Unter Tränen sagt Amber Heard aus, ihr Ex-Mann habe sie geschlagen – sei im Rausch häufig handgreiflich geworden. Johnny Depp bestreitet alles. Sie habe ihn manipuliert und ihm etwa eine Zigarette ins Gesicht gedrückt. Seit Wochen liefern sich die beiden Hollywood-Stars eine Schlammschlacht vor Gericht. Es ist einer der schmutzigsten Rosenkriege der letzten Jahre – und Millionen Menschen schauen live zu.
Caroline Fux, woher kommt die Faszination für den Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard?
Zu einem grossen Teil ist es sicher die Lust am Schauspiel. Es geht um Gut und Böse, ein ungelöstes Verbrechen, den Kampf um Gerechtigkeit. Es ist nach wie vor das klassische Hollywood-Märchen, einfach jetzt die dunkle Seite davon. Das zieht an.
Wie kann aus Liebe Hass entstehen?
Hass und Liebe sind gar nicht so verschieden, wie man meinen könnte. Es geht um Emotionen tiefer Verbundenheit. Das mag uns beim Hass komisch vorkommen – aber eine Person, die man hasst, ist einem nicht egal. Im Gegenteil.
Aber irgendetwas muss extrem schiefgelaufen sein?
Ich mag da gar nicht spekulieren. Für mich ist dieser Prozess ein Zeichen dafür, dass diese Menschen nicht anders mit ihren negativen Emotionen umgehen können. Das ist unglaublich schmerzlich, und ich wünsche dies niemandem.
Bei wem liegen Ihre Sympathien in diesem Fall?
Ich verfolge den Prozess nicht im Detail, aber in den Sequenzen, die ich gesehen habe, macht Johnny Depp die bessere Figur. Und genau das bereitet mir etwas Bauchweh, weil der Prozess kein Beliebtheitswettbewerb sein sollte. Genau in einen solchen sind jetzt aber beide verstrickt.
Immer wieder ist die Rede von einer toxischen Beziehung. Was ist das überhaupt?
Das ist ein Label, das eine Beziehung beschreibt, die den Beteiligten schadet, indem sie sie über kurz oder lang vergiftet. So ein Stempel ist aber heikel, weil unklar ist, um welche Art Beziehungsprobleme es sich handelt. Das kann von «mühsam» bis hin zu «katastrophal» oder sogar «lebensbedrohlich» reichen. Ein Denksystem, in dem psychische Gewalt nur die kleine Schwester der physischen Gewalt ist, ist nicht haltbar. Beides ist Gewalt, beides kann verheerend sein.
Jedes Paar streitet ab und zu. Ab wann wird es toxisch?
Streit und Auseinandersetzungen gehören dazu. Durchaus auch heftige. Entscheidend ist, dass es deutlich mehr positive Interaktionen gibt als negative. Wenn ein Paar zu mir kommt und sagt: «Wir streiten nie», dann ist das kein Ritterschlag für ihre Beziehung. Durch Differenzen und Krisen können wir uns als Paar weiterentwickeln. Aber es kommt halt auf die Dosis an – genau wie beim Gift.
Bei welchen Signalen sollten wir alarmiert sein?
Unglückliche Paare erkenne ich oft an der Art, wie sie kommunizieren. Der amerikanische Psychologe John Gottman spricht diesbezüglich von den vier apokalyptischen Reitern: Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern. Kommen diese Dinge gehäuft und chronisch vor, sollte man über die Bücher. Wenn wir toxische Beziehungen als missbräuchliche Beziehungen verstehen, zeigt sich das etwa, wenn eine Person die andere kontrolliert, von Freunden und Familie isoliert oder abwertend behandelt.
Wie kann das konkret aussehen?
Beispielsweise, dass eine Person Ereignisse leugnet. Im Stil von: «Das bildest du dir nur ein.» Manchmal wird Schwieriges auch mit Liebesbekundungen relativiert: «Ich mache das nur, weil ich dich liebe.»
Sind gewisse Menschen besonders gefährdet, sich in solchen Beziehungen zu verfangen?
Niemand ist immun gegen Unglück. Missbräuchliche Beziehungen beginnen zudem selten so. Menschen, die später toxisch handeln, können zu Beginn oft wahnsinnig liebevoll sein. Sie überschütten ihr Gegenüber mit Aufmerksamkeit und Zuneigung. Bereits in dieser Phase mag es dann vielleicht Warnsignale geben, aber die betroffene Person wischt sie weg.
Warum geraten manche Menschen in giftige Konstellationen?
Eine schwierige Beziehungsvergangenheit kann zukünftigen Missbrauch begünstigen. Dabei müssen nicht zwingend eigene Paarbeziehungen gemeint sein. Möglich ist auch, dass jemand ungünstige Vorbilder hatte oder als Kind generell mit Beziehungen negative Erfahrungen gemacht hat.
Warum fällt es den Betroffenen oft schwer, sich zu lösen?
Wir Menschen wollen konsistent handeln. Wir gestehen uns nicht gern ein, dass frühere Entscheidungen schlecht waren. Wenn wir bereits einmal Ja gesagt oder etwas nur toleriert haben, ist es schwieriger, später Nein zu sagen.
Auch wenn wir darunter leiden?
Wir müssten derart viele Hoffnungen und Träume über Bord werfen und derart krassen Realitäten ins Auge schauen, dass es fast nicht geht.
Ist das schwieriger, als sich aus der schädlichen Beziehung zu befreien?
In einer schwierigen Liebe hat man oft viel investiert: geliebt, gelitten, gekämpft, gehofft – das ganze Spektrum. Der Gedanke, dass sich all diese Investitionen bei einer Trennung auflösen, ist derart bedrohlich und schmerzlich, dass viele Menschen den Absprung nicht schaffen. Dann kann die Unterstützung von Freunden oder einer Fachperson helfen. Man sollte aber realistisch sein: Zaubern können die auch nicht. Es braucht einen Ablösungsprozess, und der tut weh.
Warum schmerzt der so, obwohl es doch das Beste wäre?
Wir glorifizieren die Liebe oft. Weil sie in unserer Gesellschaft als höchstes Gut gehandelt wird, kämpfen und kämpfen wir darum. Aber die Liebe sollte kein Kampf sein.
Kann man eine toxische Beziehung überhaupt retten?
Man kann immer etwas tun, auch wenn es wirklich schlecht läuft. Manchmal geht es aber auch darum zu erkennen, dass es halt zusammen nicht mehr geht. Ich bin ein grosser Fan von bewusst und sorgfältig aufgelösten Beziehungen. Wer zu schnell und zu abrupt eine Beziehung beendet, in der vieles noch gut ist, den holt das später oft ein.
Wie sollte man einen solchen sorgfältigen Schlussstrich ziehen?
Viele Menschen kommen genau mit dieser Frage in eine Beratung und erhoffen sich eine klare Antwort. Aber so einfach ist es leider nicht. Das Leben und die Liebe sind kompliziert. Sie lassen sich weder mit Patentrezepten noch mit Zeitvorgaben regeln.
Was ist für Sie eine erfüllte Beziehung?
Eine, die glücklich macht und mit der es besser ist als ohne.