Vergebung umwandeln können. «Wenn wir wütend sind, ist es ein guter Wegweiser. Im tiefsten Schmerz liegen glasklar die Antworten.»
«Es geht darum, ehrlich zu mir und zu anderen zu sein»
Mahara hat viele Jahre an sich gearbeitet. «Ich musste 33 werden, bevor ich mich selbst vollkommen liebte. Heute bin ich 39 und wünschte, ich hätte viel früher, schon als Kind, diese Lebensschule erlernen dürfen.» Mahara liebt es, mehrtägige persönliche Entwicklungskurse anzubieten, aber auch selbst Schülerin zu sein. «In Indien fühle ich mich immer wie ein Kind im Bonbon-Lädeli: Meditation, Pranayama (Atmung), Chakras, Mantras, Watsu, Buddhismus, Schamanismus und Tantra – das Leben ist so spannend.» Dabei ist es ihr immer wichtig zu sagen, dass es bei Tantra nicht um Sex geht, sondern vielmehr um Liebe, Dankbarkeit und Wahrheit – eine konstante Meditation. «Leider sind viele Tantra-Seminare nur auf das eine fokussiert, weshalb es einen schmuddeligen Ruf bekommen hat.» Sie selbst erlebe und erreiche durch Meditation, ekstatisches Tanzen und tiefe Atmung eine Stille, in der weder Sorgen, Bedürfnisse noch Ängste Platz fänden. «Als würde ich nicht in meinem Körper existieren, sondern mit allem verschmelzen und eins werden – ein unglaublich schönes Gefühl», sagt sie. «Aber die Meditation ist kein Ausweg aus dem Leben, sondern eine Rückkehr zu unserem wahren Sein.» Statt seine Leere mit Dingen von aussen zu füllen, lasse man los, was einem nichts bringt. Reich im Sein statt reich an Besitz.
Offiziell lebt Mahara noch immer in Neuseeland. Zu Hause ist sie aber an vielen Orten. Seit drei Jahren hält sie Seminare auf der ganzen Welt und an Festivals. Vor einem Jahr, während langen Telefongesprächen, verliebt sie sich in Eloise – eine Frau. «Ich merkte, dass mein Kopf sie anfangs ablehnte, nur weil sie in einem Frauenkörper steckt. Dabei habe ich durch mein Verhalten gemerkt, dass ich fasziniert bin von ihr.» Schliesslich kann Mahara auch öffentlich zu ihrer Liebe stehen. «Das war ein Riesenschritt für mich», gesteht sie. «Einerseits habe ich so anerkannt, dass ich mir oft selber im Weg stehe und vieles sich nur im Kopf abspielt. Andererseits konnte ich meine Angst, was andere über mich denken, loslassen.»
Mahara McKay ist sich bewusst, dass ihre Art zu leben und zu lieben in der schweizerischen Kultur aneckt. «In meiner Arbeit geht es darum, ehrlich zu mir und zu anderen zu sein.» Doch das brauche oft Mut und Verständnis. Sie spüre aber auch, dass die Menschen in der Corona-Krise offener geworden seien, sich mehr hinterfragten. Vor Kurzem etwa lehrte sie in einem mehrtägigen Kurs, wie man die beste Version von sich selber werden kann anhand der tantrischen und schamanischen Kunst. «Ich will Leute inspirieren, ihre innere Freiheit zu finden, Beobachter von sich selbst zu werden, statt Energie an andere zu verschwenden.» Das findet Anklang. Ihre Kurse in der Schweiz sind ausgebucht, und die Nachfrage ist so gross, dass sie im November wiederkommen möchte. Sie weiss: «In einer Leistungsgesellschaft wie der Schweiz, in der viele dem Geld und Äusserlichkeiten hinterherrennen, ist es viel schwieriger als unter Gleichgesinnten.» Deshalb baut sie mit ihrer Freundin in Portugal ein «House of Healing Arts» auf. Mahara McKay will einen Ort schaffen, in dem sie nicht nur Kurse, sondern auch ein Leben in der Gemeinschaft anbieten kann.