Hubert Spiess (58) hatte nie geplant, nach Elbigenalp zurückzukehren. Als junger Erwachsener hat er das Tiroler Dorf verlassen und ist ins grössere, offenere Innsbruck gezogen. Nun steht er mit Partner Erich Vock (61) in der Stube ihres liebevoll umgebauten Eigenheims in Österreich. In dieses hatten sich die Theaterproduzenten («Die kleine Niederdorfoper») vor Jahren verliebt. «Es ist ein fürs Lechtal typisches Bauernhaus», sagt Spiess. «Alle sind gleich angelegt – rechts vom Eingang die Stube mit Kommode, dahinter die Küche.» An den Decken Stuckaturen, für die das Tal bekannt ist.
Noch wohnt das Paar arbeitsbedingt in Zürich. «Aber ich spreche schon öfters vom Auswandern», gesteht Erich Vock. Wann immer es die Proben zu ihrem aktuellen Bühnenstück «Stägeli uf – Stägeli ab» mit Liedern von Artur Beul (ab 25. Mai im Theater 11, Zürich) zulassen, fahren die zwei mit Mischlingshündin Pata die 230 Kilometer von Zürich ins Lechtal. 2005 haben die Schauspieler das geschichtsträchtige Gebäude erwerben können. Vorbesitzerin Hanni, eine Bäckerin, hatte keine Nachkommen, weshalb es ihr wichtig war, ihr Haus «mit allem» – aber mit Wohnrecht auf Lebenszeit – zu verkaufen. «Als ich ein Kind war, wars noch eine Bäckerei», erinnert sich Spiess, «und zuvor wohl einst eine Gerberei.» Zudem gehörte eine Krämerei zum Gebäude aus dem 18. Jahrhundert. «Hier bekam mein Vater seine allererste Loden-Pelerine. Wohl das ganze Lechtal stand schon in diesem Haus.»
«Ich hatte schon ein bisschen Bammel, nach Hause zu kommen»
Hubert Spiess
Vom Krämerladen, der heute als Speisezimmer dient, zeugen noch die alte Ladentür mit Klingel und das Schaufenster. Dieses gestalten Erich Vock und Hubert Spiess jeden Monat thematisch neu – und immer mit einem Foto von Hanni. «Das tun wir im Andenken an sie und für die Leute, die sie gekannt haben», erklärt Vock. Als Hanni 2017 starb, begann das Paar mit der Planung des Umbaus. Von Anfang an ist es den Auftraggebern wichtig, «so viel wie möglich zu erhalten, und Abreissen ein absolutes No-Go!» Auch von Aussagen wie: «Das ist nicht möglich» lassen sie sich nicht beirren.
«Jede Stube hat immer auch den Herrgottswinkel», erzählt Spiess im Frühstücksraum und weist auf die entsprechende Stelle beim Esstisch hin. «Doch bei uns ist es die Engeli-Ecke», präzisiert Vock. Die Kreuze, die einst jeden Raum ihres «Bäckinnenhauses», wie sie es nennen, zierten, haben sie aber behalten und mit den Devotionalien eine Wand im ersten Stock gestaltet.
Beide sind katholisch aufgewachsen: Spiess unweit von hier im Hotel Post, das heute sein Bruder führt – Erich Vock in Baden AG, wo seine Mutter Abwartin des Verwaltungsgebäudes Klösterli war. Von ihren Kindheitsorten sowie von ihrem langjährigen ehemaligen Zuhause an der Zürcher Bertastrasse haben sie im renovierten Daheim Überbleibsel wie Türfallen wiederverwendet. Das Paar liebt Erinnerungsstücke und hat über die Jahre einen Trouvaillen-Fundus angesammelt. «Schon im Alter von neun Jahren habe ich ein antikes Lavabo mit Warm- und Kaltwasserarmatur aus dem Klösterli vor der Entsorgung gerettet», sagt Vock. «Und nun, 52 Jahre später, hat es seinen Platz in einem unserer Badezimmer gefunden – und funktioniert! Das ist doch toll», meint Partner Hubert.
«Während der Pandemie hatten wir viel Zeit, das Haus so schön zu gestalten»
Erich Vock
Auf den 360 Quadratmetern, zu denen auch eine ausgebaute Tenne gehört, gibts ein Doppelzimmer – ihr Schlafgemach –, drei Einzelzimmer, eine Suite, drei Hundekörbchen, vier Bäder. Wo einst der Saustall war – «alle hatten früher Viecher», sagt Spiess –, stehen nun ein Kaltwasserbad aus einem Waschtrog, ein Dampfbad und eine Sauna. Die Erholungsliegen bieten durch die Glasfront Blick auf Berg und Tal sowie auf den Garten. «Es ist sozusagen unser Wellness-Daheim», sagt Vock.
Vor 30 Jahren haben sich Hubert Spiess und Erich Vock ineinander verliebt. Vor 20 Jahren liessen sie ihre Ehe eintragen. Und nun können sie diesen Sommer endlich auch offiziell den Bund fürs Leben eingehen. Fürs Fest fahren sie dann mit der Hochzeitsgesellschaft im Car nach Elbigenalp. Der Apéro-Empfang findet in ihrem Schmuckstück statt, das Essen im Speisesaal der «Post».
«Dieses Haus ist gemacht, um Gäste zu empfangen», erklärt Vock. Nicht nur gibts genügend Schlafzimmer, sondern auch gemütliche Räume fürs Beisammensein. Im Wohnzimmer, der ehemaligen Backstube, umrahmen mehrere mit bunten Stoffen neu bezogene Sessel das Herzstück: den Hängekamin. «Wir feuern jeden Abend ein und geniessen unseren Apéro, der hat Tradition.» Das Feuerholz befindet sich in einer Truhe, in der früher die Bäckerin den Teig aufgehen liess. In einer Wandnische steht die Tiroler Volksheilige Notburga, Patronin der Dienstmägde und der Landwirtschaft. «Und das ist das Klavier, auf dem ich gelernt habe. Mein Vater wollte es wegschmeissen», sagt Vock und hebt den Klaviaturdeckel. «So habe ich 1993 eine Bar daraus gemacht – nur kurz bevor ich Hubert traf.»
«Die Einheimischen haben Freude daran, was wir aus dem Haus gemacht haben»
Erich Vock und Hubert Spiess haben in ihrem österreichischen Daheim nicht nur viel erhalten oder wiederverwendet, sondern auch einiges wiederher-gestellt. Unter den Farbschichten liessen sie nach den ursprünglichen Wandverzierungen suchen und diese rekonstruieren. «Es wurden früher keine Tapeten verwendet, sondern Muster aufgemalt», sagt Spiess. Auf dem Dachstock, wo die Magdkammer war, zeigt eine gerahmte Inschrift, dass hier vom 24. Dezember 1925 bis 1. März 1932 eine Agnes Krabichler diente. «Den Malern habe ich zigmal gesagt, dass sie diese Signatur nicht überstreichen dürfen.»
Vor allem Erich Vock scheute keinen Aufwand, um alles perfekt zu gestalten. Er lacht: «Hubert bekam mehrfach die Krise, etwa als ich einen Transporter kaufte, um unsere Stühle in Spanien polstern zu lassen, oder auf einer Glasgalerie in der Tenne bestand.» In dieser Scheune warten noch wei- tere Möbel auf ein neues Leben – unter anderem ein Dessertbuffet von Ines Torelli. Von ihr übernahm das Paar 1994 die Zürcher Märchenbühne, die sie diesen Herbst nun selbst weitergeben. 2025 werden auch sie sich ganz von der Theaterbühne verabschieden. Im Märchenbühnelager sowie auch im Nebenhaus des Hotels Post konnten sie ihre Fundstücke in den vergangenen Jahrzehnten horten. Letzteres wird gerade abgerissen. Zuvor entnahmen sie aber noch die alten Riemenböden, um diese für ihre Stube zu nutzen.
«Es ist für mich schon eine Reise in die Vergangenheit», sagt Hubert Spiess am langen Esstisch im Licht einer Muranoglaslampe aus Venedig. An den Wänden hängen Bilder. Die einstigen Fenster dienen als Rahmen für alte Fotos ihrer Ahnen und vom Haus. Das grösste Gemälde zeigt Fürstin Lobkowitz auf Schloss Melnik, gefunden und gekauft 2018 in Tschechien. «Aber wir sind kein Museum», betont Erich Vock. Die Neugierde und Freude der Bevölkerung an ihrem Daheim sei gross. Im Dorf war es früher gang und gäbe, dass die Türen offen standen und die Leute einfach in die Häuser eintreten konnten. «Aber das würde uns heute zu weit gehen. Ich schliesse ab.» – «Erich kann sich besser abgrenzen», sagt Hubert Spiess. Er habe mehr Mühe. «Immer wenn ich hier bin, werde ich wieder zum Kind, bin wieder ‹der Sohn von›.» Sein Vater lebt nur ein paar Ecken weiter. Das Gefühl sei schwierig zu beschreiben. «Dass Erich und ich hier nun unser ‹Eigetes› haben, ist sehr wichtig.» Deshalb fühle er sich im Ort, wo er aufgewachsen und wohin er nun zurückgekehrt ist, auch langsam wieder richtig zu Hause.