Ein Läbiger als Gegenstand in einem historischen Museum? Die Idee mutet skurril an – fast so skurril wie viele Texte und Geschichten von Franz Hohler, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feiert. Aber so schräg ist die Idee eben nur auf den ersten Blick: Denn der Kabarettist ist eine Figur der Zeitgeschichte, prägend, beobachtend und kommentierend; bei allem dabei, was die Schweiz in den letzten Jahrzehnten umgetrieben hat. Mit Worten und Taten hat er sich eingemischt, mit der feinen Klinge gekämpft, Lacher produziert, aber auch leeres Schlucken. Und nun liegen Memorabilien seines Lebens aufgereiht in hölzernen Gestellen im Dachstock des Historischen Museums in Olten SO.
Der Cellokasten thront hoch und mächtig in diesem Sammelsurium des Lebens. Das Cello selber steht gut behütet in der Villa Alpina in Zürich Oerlikon, wo Franz Hohler seit 45 Jahren mit seiner Frau Ursula wohnt. 100-jährig wird es nächstes Jahr. «Mein Grossvater, ein Verdingbub, hat es mit 42 Jahren gekauft, hier liegen die Abzahlungsbelege», erzählt er und zeigt auf kleine Postquittungen für jeweils 50 Franken.
Aber erst er, der Enkel, habe darauf gespielt, denn als sein Grossvater mit dem mächtigen, so sehr ersehnten Instrument zur ersten Stunde ging, beschied ihm der Musiklehrer, dass seine Hände zu klein für das Cellospiel seien. Doch welch ein Leben dem Instrument beschieden war, als es in die Hände von Franz gelangte! Im ganzen deutschsprachigen Raum wurde es gespielt, in kleinen Kellern und grossen Sälen, es reiste in die USA und erreichte über Fernsehstudios Hunderttausende von Stuben.
«Kein anderer Schriftsteller hat so viele Kilometer mit dem Cello auf dem Rücken zurückgelegt wie Franz Hohler, und kein Cello durfte so oft Bahn fahren (1. Klasse) wie seines», schreibt der Schriftsteller Silvio Blatter im Wendebuch «Franz und Hohler. Olten gratuliert zum Achtzigsten», das Hohler von den Museen Olten übergeben wurde. Es ist Ausstellungskatalog und Jubiläumsschrift in einem. Olten feiert seinen «Sohn» mit gleich drei Ausstellungen in verschiedenen Museen. Mitgemacht haben renommierte Kunstschaffende wie Pipilotti Rist oder Roman Signer. Das Buch beweist: Kaum ein anderer Schweizer Künstler hat derart tiefe Spuren hinterlassen.
Kabarettist, Musiker, Schriftsteller, Mahner, Kritiker, Aktivist: Franz Hohler hat mit allen Mitteln für seine Überzeugungen gekämpft. «Ich hatte im-mer viel Fantasie, schon als Kind. Und das gab mir die Vorstellungskraft, wie die Welt sein könnte», erklärt er. Er hat sich für Dienstverweigerer eingesetzt, für den Umweltschutz, für eine menschliche Asyl- und Drogenpolitik, gegen AKW, für die Freiheit der Kunst.
Wieso dieses Einmischen in kontroverse Themen? Sie hätten ja einfach nur lustig sein können.
Franz Hohler: Die Fantasie steht mit der Realität oft in einem Riesenkonflikt. Wer Vorstellungskraft hat, kann sich ausmalen, wie es wäre, wenn es gut wäre. Ein Einzelner kann den Weltlauf nicht ändern. Ich wollte meinen Beitrag zur Meinungsbildung leisten.
Sie wurden wegen Ihren klaren Stellungnahmen angefeindet.
Durch viele meiner Programme und Lieder machte ich Konflikte sichtbar. Eine Weile war ich etwas bissig. Ich war das, was man damals als «e linke Brueder» bezeichnete. Der Nachrichtendienst erstellte eine Fiche, ich gehörte zu einer Minderheit. Aber schauen Sie doch: Wir kämpften gegen AKW, weil das Problem des Abfalls nicht lösbar ist. Es brauchte dann die Katastrophe von Fukushima 2011, und unsere Meinung wurde zur Mehrheitsmeinung.
Sie sprechen viel von Fantasie. Woher diese unbändige Kraft, Geschichten zu erfinden?
Meine Eltern waren Lehrer, hatten eine grosse Bibliothek. Daraus bediente ich mich. Mein Bruder und ich haben dauernd gespielt. So hatten wir eine Post im Haus und lieferten Briefe und Päckli zu verschiedenen Tarifen aus. Eine Expresssendung vom Estrich in den Keller kostete am meisten.
Schon als achtjähriger Bub zeichnete Franz Hohler Comics. Er schrieb Geschichten, Briefe an die ganze Verwandtschaft, notierte in Heften aber auch Fussballresultate, die er mit Zeichnungen der entscheidenden Szenen illustrierte. Oder er hielt Folgendes zu einem Jass fest: «In 7 Partien Hans und Ruth Hohler – Anna und Julius Hohler gewannen Ruth und Hans Hohler 4:3.» Das muss am gleichen Tag gewesen sein, als «Radfahrer Nötzli von Oekers und Marinelli eingeholt wurde» – illustriert mit den gezeichneten drei Radfahrern. Die im Muse-um ausgestellten Schulhefte und Notizen offenbaren grenzenloses Interesse an der Welt. Mitgespielt haben mag dabei, dass Franz Hohler als Kind an einer Blutkrankheit litt und lange im Spital war.
Wie haben Sie lesen gelernt?
Ach, das darf ich fast nicht sagen. Wir zählten als Kinder die Autos, die bei uns durchfuhren, und ich lernte mit den Kantonsbezeichnungen die Buchstaben und damit das Lesen.
Wenn Sie mit 80 auf diesen kleinen Franz schauen, mögen Sie ihn?
Etwas ist komisch: Wir sprechen immer in Ich-Form. «Als ich sechs war, als ich 14 war», doch das waren ja noch gar nicht die Personen, die wir heute sind. Aber ja, ich mag den Buben von damals. Seine Neugier auf das Leben gefällt mir.
Sie haben sich als Künstler voll ausgelebt. Gibt es etwas, das Sie bedauern?
Ich hätte gern mehr fürs Theater geschrieben. Aber entweder gehörte man dort dazu oder eben nicht.
Franz Hohlers Stimme ist hypnotisch. Nicht nur, wenn er das «Totemügerli» zum Leben erweckt. Man lehnt sich zurück, möchte stundenlang nur zuhören. Das mag daran liegen, dass die-se Stimme Generationen von Schweizerinnen und Schweizern schon ein Leben lang begleitet: als Vorleser seiner legendären Tschipo-Kinderbücher. Und als Franz im «Spielhaus» (zusammen mit René Quellet), der Kindersendung, die von 1972 bis 1994 im Fernsehen lief.
Der Schriftsteller Alex Capus schreibt: «Für meine Generation gibt es nur einen Franz. […] Franz war immer schon da. Er war immer unser Freund. Schon als wir noch Kinder waren.» Stark, gescheit und freundlich sei er gewesen. «‹Ig bi dr Franz›, sagte er jedes Mal zu Beginn der Sendung. Also merkten wir uns das. Das war also der Franz.» Das habe überdauert bis ins Erwachsenenleben hinein. «Wir kannten Franz. Er war schon immer unser Freund gewesen. Wir wussten, dass er die Wahrheit sprach», so Capus im Wendebuch.
Vor einigen Monaten hat das Schweizerische Jugendschriftwerk (SJW) ein neues Heft mit einem Hohler-Text aufgelegt: «Der Weltuntergang» heisst die Ballade, die damit beginnt, dass auf einer Insel im südlichen Pazifik ein Käfer verschwindet. Damit wird die Spirale zur Ausrottung der Arten, zum Steigen des Meeresspiegels und schliesslich zum Weltuntergang eingeläutet. Die Geschichte ist so aktuell wie beklemmend.
Sie haben diese Ballade vor 50 Jahren geschrieben …
… und ich trage sie immer noch vor! Der Text ist eine poetische Version des Berichts des Club of Rome zur Zukunft der Menschheit. Man sah den Klimakollaps voraus, wir haben alles gewusst.
Sind Sie es müde, immer wieder zu mahnen und zu warnen, sich einzumischen und laut zu werden?
Ich würde nicht sagen, dass ich unter Altersresignation leide. Das nicht. Aber ich fühle mich immer weniger als Akteur, sondern werde mehr und mehr zum Zuschauer.
Die Welt von Franz Hohler sind Verspieltheit und Poesie, in der sich harte Wahrheiten verbergen. «Es ist eine Universalsprache, die überall verstanden wird», ist er überzeugt. Was er zu sagen hat, packt er heute in Bücher. Das grosse Buch, aus dem er Kindergeschichten vorliest, liegt aber immer noch bereit. Erst muss er jetzt einfach seinen Rücken wieder auf Vordermann bringen, der schmerzt und muss operiert werden. Das ist zum Glück kein Weltuntergang.