Beda Stadler kennt sich aus bei Viren wie kaum ein Zweiter, und er weiss, wie man eigenhändig Holzmöbel zimmert. Aber kann er auch die ausgerenkte Schulter eines Bäbis flicken? «Du kannst ihm sicher helfen, Grosspapa», bittet ihn die dreieinhalbjährige Zora. Beda Stadler, 71, legt seine E-Zigarette auf den Stubentisch und fängt an, die Patientin zu untersuchen.
«Ganz so schlimm wie bei mir wird es ja nicht sein», sagt er und lacht schallend. Es ist noch nicht lange her, da hing Beda Stadlers Leben an einem seidenen Faden. «Den Göttern sei Dank, dass ich nicht religiös geworden bin.»
Träfe Sprüche waren schon sein Markenzeichen, als er noch Professor und Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern war. Seit seiner Pensionierung 2014 lebt er mit seiner Frau Heidi, 71, in Zeneggen oberhalb von Visp VS, spaltet Holz vor dem Haus, werkelt im Haus. Aber fast jede Woche reist das Paar nach Bern, um für ein bis zwei Tage Zora und Mio, 7, zu hüten, die Kinder ihrer Tochter Nina. Diese leben mit ihren Eltern in der Wohnung, in der früher die Grosseltern Beda und Heidi zu Hause waren.
Und auch wenn die junge Generation die Wohnung nicht mehr im Landhausstil eingerichtet hat, wie ihn Heidi so liebt: «Es ist jedes Mal ein Nachhausekommen.»Zora hat sich mit dem geflickten Bäbi in ihr Kinderzimmer zurück-gezogen, ihr Grossvater kann wieder genüsslich an seiner E-Zigarette zie-hen – der Rauch schmeckt nach Gurke. In Griffweite liegen drei weitere E-Zigaretten auf dem Stubentisch, jede mit einem anderen Geschmack: Vanille, Dark Cherry, Erdbeere. «Erdbeeri riechen so gut, da kann Heidi gar nicht motzen.» Früher rauchte Stadler täglich zwei Päckli Marlboro Gold. Am Tag seiner Pensionierung ist er aufs Dampfen von E-Zigaretten umgestiegen. Auf seinem Handy öffnet er die App Rauchfrei. Diese zeigt an, wie viel er seither gespart hat: 45 231 Franken – 110 320 Zigaretten weniger. «Nun leiste ich mir ab und zu eine teure Flasche Roten», sagt er. «Wir sind auf diesem Planeten, um Spass zu haben! Sinn des Lebens ist es, möglichst viel Glückseligkeit zu finden.» Kommt dazu: E-Zigaretten seien 200-mal weniger gefährlich als Zigis. «Dampfen rettet Leben!»
"Ich kann nicht verstehen, warum Millionen einem Bibeli-Buben wie Justin Bieber nachspringen." Beda Stadler
Seit 51 Jahren sind Heidi Stadler – «meine Chefin» – und er verheiratet. «Glücklich, gell?», sagt er und blinzelt ihr zu. Die ausgebildete Kauffrau nickt und legt sanft ihre Hand auf seinen Arm: «Er ist und bleibt ein Polteri.» Sind die beiden in Bern, trifft sie sich neben dem Kinderhüten mit Kolleginnen zum Kaffee, «das brauche ich». Er berät als Partner des Start-ups Expertinova Firmen im Bereich Life Science. «Wissenschaft ist im Gegensatz zum Glauben bereit, aus ihren Fehlern zu lernen», sagt der überzeugte Atheist. «Religion ist die aggressivste Form des Aberglaubens. Die Menschen haben Tausende von Göttern abgeschafft, doch ständig spriessen neue Ersatzreligionen aus dem Boden, etwa der Glaube an Alternativmedizin und Esoterik.» Wirklicher Trost sei nur bei anderen Menschen zu finden, nicht bei Haustieren, religiösen Ideen oder neuen Formen des Aberglaubens. «Ich kann nicht verstehen, warum Millionen einem Bibeli-Buben wie Justin Bieber nachspringen.» Bekannte, die an Gott glauben, fragt er immer wieder: «Bist du überzeugt, dass einer mit Löchern in den Händen am Tag der Auferstehung noch fliegen konnte? Wir sind bereit, das Dümmste zu glauben.»
Früher hiess sein Motto: Wir haben nur ein Leben – und das soll man geniessen! Das habe er abgeändert: «Man stirbt nur einmal und lebt jeden Tag.»
einmal und lebt jeden Tag.» Im Herbst 2020 musste sich der Walliser wegen eines erweiterten Blutgefässes einer Hirnoperation unterziehen. Eine Nachuntersuchung zeigt, dass sich eine Fistel gebildet hat – er muss sich den Schädel ein zweites Mal öffnen lassen. Es gibt Komplikationen, die Mediziner versetzen ihn in ein wochenlanges künstliches Koma. In dieser Zeit hat Stadler fünf Hirnschläge, drei epileptische Anfälle, eine Lungenentzündung. In der Aufwachphase halluziniert er, lange erkennt er seine Familie nicht mehr. «Der Krankheitsverlauf wurde zusätzlich von Covid-19 dekoriert, wie eine Kerze auf einem Kuchen.» Nach der Genesung beginnt er, seine Autobiografie zu verfassen, mit dem Titel «Glücklich ungläubig». Seine Schreibe: tiefschürfend, kontrovers, vergnüglich. «Damit habe ich mich selber therapiert. Heute bin ich wieder ganz der Alte.»
Der Schweizer Regierung gibt er für deren Corona-Politik eine schlechte Note. «Dem Bundesrat fehlte es an Mut. Er hätte sagen müssen: Wer geimpft ist, braucht keine Maske.» Kritiker seien rasch mundtot gemacht. «Und das Virus habe vor allem die Schwächsten umgebracht, alte Leute. Sie hätte man besser schützen müssen! Doch man verdonnerte die Jungen, diese Lumpen vor dem Mund zu tragen – lächerlich!» Er ist optimistisch. «Die meisten sind nun immun, auch ohne Impfung. Die Gefahr, dass ein noch gefährlicheres Virus entsteht, ist klein.»
«Grosspapa, was gibts zum Znacht?», ruft Zora aus dem Kinderzimmer. «Fischstäbli für euch, Lachs für uns», rufts zurück. Stadler ist ein passionierter Koch, sein sonntägliches Lieblingsmenu: Manzo alla California, Rindsbraten, mit Balsamico abgelöscht. Beim Einkaufen achtet er auf Slow Food aus der Region. Bio? «Nein, danke! Damit wird man heutzutage zwangsernährt. Bio-Chnobli aus Ägypten – hirniweich!» Einen Vorteil habe die «neue Naturreligion», sagt Stadler und kringelt noch einmal Gurkendampf: «Normale Produkte befinden sich in den Regalen auf Bodenhöhe. Ein ideales Fitnesstraining für mich alten Sack."